Der NSU Prozess !

279. Verhandlungstag: Der verschlungene Weg der Mordwaffe !

Wie kam die Ceska 83 in die Hände des NSU?
Diese Frage kann bis heute nicht lückenlos beantwortet werden.
Wie mühsam es für das Gericht ist, die Spur der wichtigsten Mordwaffe des NSU nachzuverfolgen, wurde im Laufe des heutigen Verhandlungstages deutlich.
Das öffentliche Interesse an dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) München hat unterdessen deutlich nachgelassen.

Noch nie war die Zuschauertribüne im NSU-Prozess so spärlich besetzt.
Am Vormittag waren nicht einmal ein Dutzend Zuschauer anwesend, am Nachmittag nur noch zwei.
Die leeren orangefarbenen Sitzreihen auf der Empore fielen sogar den Richtern auf, denn das öffentliche Interesse am NSU-Prozess eigentlich ungewöhnlich hoch - gemessen an der langen Verfahrensdauer.
Aber auch die Pressebank war fast leer.
Nur sieben Journalistinnen und Journalisten verfolgten den Verhandlungstag.
Das mag auch daran gelegen haben, dass parallel im OLG das Verfahren gegen die mutmaßlich rechtsterroristische "Oldschool Society" eröffnet wurde.

Im NSU-Prozess war nur ein Zeuge geladen: ein Richter, der seine Eindrücke der Vernehmung von Brigitte G. in der Schweiz schilderte.
Sie war im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens in der Schweiz mit den Fragen des Senats, der Bundesanwaltschaft, der Verteidigung und der Nebenkläger konfrontiert worden.
Er habe den Eindruck gehabt, dass es der Zeugin nicht ganz recht gewesen sei, dass sie noch einmal "mit der ganzen Sache" behelligt worden war, sagte der als Zeuge geladene Richter.
Sie habe sehr einsilbig geantwortet und gab oft an, sich nicht erinnern zu können.
Die "ganze Sache" betrifft die Beschaffung der Waffe, mit der neun Menschen kaltblütig ermordet worden sind.

Ceska-Erwerb: illegal und über mehrere Mittelsmänner
Die Ceska 83 wurde vom Ehemann von Brigitte G. 1996 legal in der Schweiz erworben.
Er besaß einen Waffenerwerbsschein, den er angeblich an seinen Motorrad-Kumpel Hans-Ulrich M. verscherbelte. M. verkaufte die Ceska 83 weiter illegal nach Deutschland.
Dort gelangte sie über Mittelsmänner und schließlich über den ebenfalls im NSU-Prozess angeklagten Carsten S. in die Hände von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

Sie erschossen damit zwischen 2000 und 2006 insgesamt neun Menschen.
Um den genauen Weg der Mordwaffe zu ermitteln, wurden die Wohnungen von potenziellen Mittelsmännern durchsucht.
Die entsprechenden Durchsuchungsbeschlüsse wurden am Nachmittag verlesen - kein sehr spannender Prozessstoff.
Der heutige Verhandlungstag dokumentiert einmal mehr die Mühen der Ebene in diesem Mammutverfahren - die manchmal sehr mühsame Suche des Gerichts nach der Wahrheit.





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Tageszusammenfassung: Vernehmung in der Schweiz !

Einziger Zeuge war heute ein deutscher Richter, der die Vernehmung einer Zeugin in der Schweiz begleitet hatte.
Es handelte sich um die Ehefrau von einem der Männer, durch dessen Hände die Mordwaffe vom Typ "Ceska" gegangen sein soll.

Der Richter Stefan Georg. S. war am 31. März bei der Vernehmung von Brigitte G. durch die Staatsanwaltschaft Thun anwesend. S. sagte aus, dass sich Brigitte G. nur noch an wenig habe erinnern können, etwa dass ihr Mann einmal ein Paket erhalten und ungeöffnet weitergereicht habe.

Der Weg der Ceska
Insgesamt sei die Frau recht einsilbig gewesen, er habe den Eindruck gehabt, sie wolle mit dem Sachverhalt von damals so wenig wie möglich zu tun haben.
Ihr Mann Anton G. soll die Ceska an Hans Ulrich M. weitergeleitet haben, über den sie nach Jena und schließlich zum NSU gelangt sein soll.

Nach der kurzen Zeugenbefragung wurden vom Gericht Schriftstücke und Untersuchungsergebnisse verlesen, etwa Durchsuchungsbeschlüsse oder Schriftgutachten.
Am Nachmittag wurde dieser recht ereignislose Tag dann doch noch rekordverdächtig.
Mit zwei Zuschauern und sieben Journalisten waren vermutlich so wenig Beobachter wie noch nie auf der Tribüne.


