Bonner Landgericht: Baby ins Koma geschüttelt ? Gutachter sieht es anders !
Bonn/Rhein-Sieg-Kreis - Der Verdacht war furchtbar: Ein Vater, damals 24 Jahre alt, soll sein vier Monate altes Kind so lange geschüttelt haben, bis es ins Koma fiel – und zeitlebens geistig behindert bleiben wird.
Zweieinhalb Jahre lang musste der Mann, der damals im linksrheinischen Rhein-Sieg lebte, mit dem grausamen Vorwurf leben.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen schwerer Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen angeklagt.
Ein erstes gerichtsmedizinisches Gutachten war zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Baby eindeutig ein Schütteltrauma vorliege.
Die Richter der 1. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts jedoch waren skeptisch gewesen und hatten im Januar 2020 zur Sicherheit ein zweites Gutachten beauftragt.
Das Ergebnis ist überraschend und entlastet den heute 27-jährigen Vater grundlegend, wie Gerichtssprecherin Patrizia Meyer am Dienstag, 29. Dezember, auf Anfrage bestätigte.
Gutachter stellte Gendefekt fest
Demnach kann der folgenschwere Vorfall auch auf eine andere Ursache als auf ein Schütteltrauma zurückgeführt werden, so der Sachverständige.
Denn der Säugling leidet nachweisbar von Geburt an einem Gendefekt, der durchaus epileptische Anfälle bis zum Herz-Atemstillstand verursachen kann.
Entsprechend können die schweren Verletzungen auch auf einen epileptischen Vorfall zurückzuführen sein: Damals waren zahlreiche Einblutungen im Hirngewebe, in den Seitenkammern des Gehirns sowie in der Netzhaut des Auges diagnostiziert worden.
Auch wurde eine ausgeprägte diffuse Hirnschädigung mit umfassender Hirnschwellung festgestellt.
Vater rief den Notarzt
Der Vater hatte immer bestritten, das Baby geschüttelt zu haben.
An dem Abend des 7. Mai 2018 war er mit seinem Kind alleine zuhause gewesen – die Mutter war kurz zuvor zur Arbeit gegangen.
Beim Trinken, so hatte der Vater später immer wieder beteuert, habe der Säugling sich so verschluckt, dass er gekrampft habe, bis er blau wurde.
Als das Kind dann plötzlich still war und nicht mehr reagierte, verständigte der verzweifelte Vater sofort den Notarzt.
Der leblose Junge musste reanimiert werden, mit irreversiblen Schäden.
Die Staatsanwaltschaft hielt die Einlassung des Vaters damals für eine Schutzbehauptung und blieb bei der Schüttelversion.
Er habe das Kind aus Überforderung in Lebensgefahr gebracht, hieß es in der Anklage.
Aber der zweite Gutachter kam jetzt zu dem Ergebnis: Die Schilderung des Vaters, was an dem Abend mit dem Säugling geschehen ist, sei sogar sehr plausibel.
Eindeutiger Kammerbeschluss
Einen Prozess gegen den Vater wird es nicht mehr geben.
Die Bonner Richter haben das Verfahren gegen den 27-Jährigen nicht eröffnet.
Denn seine Version sei „ebenso wahrscheinlich, so dass für den Angeklagten eine Strafbarkeit nicht festzustellen sein wird“, heißt es im Kammerbeschluss.
Wo die kleine Familie heute lebt, ist nicht bekannt.
Auch nicht, ob die Eltern des Kindes noch zusammen sind.
Oder ob ihr Sohn – heute fast drei Jahre alt – noch bei ihnen ist und von ihnen betreut werden kann.