Der NSU Prozess !

BKA-Ermittler berichtet über Beweisstücke !

München - Ein Ermittler des Bundeskriminalamtes soll heute als Zeuge im NSU-Prozess über Beweismittel aussagen, die er ausgewertet hat.
Der Beamte gehört einer Gruppe an, die auf Computertechnik spezialisiert ist.

In den Hinterlassenschaften des "Nationalsozialistischen Untergrunds" waren zahlreiche Computer und Festplatten sichergestellt worden.
Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, eines der drei NSU-Mitglieder gewesen zu sein.
Ihre beiden mutmaßlichen Komplizen sollen aus überwiegend rassistischen Motiven zehn Menschen erschossen und zwei Sprengstoffanschläge verübt haben.


 
299. Verhandlungstag: Es wird eng für Ralf Wohlleben !

Die Richter lehnten einen für den Angeklagten Ralf Wohlleben entscheidenden Antrag ab.
Für seine Verteidiger wird es nun fast unmöglich werden, seine Rolle bei der Beschaffung der NSU-Mordwaffe noch zu schmälern.

Wochenlang hatten die Anwälte des 41-Jährigen Neonazis aus Thüringen auf die Entscheidung der Richter gewartet.
Dann die Klatsche.
Ein früherer Schweizer Waffenhändler, der in der Zwischenzeit nach Ecuador ausgewandert ist, wird nicht als Zeuge nach München geladen.
Nach der bisherigen Beweisführung sei das "nicht erforderlich".
Ebenfalls "nicht erforderlich" seien Nachforschungen, ob jener Waffenhändler weitere Pistolen desselben Typs nach Deutschland verkauft hat und ob das Kundenverzeichnis korrekt geführt worden ist.

Das Gericht legt sich fest
Die Bundesanwaltschaft wirft dem 41-jährigen Wohlleben, der in U-Haft sitzt, vor, dass er den Kauf der "Ceska" organisiert hat.
Der bestreitet das.
Schließlich hätte die mutmaßliche Mordwaffe auch auf anderen Wegen zu den Mitgliedern des NSU gelangen können.

Die Seriennummer der Waffe war zwar herausgefeilt worden, allerdings konnte sie von Kriminaltechnikern rekonstruiert werden.
Anhand der Nummer habe sich der Weg der Waffe korrekt zurückverfolgen lassen.
Der Senat ist sich sicher: Der Käufer war bei dem Schweizer Waffenhändler korrekt eingetragen gewesen.
Es handelte sich um einen Schweizer Mittelsmann, der die "Ceska" dann weitergegeben hat.

Damit folgen die Richter zumindest in diesem Punkt der Anklage.
Die Beweisaufnahme in dem Mammutverfahren neigt sich allmählich dem Ende zu.
Und in den letzten Wochen hörte sich manche Ausführeng des Senats so an, als ob man sich für die ausführliche Urteilsbegründung allmählich warmlaufe.


 
300. Verhandlungstag: Verwirrung um Marcel D.- V-Mann oder nicht ?

Wegen juristischer Fallstricke hat das Münchner Oberlandesgericht die Vernehmung von Marcel D. erneut abgebrochen.
Dabei ging es um die Frage, ob D. Spitzel des Verfassungsschutzes gewesen war oder nicht - und ob er bei früheren Vernehmungen falsche Angaben gemacht hatte.

Schon die vergangenen Auftritte von Marcel D. im NSU-Prozess waren skurril, denn der Zeuge aus der Thüringer Neonaziszene beharrte darauf, kein Spitzel des Verfassungsschutzes zu sein, während der Verfassungsschutz seinerseits jedoch erklärte, D. sei durchaus V-Mann gewesen.
Heute setzte der Zeuge noch eins drauf: Er nahm seine frühere Aussage zurück und erklärte gleichzeitig, gar keine Aussage mehr zu machen – was für einige Verwirrung im NSU-Prozess sorgte.

Ermittlungsverfahren eingeleitet
An der Verwirrung ist auch die Münchner Staatsanwaltschaft nicht ganz unschuldig, denn sie hat wegen der mutmaßlichen Falschaussage Marcel D.s über seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Dies ruht derzeit, ist aber nicht eingestellt.
Weshalb der Zeuge mit einer Verurteilung rechnen kann, und deshalb durchaus das Recht hat, die Aussage zu verweigern.
Allerdings tat er das auf so merkwürdige Art und Weise, dass praktisch alle Prozessbeteiligten den Schluss ziehen mussten: Er hat seine ursprüngliche Aussage gar nicht wirklich revidiert.