 
280. Verhandlungstag: Zschäpe-Verteidigung beantragt erneut Aussetzung !

Beate Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert fordert, dass das NSU-Verfahren ausgesetzt wird.
Grund: Die Unterlagen, die er vom Oberlandesgericht (OLG) München bekommen hat, sollen von den originalen Prozessakten abweichen.
Der Senat hat darüber noch nicht entschieden.

Das Gericht habe ihm eine externe Festplatte mit einer digitalen Ausführung der Prozessakten zur Verfügung gestellt, so Borchert in seinem Antrag.
Diese würden sich allerdings von den Originalakten so unterscheiden, dass er in der Vorbereitung immer die digitalen und die Originalakten seitenweise vergleichen müsse.
Der Zeitaufwand dafür sei nicht zumutbar.
Borchert hatte sogar ein Rechenbeispiel parat: pro Minute könne er fünf Seiten durchsehen, damit schaffe er maximal 300 Seiten am Tag.
Da Feier- und Urlaubstage nicht berücksichtigt seien, wäre ihm ein vollständiger Abgleich der Akten somit bis frühestens Anfang 2017 möglich.

Nebenklage: Zschäpes Verteidiger sollen zusammenarbeiten
Die Arbeitsüberlastung von Rechtsanwalt Borchert könne Behnke nicht verstehen.
Eine umfangreiche Aktendurchsicht sei gewährleistet, wenn eine gewisse Kooperation zwischen den Verteidigern erfolgen würde.

Zweifellos spielte Behnke damit auf die Streitigkeiten zwischen Zschäpes Verteidigern an, die den Prozess schon häufiger beschäftigt hatten.
Erfolgsaussichten mehr als fraglich

Aus Sicht der Bundesanwaltschaft gibt es keinen Grund für die Aussetzung des Verfahrens.
Dass Borchert mit seinem Antrag durchkommt, gilt als äußerst unwahrscheinlich.
Die Verteidigung Wohlleben ist bereits mit einem sehr ähnlichen Ansinnen gescheitert.

Wohlleben-Verteidigung will Ex-V-Mann Brandt erneut laden
Der Angeklagte Ralf Wohlleben soll die Beschaffung der Mordwaffe, einer Ceska-Pistole, in Auftrag gegeben haben.
Dazu habe er dem Mitangeklagten Carsten S. 500 DM übergeben.
S. belastete Wohlleben in seiner Aussage im NSU-Prozess dementsprechend schwer.
Nun stellte die Verteidigung von Wohlleben klar, dass nach ihren Finanzermittlungen Wohlleben zum damaligen Zeitpunkt nicht über derartige Mittel verfügt haben soll.
Ihre Schlussfolgerung: S. soll das Geld nicht von Wohlleben, sondern von Tino Brandt bekommen haben, der als ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes mit Bargeldbeträgen für seine Spitzeldienste entlohnt wurde.
Ob der Senat dieser Argumentation folgt und Tino Brandt erneut als Zeugen laden wird, gilt allerdings als fraglich.




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Der vielbeschäftigte Herr Borchert !

Beate Zschäpes Wahlverteidiger ist selten im Gerichtssaal.
Heute war er da und forderte eine Aussetzung des Verfahrens, um die Akten lesen zu können.

Herrmann Borchert ist erst seit Herbst vergangenen Jahres am NSU-Prozess beteiligt, aber zwei Dinge über den Münchner Anwalt weiß man mittlerweile ganz genau.
Zum einen ist ihm sein Urlaub heilig.
Deshalb musste die schriftliche Erklärung seiner Mandantin um mehrere Wochen verschoben werden.
Außerdem ist Borchert ein vielbeschäftigter Mann.
Für den NSU-Prozess, in dem er Wahlverteidiger von Beate Zschäpe ist und daher kein Geld vom Staat bekommt, hat er nur selten Zeit.
Wenn Borchert dann mal morgens neben Zschäpe sitzt, ist klar, dass irgendetwas zu erwarten ist.
So war es auch heute.

