Sechs Dinge, gelernt in Griechenland: Varoufakis reitet und Rentner bangen
Während ein zurückgetretener Finanzminister davonbraust, fürchten Rentner um ihr Erspartes. Auf dem Platz des Weinens feiern glückliche Menschen ihr "Nein". Griechenland ist voller Widersprüche.
1. Varoufakis ist tatsächlich ein Rockstar
Das muss man Yanis Varoufakis lassen: Er weiß sich in Szene zu setzen. Vor dem Finanzministerium warten Dutzende Journalisten und Passanten. Inmitten dieses Rummels werde Varoufakis nach seinem Rücktritt ein Statement abgeben, heißt es. Vor dem Eingang parkt ein blauer Mercedes-Dienstwagen, schon in die Jahre gekommen. Und darin wird er davonfahren?
Von wegen. Varoufakis verlässt das Finanzministerium durch den Hinterausgang. Fotografen, Kameraleute und Reporter sprinten los, umlagern ihn. Varoufakis schwingt sich auf seine Yamaha, setzt den Helm auf, gibt Gas und braust mit einer Frau auf dem Rücksitz davon. Und verschwindet in Richtung Horizont. Nur der Sonnenuntergang fehlt.
2. Ein klares Nein kann glücklich machen
Es ist einfach, alles besser zu wissen. Und es ist einfach, den anderen stets zu sagen, dass sie sich irrten; dass sie Leuten vertrauen, die gar nicht aus eigener Kraft halten können, was sie versprochen haben - Leuten wie Ministerpräsident Alexis Tsipras.
Wer am späten Samstagabend bei der Syriza-Party auf der Plateia Klafthmonos im Zentrum Athens vorbeigeschaut hat, der hat glückliche Menschen gesehen. Und das ausgerechnet an einem Ort, der ins Deutsche übersetzt Platz des Weinens, des Klagens heißt. Sie waren jung, laut, fröhlich und zuversichtlich. Sie klatschten zur Musik, sie tanzten und sie feierten, dass sie Nein gesagt hatten zu dem, was sie Spardiktat nennen. In vielen Gesprächen haben sie das immer wieder betont, wie wichtig ihnen das ist, davon gesprochen, stolz darauf zu sein, den Gläubigern die Stirn geboten zu haben. Wer mag da entgegnen, dass sich dies schnell als ein Triumph des Augenblicks erweisen könnte?
3. Empathie ist kein deutsches Wort
Kurz nach neun Uhr an einem Sommermorgen in Süden Athens. Ein alter, nach vorn gebeugter Mann geht langsam mit kleinen Schritten vorüber. Seinen Blick hat er fest auf die drei Geldscheine gerichtet, die er in seinen faltigen Händen hält. Er zittert ein wenig. Zwei Fünfziger ein Zwanziger. Das muss für eine Woche reichen, mehr dürfen Rentner nicht abheben. Vor der Bankfiliale drängen sich alte Leute, einige umklammern ihr blaues Sparbuch ganz fest. Fassungslosigkeit in ihren Gesichtern. Das macht einen unsagbar traurig.
4. Die Griechen sind ein stolzes Völkchen
Wie oft haben wir das in den vergangenen Wochen gehört? Wir wissen es nicht. Wer mit einer Griechin oder einem Griechen über sein Land spricht, der merkt schnell, dass sie und er es mögen - bis sie es dann auch explizit sagen. "Wir sind stolz auf unser Land. Und wir sind stolz, Griechen zu sein." Dabei haben sie kein Problem damit, zuzugeben, dass in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel schiefgelaufen ist; der eine mehr, der andere weniger. Das sagen sie zumindest.
Was sie aber nicht haben können ist das Gefühl, nicht ernst genommen, gegängelt und bevormundet zu werden. Wer nach Gründen sucht, warum das Plebiszit am Sonntag so deutlich zugunsten der Neinsager ausgefallen ist, der könnte einen darin finden, dass die Griechen ein verdammt stolzes Völkchen sind.
5. Griechenland ist Teil Europas
"Dieser Kontinent hat seinen Namen von uns", sagt eine Demonstrantin auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament. Sie will bei dem Referendum mit "Nein" stimmen - wie die große Mehrheit der Griechen das dann auch machen wird. Das sei kein Bekenntnis gegen Europa. "Wir gehören aber zusammen", ruft sie.
Egal, ob Gegner oder Anhänger des Regierungskurses: Die Griechen sehen sich als Teil Europas. Ihr Land, das die Kultur dieses Kontinents so stark geprägt hat, steht innerhalb Europas isoliert da. Das ist bizarr.
6. Es gibt eine absurde Seite der Krise
Das, was gerade in Griechenland passiert, ist nicht lustig. Aber absurd ist es bisweilen schon. Der öffentliche Nahverkehr in Athen zum Beispiel funktioniert noch. Weil die Griechen aber kaum noch Geld haben, dürfen sie fahren, ohne dafür zu bezahlen. Freundlicherweise gilt das auch für die Touristen.
Nun gibt es - wo sollen sie auch hin? - am Flughafen, an einigen Bushaltestellen und in den U-Bahnhöfen Schalter, an denen es Fahrkarten gibt. Das ist nichts originär Griechisches, obwohl sie es wie so vieles andere - Demokratie! Philosophie! Mathematik! Mit-Otto-Rehhagel-Fußball-Europameister-werden! - bestimmt erfunden haben. Nun sitzen seit jeher Menschen an diesen Schaltern, die die Tickets verkaufen. Und tun es immer noch - nur, dass sie keine mehr verkaufen, weil alles umsonst ist.
Also sitzen sie dort und sagen jedem, der es wissen will, dass niemand sie braucht, weil es für sie nichts mehr zu tun gibt.