Griechischer Finanzbedarf immer höher: IWF fordert Technokraten-Regierung in Athen
Kanzlerin Merkel ergreift bei den Verhandlungen um die Rettung Griechenlands die Initiative. Das kommt nicht überall gut an. Zudem wird bekannt, dass das Krisenland mehr Geld brauchen könnte als bislang gedacht. Der Geldgeber IWF will deshalb mehr Garantien sehen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat bei den Verhandlungen für ein neues Rettungspaket eine Technokraten-Regierung für Griechenland ins Spiel gebracht. Das berichtet die "Bild" vorab unter Berufung auf Verhandlungskreise. Demnach fordert der IWF Garantien, dass angekündigte Reformen auch wirklich umgesetzt werden.
Nach Vorstellungen des IWF sollen wie bereits im Jahr 2011 vorübergehend auch Parteilose Ministerämter in der Regierung ausüben. Ein IWF-Vertreter sagte der Zeitung: "Wir glauben nicht daran, dass Syriza die Reformen umsetzen kann. Wir vertrauen ihnen nicht." Der IWF fordert außerdem, dass alle griechischen Parteien den Sparvorschlägen zustimmen müssen. Hintergrund ist die schwindende Mehrheit von Tsipras in seiner Syriza-Partei.
Athens Finanzbedarf wohl höher
Der Finanzbedarf Griechenlands in einem neuen Hilfsprogramm wird von den Geldgebern höher eingeschätzt als bisher bekannt. Die Euro-Länder nähmen zur Kenntnis, dass die Gläubigerinstitutionen in den kommenden drei Jahren mit einem Betrag zwischen 82 und 86 Milliarden Euro rechneten, heißt es in einer Beschlussempfehlung der Euro-Finanzminister an den Sondergipfel der Währungsunion zu Griechenland. Bisher war von einem Finanzierungsbedarf von maximal 82 Milliarden Euro die Rede gewesen. Schon kurzfristig braucht Athen bis Mitte August demnach zwölf Milliarden Euro.
Allerdings hoffen die Finanzminister, dass die Summe noch verringert werden kann und richteten einen entsprechenden Appell an die Gläubigerinstitutionen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Sie sollten "Möglichkeiten ausloten, um den Finanzierungsumfang durch einen alternativen Steuerweg oder höhere Privatisierungserlöse zu senken", hieß es in der Empfehlung. Auch eine möglichst schnelle Wiederherstellung des Zugangs zum Finanzmarkt verringere "die Notwendigkeit, auf den gesamten Finanzierungsumfang zurückzugreifen".
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Gleichzeitig nimmt die Eurogruppe dem Text zufolge den kurzfristigen "dringenden Finanzierungsbedarf Griechenlands zur Kenntnis". Dies unterstreiche, dass "sehr schnelle Fortschritte" mit Blick auf ein neues Hilfsprogramm notwendig seien. Kurzfristig brauche Athen bis zum 20. Juli sieben Milliarden Euro und bis Mitte August weitere fünf Milliarden Euro. Am 20. Juli muss Athen allein 3,5 Milliarden Euro an die Europäische EZB zurückzahlen; am 20. August dann nochmals 3,2 Milliarden Euro.
Merkel spricht mit Tsipras
Kurz nach dem Auftakt des Euro-Sondergipfels zu Griechenland zog sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beratungen im kleinen Kreis zurückgezogen. Die Kanzlerin setzte sich mit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras, dem französischen Präsidenten François Hollande und EU-Ratspräsident Donald Tusk an einen Tisch. Gegen 20:15 Uhr setzten die Politiker dann die Verhandlungen in der großen Runde fort.
Das Gespräch von Premier Alexis Tsipras mit Kanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Francois Hollande erinnere an "mentales Waterboarding", zitiert der britische "Guardian" einen "hohen Regierungsvertreter." Wer das sei, sagte der Brüsseler Korrespondent der Zeitung, Ian Traynor, allerdings nicht. Entweder setze Griechenland noch in der kommenden Woche Reformen um, sei Tsipras gesagt worden. Andernfalls werde das Land die Eurozone verlassen und erleben müssen, wie seine Banken zusammenbrechen.
Krugman poltert gegen Merkel
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman fährt indes in der griechischen Schuldenkrise schwere Geschütze gegen Deutschland und dessen Regierung auf. In seinem Blog bei der "New York Times" wirft er Bundeskanzlerin Merkel vor, dass ihr nicht einmal die Kapitulation der griechischen Seite ausreiche. "Völlige Aufgabe ist nicht genug für Deutschland, das einen Regimewechsel will und die totale Demütigung", schreibt Krugman. Eine einflussreiche Fraktion ziele sowieso darauf, die Griechen aus der Eurozone zu stoßen.
Dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras hält der Ökonom mangelndes taktisches Geschick vor. Weil sich seine Syriza-Partei sehr zeitig darauf festgelegt habe, dass ein Grexit nicht in Frage komme und keinerlei Vorbereitungen für eine Parallelwährung getroffen worden seien, sieht Krugman Tsipras an die Wand gedrückt. "Das hat ihn in eine hoffnungslose Verhandlungsposition geführt."
Im Moment sieht der Wirtschaftsprofessor nur schreckliche Alternativen für Griechenland und Europa. Trotzdem könnte der Grexit besser sein als der Verbleib im Euro unter der strengen Knute der Deutschen und ihrer Verbündeten, findet Paul Krugman.
Reformen bis Mitte der Woche
In zweitägigen Vorbereitungen hatten sich die Euro-Finanzminister mühsam auf eine Beschlussvorlage für den Gipfel geeinigt, allerdings blieben zahlreiche Punkte strittig. Für den Fall, dass Griechenland die umfangreichen Forderungen der Geldgeber akzeptiert und Regierungschef Tsipras einen Teil der Reformen bis Mitte der Woche durch das Parlament in Athen bringt, wird die Wiederaufnahme von Verhandlungen in Aussicht gestellt. Scheitern die Gespräche in der Nacht, wird als alternatives Szenario ein befristetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nicht ausgeschlossen.
In Griechenland regen sich wieder Proteste gegen den bisherigen Sparkurs. Mehrere hundert Autonome und Bürger demonstrierten am Abend vor dem Parlament in Athen gegen die Fortsetzung der Sparpolitik. Die Teilnehmer forderten die Regierung auf, die griechischen Schulden nicht zurückzuzahlen. Die Demonstration verlief friedlich, wie griechische Medien berichteten.