Zschäpe-Anwalt will in Ruhe lesen
Hermann Borchert will also, dass der seit fast drei Jahren laufende Prozess ausgesetzt wird, damit er genügend Zeit hat, alle Verfahrensakten zu lesen.
Penibel hat der Verteidiger vorgerechnet, dass er zwei Leitzordner pro Arbeitstag schafft und nun also knapp zwei Jahre Pause bräuchte.
Der Hintergrund: Borchert zweifelt an der Vollständigkeit der Kopien der Akten, die ihm zur Verfügung gestellt wurden.
Er will die Originalakten vom Gericht und dann gründlich lesen.
Mit einer sehr ähnlichen Begründung hatte vor kurzem übrigens auch die Wohlleben-Verteidigung eine Aussetzung des Verfahrens verlangt, was einem Platzen des Prozesse gleich käme, und war gescheitert.
Dass nun die Zschäpe-Verteidigung nachzieht, überrascht.
Kann das wirklich im Interesse der Mandantin sein? Immer wieder haben die Zschäpe-Anwälte betont, die Hauptangeklagte leide unter der Dauer des Verfahrens.
Was würde da erst ein kompletter Neustart des Prozesses für Zschäpe bedeuten?

Antrag ohne Aussicht auf Erfolg
Die Frage ist aber wohl rein theoretisch.
Die Chancen, dass Herrmann Borchert mit seinem Aussetzungsantrag beim Gericht durchkommt, tendieren gen Null.
Schließlich hat Beate Zschäpe mittlerweile fünf Verteidiger, drei davon sind von Anfang an dabei.
Dass Zschäpe mit diesen dreien nicht mehr zusammenarbeiten will, ist nicht das Problem des Gerichts.
Herrmann Borchert verließ den Prozess heute übrigens vorzeitig, kurz nach Verlesen seines Antrags.
Ob er ging, um Akten zu lesen, ist nicht überliefert.


 
281. Verhandlungstag: Der "unverantwortliche" Staat !

Am 281. Verhandlungstag im NSU-Prozess macht das Gericht den Staat nicht für NSU-Taten mitverantwortlich.
Einzelne Nebenkläger wollten mit ihrem Antrag eine entsprechende Untersuchung anstoßen, wurden aber zurückgewiesen.
Sie kündigten bereits an, weiter nachzuhaken.

"Eine staatliche Mitverantwortung kann nicht festgestellt werden", begründete der Vorsitzende Richter Manfed Götzel die Ablehnung eines umfangreichen Beweisantrags der Anwälte der Kasseler Familie Yozgat.
Die Nebenkläger wollten mit ihrem Antrag nachweisen, dass der Staat für die NSU-Taten mitverantwortlich ist.
Denn die Ermittlungsbehörden hätten sie verhindern können, wenn Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt frühzeitig festgenommen worden wären.
Das wäre möglich gewesen, wenn der Verfassungsschutz in Brandenburg nicht der Schutz eines V-Mannes wichtiger gewesen wäre als die Ergreifung dreier untergetauchter Neonazis.
Der Hinweis kam im September 1998, Halit Yozgat wurde im April 2006 ermordet.

Ging der Schutz der Quelle über alles?
Zum Hintergrund: Bereits im September 1998, also wenige Monate nach dem Untertauchen der Drei und zwei Jahre vor dem ersten von zehn Morden des NSU, erhielt das Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg einen brisanten Hinweis.
Ein V-Mann berichtete, dass drei untergetauchte Skinheads aus Thüringen eine Waffe suchten.
Das Geld dafür sollte von Mitglieder der Blood and Honour-Szene in Sachsen kommen.

Das Innenministerium in Potsdam entschied aber, den eigenen V-Mann mit dem Decknamen „Piatto“ auf jeden Fall zu schützen.
Die Ermittler in Thüringen wurden ohne Nennung der Quelle informiert, Nachfragen des LKA Thüringen wurden aber abgeblockt.

Hätten die Drei bereits 1998 festgenommen werden können?
Anders als die Nebenkläger zieht der Senat aber nicht den Schluss, dass der Aufenthalt von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt durch diesen Hinweis sicher hätte ermittelt werden können.
Dass die Ermittler die drei festnehmen hätten können, sei eine "Unterstellung".
Eine Mitverantwortung sei im juristischen Sinne nur gegeben, wenn der Staat etwas mit der Genese der Taten zu tun hätte, so das Gericht.

Für die Anwälte der Familie Yozgat Doris Dierbach und Thomas Bliwier greift diese Argumentation zu kurz.
Sie wollen die Verantwortung des Staates weiter im Prozess thematisieren und aufgeklärt wissen.
Unabhängig von dem betreffenden Beweisantrag ist der V-Mann-Führer von "Piatto" alias Carsten Sz. demnächst erneut als Zeuge im NSU-Prozess geladen.