Nach eingehenden Diskussionen im Saal A101 waren sich sowohl Verteidiger als auch Nebenkläger, Bundesanwaltschaft und Senat einig, dass das derzeitige Verhalten des Zeugen das schlechtmöglichste ist.
Denn verweigert er jetzt die Aussage, ohne seine mutmaßliche Falschaussage zu revidieren, wird er aus dem Zeugenstand entlassen und eine anschließende Anklage wegen Falschaussage ist dann praktisch unvermeidlich.
Dem könnte er nur entgehen, wenn er seine alte Aussage tatsächlich revidiert.

Antrag auf Entlassung des Zeugenbeistands
Einig war man sich auch darin, dass der Zeugenbeistand, den Marcel D. mitgebracht hatte, ihn sehr schlecht beraten hat.
Verteidiger Olaf Klemke beantragte deshalb, dass der Zeugenbeistand entbunden werden müsse.
Darüber wird nun außerhalb der Hauptverhandlung entschieden, der Zeuge wurde – erneut – vorläufig nach Haus geschickt, mit der Ankündigung: Sie werden wiederkommen müssen.

Anschließend folgten mehrere Erklärungen, Stellungnahmen und Beweisanträge.
So erklärten mehrere Nebenkläger, dass die Aussagen des NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit vergangene Woche im NSU-Prozess absolut unglaubwürdig seien und davon auszugehen sei, dass Petereit für sein Neonazi-Fanzine "Weißer Wolf" durchaus Geldspenden vom NSU erhalten hat.
Außerdem sei klar, dass Petereit und sein Umfeld seit dem Jahr 2002 von der Existenz eines Nationalsozialistischen Untergrunds informiert waren.

Beweise auf Wohllebens Festplatte?
Anschließend nahm die Bundesanwaltschaft zu mehreren Beweisanträgen der Verteidigung Wohlleben Stellung, die sie allesamt für unbegründet hält.
Und Nebenkläger Reinicke reagierte mit einem Beweisantrag auf die Verlesung mehrerer Texte Ralph Wohllebens am gestrigen Verhandlungstag.
Mit der Verlesung dieser Texte, die auf einer Festplatte Wohllebens gefunden worden waren, wollte seine Verteidigung beweisen, ihr Mandant sei gar nicht ausländerfeindlich gewesen.
Reinicke beantragte nun, auch noch andere Dateien von der Festplatte in Augenschein zu nehmen – insbesondere unzählige Neonazi-Musik-Stücke, die durchsetzt sind von Ausländerhass, antisemitischer Hetze und Gewaltphantasien gegenüber Minderheiten.
Diese ließen Rückschlüsse auf die wahre Gesinnung Ralph Wohllebens zu.


 
301. Verhandlungstag: Stundenlanges Gezerre um einen Zeugen mit Erinnerungskratern !

Beate Zschäpe wird vor der Sommerpause wohl nicht mehr auf die zahlreichen Fragen der Nebenkläger antworten.
Das teilte ihr Anwalt heute, am 301. Verhandlungstag des NSU-Prozesses, auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl mit.
Ansonsten standen die Angeklagten Carsten S. und Ralf Wohlleben heute im Fokus.

Der Zschäpe-Anwalt teilte auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl mit, man sei noch nicht dazu gekommen, die Fragen ausreichend zu besprechen.
Offen blieb allerdings, ob Zschäpe die über 300 Fragen überhaupt beantworten will.

So standen die Angeklagten Carsten S. und Ralf Wohlleben heute im Fokus, und das Gericht machte einmal mehr einen Ausflug in das Jena der Jahrtausendwende, in eine Zeit, da das NSU-Kerntrio bereits untergetaucht war und – laut Anklage - S. und Wohlleben den Kontakt zu ihnen hielten.

