Kasernen-Skandal in NRW: Staatsanwalt bietet Flüchtlings-Folterern Deal an !
Donnerstag beginnt Prozess um Misshandlung im Flüchtlingsheim .
Siegen - Es waren entsetzliche Bilder aus dem Flüchtlingsheim in der ehemaligen Siegerlandkaserne in Burbach.
Wachmann Markus H. drückt einem Asylbewerber seinen Stiefel in den Nacken.
Ein Video aus dem Heim zeigt, wie vier Security-Kräfte den betrunkenen Flüchtling Karim M. in den Bauch treten und fixieren.
Er erbricht sich auf eine Matratze.
Verzweifelt ruft der Wehrlose: „Warum schlägst Du mir?“.
Flüchtling musste sich auf vollgekotzte Matratze legen
Sie befehlen ihm, sich auf die vollgekotzte Matratze zu legen und Ruhe zu geben.
Vier Tage lang schließen sie den Gefangenen weg, ohne die Polizei zu rufen.
Karim M. kommt erst frei, als er verspricht, die Matratze zu bezahlen.
Ab Donnerstag stehen die Täter aus der Siegerlandkaserne vor Gericht.
Mammutprozess nach mehrjährigen Ermittlungen
Die Szenen aus dem so genannten „Problemzimmer“ der Flüchtlingsunterkunft in Burbach, die im September 2014 bekannt wurden, gipfeln nun nach mehrjährigen Ermittlungen in einem Mammutprozess.
In 54 Fällen müssen sich 32 der ursprünglich 38 Angeklagten von Donnerstag an wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung in der inzwischen geschlossenen Einrichtung verantworten.
Zahl der Angeklagten wurde verringert
Die Justiz hat aus Platzgründen eigens einen großen Saal in der Siegerlandhalle angemietet.
Die Dimensionen erinnern an andere große Strafkomplexe wie das Verfahren um die Loveparade-Katastrophe in Duisburg, das in einer Düsseldorfer Messehalle läuft.
Wie zu erfahren war, soll die Zahl der Angeklagten im Burbach-Komplex aus prozessökonomischen Gründen deutlich begrenzt werden.
Deal für die Folterknechte
Vor knapp einem Jahr, am 20. November 2017, trafen sich alle Prozessbeteiligten zu einem Vorgespräch.
Bei der Zusammenkunft offerierte der für die Anklage zuständige Oberstaatsanwalt den Verteidigern einen Deal: „Nach einem Geständnis bot der Ankläger an, die unterschiedlich gelagerten Fälle gegen eine Geldstrafe oder im Höchstfall gegen Bewährungsstrafen zu den Akten zu legen“, berichtet Verteidiger Ihsan Tanyolu.
Bis auf sechs lehnten alle Kollegen das Angebot ab.
Die geständigen Protagonisten müssen sich in einem zweiten Prozess im Januar verantworten.
Die Misshandlungen in Burbach mit seinen 600 Bewohnern brachten zudem die damalige rot-grüne Landesregierung in die Bredouille: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) musste Fehler bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms einräumen.
Umgehend forderte die schwarz-gelbe Opposition seinen Rücktritt.
Schließlich hatten Nachforschungen staatliches Kontrollversagen in etlichen Notunterkünften an Rhein und Ruhr zutage gefördert.
So etwa bei dem Betreiber der Einrichtung Burbach, der Firma European Homecare.
Einem Unternehmen mit knapp 3000 Mitarbeitern, spezialisiert auf das Geschäft mit Flüchtlingsheimen.
Viele Mitarbeiter wussten Bescheid
Laut Anklage sollen der Geschäftsführer und viele Heimmitarbeiter von den Vorgängen in den „Problemzimmern“ gewusst haben, ohne einzugreifen.
So mussten Bewohner demnach bei Verstößen gegen das Alkohol- und Rauchverbot auf dem Zimmer in die Arrest-Kammern.
Immer wieder wurde die Polizei in die einstige Kaserne gerufen, weil Migranten aneinander gerieten oder es zu Zwischenfällen mit dem Wachschutz kam.
Straftaten verschwiegen
Die Vorfälle reichten bis zum Drogenkonsum oder Diebstahl.
Um nicht allzu sehr bei den Kontrolleuren des Regierungspräsidiums in Arnsberg aufzufallen, schloss man Delinquenten ein, vermied es die Polizei zu rufen.
Mitangeklagte Sozialarbeiter und Dolmetscher vor Ort sollen weggesehen haben, wenn es wieder zu Sache ging.
Das gilt auch für zwei Angeschuldigte aus dem Regierungspräsidium, die das Geschehen in der Unterkunft beaufsichtigen sollten.
So steht es zumindest in der Anklage.
Viel zu wenig Personal in Siegerlandkaserne
Auch arbeitete die Anstaltsleitung mit Wachschutzfirmen zusammen, die teils dubiose Subunternehmen eingesetzt haben sollen.
Bei den Ermittlungen kam heraus, dass die Sicherheitsfirmen viel zu wenig Personal einsetzten – teils sieben Männer für 600 Bewohner.
Aus Kostengründen.
Zudem trat der Verdacht auf, dass Wachmänner zur rechtsradikalen Szene gehörten.
System aus Folter und Drangsalierung
„Ein System aus Folter und Drangsalierung“, beschreibt der Anwalt Andreas Trode, der eines der Opfer vertritt. Mitunter wurden mehrere Heimbewohner weggesperrt.
Andere gingen die Wachmänner gewaltsam an, obwohl sie herzkrank waren.
Trode hat vergeblich versucht, für seinen Mandanten zivilrechtlich Schadensersatz zu erlangen.
Da Karim M. aber nicht zum Termin erschien, wies das Gericht die Klage ab.
Systematische Misshandlung?
Etliche Verteidiger widersprechen vehement der These systematischer Misshandlungen.
Nach Auffassung von Christopher Posch, Verteidiger eines mitangeklagten Wachmannes, „spielt auch ein Stück weit Politik mit hinein in das Verfahren.“
Bei einigen Fällen ist dem Anwalt nicht klar, „warum diese Leute auf der Anklagebank sitzen.
Unter anderen Umständen hätte man diese Fälle längst eingestellt.
Staatsanwaltschaft unter Druck
Die Staatsanwaltschaft aber stand in dieser Angelegenheit „offenbar unter enormem Druck.“
Sein Kollege Tanyolu: „Einzeln gesehen wäre jedes Verfahren beim Amtsgericht gelandet, schließlich geht es um einfache Delikte wie Körperverletzung, Nötigung oder Freiheitsberaubung.“
Auch einen kolportierten rechtsradikalen Hintergrund vermag er nicht zu erkennen.
Viele der Angeklagten besäßen selbst einen Migrationshintergrund.
„Mein Mandant ist Sozialarbeiter aus Tunesien, der zugleich auch übersetzen sollte.“
Der Vorwurf, sein Klient habe sich ebenfalls strafbar gemacht, weil er nur zugeschaut und nichts unternommen habe, bezeichnet Tanyolu „als konstruiert, hierzu liefern die Ankläger keinen Beweis“.