Ablehnung weiterer Anträge
Das Gericht lehnte auch weitere Beweisanträge der Nebenklage ab, aber auch den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens durch die Verteidigung von Beate Zschäpe.
Deren Wahlverteidiger Hermann Borchert hatte beantragt den Prozess für ca. zwei Jahre auszusetzen, um die digitale Akten-Kopie mit den Originalen zu vergleichen.

BKA-Ermittlerin korrigiert frühere Aussage
Am Vormittag musste außerdem eine Kriminalkommissarin des BKA ihre frühere Aussage vor Gericht korrigieren.
Darin ging es erneut um die Frage, wann Beate Zschäpe vom Tod ihrer beiden Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erfahren haben kann.
Nach Recherchen des MDR-Korrespondenten Matthias Reichert, sendete am 4.11.2011 MDR Thüringen bereits um 14 Uhr die Explosion eines Wohnmobils in Eisenach und den Fund zweier Leichen .
Theoretisch könnte Beate Zschäpe diese Meldung gehört haben, so die BKA-Ermittlerin.
Um 15.05 Uhr legte Zschäpe die gemeinsame Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand.


 
282. Verhandlungstag: Verhandlungstag im Schnelldurchlauf !

Das Gericht will sich im NSU-Prozess offenbar nicht mehr lange aufhalten lassen.
Im Stakkato schmetterte es am 282. Verhandlungstag einen Beweisantrag nach dem anderen ab.

Beate Zschäpe beim Bettenmachen im Wohnmobil, Uwe Mundlos startet einen Bootsmotor und Uwe Böhnhardt testet einen Liegestuhl.
Eine halbe Stunde lang betrachtete das Gericht unter der nicht gerade überwältigenden Anteilnahme von zwölf Journalisten und sechs Zuschauern Urlaubsphotos des NSU-Trios.
Der Erkenntnisgewinn aus dem, was die Polizei auf einem Datenspeicher gefunden hatte und was heute an die Wand des Münchener Gerichtssaals projeziert wurde, hielt sich eher in Grenzen: drei junge Leute machen Campingurlaub an der Ostsee.

Beweisanträge reihenweise abgeschmettert
Dass die drei inkognito auf der Insel Fehmarn waren, konnte man auf den Schnappschüssen nicht erkennen.
Ohnehin beschlich einen am 282. Tag des NSU-Verfahrens das Gefühl, dass der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine vier Beisitzer bereits genug Informationen haben, um die Beweisaufnahme nach nunmehr über drei Jahren Verfahrensdauer abschließen zu können.
Im Stakkato schmetterten sie am Nachmittag einen Beweisantrag nach dem anderen ab, bei denen es um die Befragung weiterer Zeugen oder Einblicke in noch nicht gelesene Akten ging.
Das alles, was da von den Anwälten beantragt worden war, sei zur weiteren Sachaufklärung nicht notwendig - und auch nicht zur Wahrheitsfindung in diesem Verfahren.

Und so wird morgen weiter an der Wahrheitsfindung in Sachen NSU gearbeitet.
Am 283. Tag will die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihren Anwalt Mathias Grasel Anworten auf Fragen des Gerichts vortragen lassen.
Bereits heute suchten Prozessbeobachter in ihren Unterlagen, um sich zu erinnern, was das Gericht vor vier Wochen eigentlich von Beate Zschäpe wissen wollte.


 
NSU-Skandal: Handy von V-Mann Corelli aufgetaucht !

Berlin - Bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit dem NSU-Terrortrio ist überraschend ein weiteres Mobiltelefon des 2014 gestorbenen V-Manns Corelli aufgetaucht.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) informierte heute darüber den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Dessen Vorsitzender Clemens Binninger nannte die Umstände des Fundes sicher kritikwürdig.
Welche Daten auf dem Handy gespeichert sind, prüft derzeit das Bundeskriminalamt.

Das Telefon, das jahrelang verschwunden war, war im Sommer 2015 in einem Panzerschrank des BfV aufgetaucht.
Dort soll es vier Jahre lang gelegen haben.
Erst jetzt konnte es angeblich dem V-Mann zugeordnet werden.

Corelli gilt als eine Schlüsselfigur im NSU-Skandal und bei den Ermittlungen um mögliche Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die Aktivitäten der rechtsterroristischen Gruppe.
Corelli war bis 2012 V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Im April 2014 wurde der damals 39-Jährige in seiner Wohnung in Paderborn tot aufgefunden.
Gutachter stellten als Todesursache einen Zuckerschock infolge unerkannter Diabetes-Krankheit fest.