Wie glaubwürdig sind die Angeklagten?
Zwei Zeugen, die damals in der Neonaziszene rund um den sogenannten Winzer-Club in Jena-Winzerla verkehrten, wurden heute ausführlich von Richter Manfred Götzl befragt.
Einem dritten Zeugen, einstiger Neonazi-Liedermacher, konnte die Ladung nicht zugestellt werden.
Im Zentrum stand die Frage, inwieweit S. und Wohlleben in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt waren – insbesondere in eine Schlägerei an einer Trambahnendhaltestelle in Winzerla, die Carsten S. in seiner Aussage erwähnt hatte.
Und über allem stand die Frage: Wie glaubwürdig ist Carsten S. bzw. wie glaubwürdig ist Ralf Wohlleben, die sich in ihren Aussagen vor dem Oberlandesgericht gegenseitig belastet haben.
Wohlleben hat zudem angegeben, nie gewalttätig gewesen zu sein.

Schlägereien an der Tagesordnung
Beide Zeugen konnten sich heute allerdings nicht an einen konkreten Vorfall erinnern, sagten aber aus, dass die Neonaziszene um den Winzer-Club damals höchst gewalttätig war und körperliche Auseinandersetzungen quasi an der Tagesordnung waren.


Besonders ausführlich widmete sich der Senat der Befragung des zweiten Zeugen, eines ehemaligen Rechtsrockmusikers mit dem Spitznamen "Torte", der aber schon vor rund 15 Jahren der Szene den Rücken gekehrt hat.
Er war nach eigenen Angaben gut mit Carsten S. befreundet und soll ihm – wie er bei der polizeilichen Vernehmung vor drei Jahren einräumte – auch bei einem Einbruch in Beate Zschäpes Wohnung geholfen haben.

Erinnerungslücken auch beim Zeugen "Torte"
Vor Gericht zeigte er allerdings große Erinnerungslücken, um nicht zu sagen: regelrechte Erinnerungskrater, die er unter anderem auf seinen früheren exzessiven Konsum von Cannabis und anderen Drogen wie Speed und Kokain schob.
Immerhin scheinen ihm die Drogen auch den Weg aus der Neonaziszene gewiesen haben.
Sie hätten seinen Blick für andere Sichtweisen geöffnet und seien zudem mit dem Selbstverständnis eines Neonazis nicht vereinbar gewesen.
Deshalb sei er ausgestiegen.
Der Zeuge gab an, auch nach seinem Ausstieg mit Carsten S. zu tun gehabt zu haben.
Nach einigen Jahren der Funkstille sei man 2007 wieder in Kontakt getreten.
Auf die Frage von Richter Götzl, ob er denn jetzt noch Kontakt mit dem Angeklagten habe, antwortete der Zeuge: "Nein, leider nicht mehr."


Viel Neues hatte der Zeuge heute nicht zu bieten, zu den allermeisten Fragen hatte er nicht mehr zu sagen als "Ich kann mich nicht mehr erinnern."
Dabei hätte er vermutlich Interessantes zu berichten gehabt.
So soll er ausweislich einer Mitteilung des Thüringer Verfassungsschutzes dabei gewesen sein, als der Jenaer Neonazi André K. bei dem bayerischen Verleger Dehoust in Coburg Geld für die drei Untergetauchten besorgte.
Mit dem Geld sollten demnach Reisepässe für die Flucht ins Ausland gekauft werden.
Doch auch daran konnte oder wollte sich der Zeuge nicht erinnern.

Dennoch wurde er über Stunden von den Prozessbeteiligten gelöchert, insbesondere von der Verteidigung Wohlleben, der es besonders darum ging, anhand der Befragung des Zeugen die Glaubwürdigkeit von Carsten S. und nebenbei auch der Vernehmungspraktiken des BKA anzuzweifeln.
Selbst der Angeklagte Carsten S. meldete sich zu Wort und richtete persönlich einige Nachfragen an seinen früheren Freund.
Doch auch hier lautete die Antwort meist: "Ich weiß es nicht mehr."

Als anschließend noch die Nebenklage Fragen an den Zeugen richtete, schritt Wohlleben-Verteidiger Olaf Klemke wiederholt ein, woraufhin sich ein stundenlanges Hin und Her mit mehreren Gerichtbeschlüssen über die Zulässigkeit von einzelnen Fragen entwickelte.


 
302. Verhandlungstag: Der peinliche Zeugenflüsterer !

Oft fangen Prozesstage mit ganz harmlos klingenden Fragen an und enden für manch einen Beteiligten in der totalen Blamage.
Eine solche erlebte am 302. Verhandlungstag des NSU-Prozesses der Anwalt eines rechten Szenezeugen.