 
283. Verhandlungstag: Ein Räuberleben wie bei Hotzenplotz !

Im NSU-Prozess ging es heute um das Räuberleben des NSU-Trios.
Im weiteren Verlauf des 283. Verhandlungstages verlas Wahlverteidiger Hermann Borchert die Antworten der Fragen, die Richter Götzl Tschäpe vor über einem Monat gestellt hatte.

Was für ein herrliches Räuberleben muss das gewesen sein: die Beute aus den Raubüberfällen unterm Bett und hinterm Schrank, und wochenends manchmal tagelange Runden beim Kartenspiel ‚Doppelkopf‘.
Nicht vom Leben des Räuberhauptmanns Hotzenplotz ist hier die Rede, sondern vom NSU-Trio.
Und manchmal, für die Doppelkopf-Runden, war auch ihr mutmaßlicher Unterstützer Holger G. dabei.

Paradiesische Zustände
Das, und nicht viel mehr, war der Kern dessen, was heute von Beate Zschäpe, der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, zu vernehmen war.
Natürlich nicht direkt, sondern über die Stimme ihres Wahlverteidigers Hermann Borchert.
Der verlas die Antworten auf Fragen, die Richter Götzl Zschäpe vor mehr als einem Monat gestellt hatte, und die sie, wie schon gewohnt, nicht selber beantwortete.

Die 41-Jährige verfügte im Untergrund über große Geldbeträge, die sich in einer Kassette in der Abstellkammer ihrer Wohnung in der Zwickauer Frühlingstraße befand.
Meistens zwischen 5.000 und 10.000 Euro, die von den beiden Uwes immer wieder aufgefüllt wurde.
Paradiesische Zustände, könnte man meinen.

Gestohlenes Kennzeichen blieb unentdeckt
Da kommen Fragen ungelegen, die sich um die Übergabe der Mordwaffe Ceska an das NSU-Trio drehen.
Zschäpe verneint, dabei gewesen zu sein, sie will sich ja auch nicht selbst belasten, das ist ihr Recht.

Und man wundert sich noch über eine andere Episode aus dem Räuberleben, wie die folgende, die vielleicht das frühe Ende des Nationalsozialistischen Untergrunds bedeutet hätte: Kurz nach ihrem Untertauchen im Jahr 1998 fuhren Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach Hannover, um Holger G. zu besuchen.
Auf dem Weg dorthin gerieten sie mit ihrem Auto in eine Kontrolle der Polizei.
Am Fahrzeug war ein gestohlenes Kennzeichen montiert, erzählt Zschäpe, aber das blieb unentdeckt.


 
Kriminelle NSU-Helfer sollen auch V-Leute gewesen sein !

München - Im NSU-Komplex droht die nächste V-Mann-Affäre.
Ein Zwillingsbrüderpaar aus Jena, das in den 1990er Jahren eine kriminelle Bande angeführt und den NSU mit Waffen versorgt haben soll, habe zur selben Zeit als V-Personen mit Beamten des thüringischen Landeskriminalamts zusammengearbeitet.

Das berichtet der MDR. Die beiden Brüder gelten als mutmaßliche Waffenbeschaffer der späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Sie waren bereits als Zeugen zum NSU-Prozess geladen, hatten aber ihre Aussagen verweigert.


 
284. Verhandlungstag: "Moin, Moin"!

Weil der Wohnwagen zu klein war, verließ das Trio 2004 einen Campingplatz.
Aber wohin fuhren Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe dann?

Kunibert W. ist offensichtlich ein Mann mit heiterem Gemüt.
Als er den Gerichtssaal betritt, ruft er fröhlich ein "Moin, Moin" in die Runde.
So ist Richter Manfred Götzl in gut drei Jahren NSU-Prozess noch nie von einem Zeugen begrüßt worden.

Der 66-jährige Kunibert W. betrieb 2004 den Campingplatz "Mußbergwiese" in Ascheberg nahe Plön in Schleswig-Holstein.
Er erinnert sich noch gut, wie im Sommer 2004 zwei Männer und eine Frau in seinem Kiosk standen und sagten, sie hätten einen Wohnwagen auf dem Campingplatz reserviert.
Als sie das gemietete Domizil dann sahen, war es den Urlaubern aber zu klein.
Das Trio beriet sich kurz und verließ den Campingplatz dann.

Kunibert W. kann die zwei Männer und die Frau nicht mehr näher beschreiben.
Er erkennt aber im Gerichtssaal den Beleg einer Überweisung, mit der eine Anzahlung für den reservierten Wohnwagen geleistet wurde.
Dieser Beleg wurde in der ausgebrannten Wohnung des Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden.

Aufenthaltsorte ungeklärt
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe blieben also nicht in Ascheberg - aber wohin fuhren sie dann?
Rund einen Monat lang hatte das Trio damals einen Golf Variant gemietet, aber weitere Aufenthalte seien nicht belegt, erklärte heute ein Kriminalbeamter im Zeugenstand.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, wieviel rund um die Terrorzelle noch im Dunkeln liegt.
Der Verhandlungstag zeigte aber auch, dass solche Fragen im Prozess mehrheitlich nicht mehr geklärt werden.
Die Beweisaufnahme geht dem Ende entgegen.
Einmal mehr lehnte das Gericht Anträge ab, darunter einen mehrere Jahre alten Ablehnungsantrag der Zschäpe-Verteidigung gegen einen Landgerichtsarzt, der die Hauptangeklagte 2014 im Prozess auf ihre Verhandlungsfähigkeit untersucht hatte.

Mittelbayerischer NPDler muss nicht in den Zeugenstand
Abgelehnt wurde auch der Antrag, den Straubinger NPD-Politiker Sascha Roßmüller als Zeugen zu laden.
Die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben hatte das gefordert.
Geklärt werden sollte die Rolle des Angeklagten und Kronzeugen im Verfahren Carsten S. in der Jugendorganisation der NPD.
Sascha Roßmüller war im fraglichen Zeitraum deren Bundesvorsitzender.
Das Gericht lehnte eine Ladung Roßmüllers nun aber ab.
Aus Sicht des Senats ist die Rolle von Carsten S. in der NPD-Nachwuchsorganisation bereits eindeutig geklärt.


 
285. Verhandlungstag: BKA-Beamtin in Erklärungsnot !

Stundenlang wurde eine Ermittlerin teils sehr konfrontativ befragt und machte dabei nicht immer eine gute Figur.

Es sind zentrale Angaben für die Anklage im NSU-Prozess – die Aussagen des Kronzeugen Carsten S.
Er hat eingeräumt, den Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt eine Pistole mit Schalldämpfer übergeben zu haben und sitzt deswegen nun auf der Anklagebank in München.
Den Mitangeklagten und Ex-NDP-Funktionär Ralf Wohlleben hat Carsten S. als Auftraggeber der Waffenbeschaffung schwer belastet.
Vor allem eine lange zurückliegende Vernehmung von S. stand nun im Mittelpunkt des heutigen Verhandlungstages.
Auf dem Zeugenstuhl: die Hauptkommissarin Ellen G. vom Bundeskriminalamt.
Sie war im Februar 2012 dabei, als Carsten S. rund acht Stunden lang in einer Polizeiwache in Köln befragt wurde.

Wie wurde der Kronzeuge vernommen?
Die Wohlleben-Verteidigung versuchte, die Angaben der Polizistin zu erschüttern, um so Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Carsten S. zu säen.
Wie lief die Vernehmung in Köln damals ab?
Was genau fragten die Ermittler?
Wurde wirklich alles protokolliert?
Wie wurde Carsten S. über seine Rechte aufgeklärt?
Die Zeugin G., eine erfahrene Kriminalbeamtin, wirkte in ihren Antworten nicht immer sehr sicher.
Mal schien ihr der durchaus wichtige Unterschied zwischen der Befragung als Beschuldigter oder als Zeuge nicht geläufig.
Mal sprach sie erst davon, Carsten S. habe bei der vorgeschriebenen Belehrung vor der Vernehmung noch zusätzliche mündliche Erläuterungen bekommen, um nach hartnäckigen Nachfragen der Wohlleben-Verteidigung dann einzuräumen, mit ihrer ersten Antwort habe sie "einigermaßen falsch" gelegen.

Disput zwischen Verteidiger und Bundesanwalt
Vor allem Wohlleben-Anwalt Olaf Klemke befragte die Zeugin sehr konfrontativ, was mehrmals zu Wortgefechten mit Bundesanwalt Jochen Weingarten führte.
Der warf Klemke vor, die Zeugin vorführen zu wollen.
Klemke erwiderte, Weingarten vergifte das Verhandlungsklima.
Morgen könnte der Disput in die nächste Runde gehen.
Dann will das Gericht den Kollegen der Zeugin G. befragen.
Thema: Dieselbe Vernehmung von Carsten S..


 
286. Verhandlungstag: Soll der V-Mann in der Hauptverhandlung vernommen werden ?

Die Ankündigung von Prozessbeteiligten, sie würden eine 40-seitige Erklärung verlesen, löst für gewöhnlich beim Gerichtsreporter nicht gerade helle Freude aus.
Aber heute war das anders.

Heute ging es um einen Kernkonflikt des NSU-Prozesses, der seit drei Jahren und 286 Verhandlungstagen am Münchner Oberlandesgericht seinen nicht enden wollenden Lauf nimmt.
Ganz allgemein könnte man das Kernthema so formulieren: Welche Aspekte von Tat und Schuld gehören in den Prozess, und welche nicht?

Deckname Primus
Bereits in der Vergangenheit hatte der 6. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl deutlich gemacht, dass er nicht bereit ist, die Frage aufzuklären, ob der Verfassungsschutz die Taten des NSU hätte verhindern können.
Zuletzt lehnte das Gericht einen Beweisantrag der Nebenklage ab, den Zeugen Ralf M. zu laden. M. war V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz - Deckname Primus.

Wie Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt lebte er in Zwickau, betrieb dort rechte Szeneläden, kannte das Trio und dessen Freunde.
Zeugen berichten, Mundlos und Zschäpe hätten für "Primus" gearbeitet.
Möglicherweise leistete dieser sogar Beihilfe: Er könnte ein Fahrzeug angemietet haben, das bei NSU-Morden in Nürnberg und München benutzt wurde.

Mehrere Nebenklage-Anwälte widersprechen der Haltung des Gerichts nun in einer so genannten Gegenvorstellung.
Darin geht es um die Rolle des V-Manns M.
Anders als der Senat halten es die Opferanwälte für relevant, wichtig und notwendig, den V-Mann in der Münchner Hauptverhandlung zu vernehmen.
Schließlich habe möglicherweise auch das Bundesamt für Verfassungsschutz von den rechten Aktivitäten M.s gewusst.

Überdenkt das Gericht seine Haltung?
Mit der Gegenvorstellung hoffen die Anwälte, dass das Gericht seine ablehnende Haltung zur Ladung M.s noch einmal überdenkt.
Der Vorsitzende Richter Götzl und seine Kollegen sind jetzt gezwungen, erneut Stellung zu nehmen.
Dass demnächst die Mitverantwortung staatlicher Behörden für das unbehelligte Leben des NSU-Trios im Untergrund untersucht wird, wäre höchst spannend.
Es ist aber nicht zu erwarten, dass das Gericht seine Haltung ändert.


 
287. Verhandlungstag: Deckname "Otto" !

Tino Brandt war in den 1990er Jahren einer der aktivsten Neonazis in Thüringen, Landesvizevorsitzender der NPD sowie Mitinitiator des "Thüringer Heimatschutzes", aus dem der NSU hervorging.
Was die rechte Szene bis 2001 nicht wusste: Unter dem Tarnnamen "Otto" arbeitete Brandt auch als V-Mann für den Verfassungsschutz.
Heute war er erneut Zeuge im NSU-Prozess.

Deckname "Otto": Unter diesem Titel erschien vor einigen Jahren ein Buch über den venezolanischen Revolutionär und Bankräuber Oswaldo Barreto Miliani, dessen Gestalt von Jugend an Gerüchte und Legenden umgaben.
Es kann nur Zufall sein, dass Tino Brandt vom thüringischen Verfassungsschutz den gleichen Tarnnamen verpasst bekam, denn die Geschichte des 41-jährigen Brandt ist kein Stoff für einen Helden-Roman.
Brandt soll schon als Schüler in seiner Heimatstadt Rudolstadt "national befreite Zonen" ausgerufen haben.
Rund 200.000 D-Mark hat der Neonazi angeblich bis zu seiner Enttarnung im Jahre 2001 von den Verfassungsschützern kassiert - Geld, dass er nach eigener Aussage vor allem in den Aufbau der Neonazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz" steckte.

Wer zahlte für die Mordwaffe?
Bereits zwei mal musste Brandt als Zeuge im NSU-Prozess aussagen.
Heute nun ging es um die Finanzierung der Pistole "Ceska", mit der laut Anklage neun der insgesamt zehn Opfer des NSU getötet wurden.
Der wegen Beihilfe angeklagte Carsten S. hatte gestanden, die Pistole bei dem Betreiber eines Szeneladens in Jena gekauft zu haben.
Das Geld dafür soll ihm der ebenfalls angeklagte Ralf Wohlleben gegeben haben.
Wohlleben bestreitet das aber.
Seine Verteidiger behaupten, dass nicht Wohlleben, sondern Brandt das Geld für die Waffe aufgebracht habe.
Der sei ja dank seiner V-Mann-Tätigkeit immer gut bei Kasse gewesen.

Wohlleben nicht entlastet
Es sei richtig, dass damals viel Geld geflossen sei, sagte Brandt heute.
Meist habe er "Kameraden" für Aktionen oder die Organisation von "Jugendarbeit" Geld zugesteckt.
Seine Kontaktleute beim Geheimdienst hätten ihm Bargeld zur Verfügung gestellt, das er auch bar weitergereicht habe.
An eine konkrete Geldübergabe an Carsten S. konnte sich Brandt allerdings nicht erinnern.
Waffen seien zudem nie ein Thema gewesen, sagte er auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl.
Über den Kauf von Waffen habe er mit niemand, auch nicht mit Carsten S., geredet.
Wohlleben, der nach wie vor in Untersuchungshaft sitzt, wurde also nicht entlastet.

Brandt inhaftiert
Übrigens: Oswaldo Barreto Miliani, der Revolutionär mit dem gleichen Decknamen wie Brandt, tauchte nach seinem Bankraub in Europa unter, um nicht inhaftiert zu werden.
Ganz anders Brandt: Er wurde heute von Justizbeamten nach München gebracht.
Der Mann sitzt nämlich normalerweise in der Strafanstalt Tonna in Thüringen im Gefängnis - nicht etwa wegen seiner jahrelangen rechtsradikalen Umtriebe, sondern wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, sowie der Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und der Förderung von Prostitution in 66 Fällen.


 
288. Verhandlungstag: Carsten S. und die Frage der Reife !

Wie reif war der mutmaßliche NSU-Waffenbeschaffer Carsten S. zur Tatzeit ?
Dazu wurde ein forensischer Psychiater gehört.
Von der Entscheidung des Gerichts wird abhängen, ob beim Angeklagten Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet wird.

Es ging am Vormittag vor allem um die Frage, ob bei Carsten S., der im NSU Prozess wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt ist, Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet werden muss.
S. hat gestanden, die Waffe "Ceska" mitbesorgt zu haben, mit der neun der insgesamt zehn NSU-Opfer getötet wurden.
Zur Reife des Angeklagten zur Tatzeit wurde heute ein sachverständiger Zeuge gehört.
Die Einschätzung ist vor allem für die Höhe der Strafe im Falle einer Verurteilung wichtig.

Der forensische Psychiater Norbert Leygraf von der Universität Duisburg-Essen hatte Carsten S. im März und April 2011 in drei Sitzungen untersucht.
Es war nicht das erste Mal, dass der Sachverständige im NSU-Prozess aussagte.
Vieles, was er heute berichtete, war schon einmal Thema des Verfahrens.
Leygraf zeichnete das Bild eines unsicheren jungen Mannes, der Mitte der 1990er Jahre über einen Bekannten in die rechte Szene in Jena geriet und hier vor allem Selbstbestätigung suchte.

Neonazi fürs Selbstwertgefühl
In der Schule sei Carsten S. nach eigenen Angaben immer einer der Schwächeren gewesen.
Unter den jungen Neonazis habe er ein erhebendes Gefühl gehabt, berichtete S. dem Psychiater.
Uwe Böhnhardt sei für ihn ein toller Mann gewesen.
Der Angeklagte sei homosexuell, habe seine Neigungen aber vor seinen rechten Freunden verbergen müssen, sagte Leygraf.
Ihm sei klar gewesen, das Homosexualität nie akzeptiert worden wäre.
Carsten S. hätte sich deshalb 2001 entschlossen, aus der rechten Szene auszusteigen.

Vergangenheitsaufarbeitung
Eine eindeutige Einschätzung, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommen müsse, sei nach so langer Zeit schwierig, sagte Leygraf.
Bei Alltagsaufgaben sei Carsten S. gut entwickelt gewesen.
Bindungsfähigkeit und sexuelle Identitätsfindung wären aber noch nicht ausgereift gewesen.
Letztlich müsse das Gericht entscheiden.
Dass sich Carsten S. aber vor Abschluss seines 20. Lebensjahres aus der rechten Szene zurückgezogen und versucht habe, seine rechte Vergangenheit mit einem Sozialpädagogikstudium aufzuarbeiten, zeige, dass er noch Entwicklungspotenzial gehabt, aber und nicht ausgereift war.


 
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