Die harmlos klingende Frage lautete: "Es geht darum, ob Sie mal einen NSU-Brief bekommen haben.
Was wissen Sie dazu?"
Der heutige Zeuge Torsten A. sollte die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl beantworten.
Gar nicht so leicht für einen Szenezeugen, der sich nicht erinnern will.

Szenezeuge A. gab rechte Szenezeitschrift heraus
Torsten A. hat früher W. geheißen und war seit 1998 Herausgeber des Wolfener Neonazi-Fanzines "Fahnenträger".
Im Jahr 2002 soll er einen anonymen Brief bekommen haben - darin auch 500 Euro und das Logo des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Darum ging es in der heutigen Vernehmung.
Zeuge A. machte angebliche Erinnerungslücken geltend, seine häufigste Antwort auf die Fragen Götzls lautete: Kann mich nicht mehr daran erinnern.

Erinnerungslücken
Für die Prozessbeobachter wurden Erinnerungen an frühere Verhandlungstage wach, in denen das Gericht rechten Szenezeugen mit angeblichen Gedächtnislücken nicht am Zeug flicken konnte, obwohl jeder im Saal wusste, dass die Zeugen logen.
Wer aber dachte, heute würde der Verhandlungstag wieder genauso ablaufen, hatte nicht mit Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten von der Karlsruher Bundesanwaltschaft gerechnet.

"Sagen Sie, dass Sie die nicht kennen ..."
Weingarten fragte irgendwann nach A.s Freunden im Jahr 2002.
Der Zeuge zögerte, er wollt die rechten Freunde nicht nennen.
Dann flüsterte ihm sein Rechtsbeistand, Anwalt Dr. Dr. Egbert Gueinzius aus Wolfen, etwas ins Ohr.
Später gaben mehrere Prozessbeteiligte an, Gueinzius habe seinem Mandanten so oder ähnlich empfohlen: "Sagen Sie, dass Sie die nicht kennen oder sich nicht erinnern!"

Blamage für Zeugenbeistand
Ein folgenschwerer Fehler, der für den Wolfener Strafverteidiger sofortige Konsequenzen hatte.
Das Gericht schloss ihn von der Verhandlung aus.
Im mittlerweile über drei Jahre dauernden NSU-Prozess war das ein Novum.
Zwar war bereits vergangene Woche ein Zeugenbeistand nach Hause geschickt worden.
Doch der wurde nur entpflichtet, er darf als Wahlverteidiger wiederkommen.
Nicht so Gueinzius: Der 80-jährige studierte DDR-Jurist ist raus aus dem Verfahren.
Sein Mandant, der im September noch einmal im NSU-Prozess aussagen muss, wird sich bis dahin einen neuen Beistand suchen müssen.

Und dann noch das Auto
Das war aber noch nicht alles.
Als Gueinzius das Gericht verließ, war sein Auto weg.
Geparkt hatte der Wolfener Strafverteidiger direkt vor dem Gericht, in einem Bereich, wo nur Einsatzfahrzeuge von Polizei und Hilfsorganisationen stehen dürfen.
Die Polizei hatte das Fahrzeug des Wolfener Anwalts abschleppen lassen.


 
303. Verhandlungstag: Urlaubs-Schnappschuss mit Folgen !

Der Angeklagte Holger G. traf das untergetauchte Terrortrio in den Ferien.
Das belegt ein Urlaubsfoto, wie der 303. Verhandlungstag des NSU-Prozesses erwies.
G. hatte das bisher nicht eingeräumt.

Die Nahaufnahme zeigt einen jungen Mann mit Baseballkappe und Sonnenbrille, der direkt in die Kamera schaut.
Als Prozessbeobachter meint man in jenem Mann sofort den Angeklagten Holger G. zu erkennen, aber das Gericht wollte es am 303. Verhandlungstag ganz genau wissen und hatte eine Sachverständige des Bundeskriminalamts als Zeugin geladen.
Die Expertin hatte die Aufnahme des Unbekannten mit Sonnenbrille mit polizeilichen Fotos des Angeklagten G. verglichen und erläuterte nun im Gerichtssaal ausführlich eine ganze Reihe von übereinstimmenden Gesichtsmerkmalen.
Das Fazit der Sachverständigen: Der Mann mit Sonnenbrille sei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" Holger G.
Nur ein Vergleich mit einem Zwillingsbruder von G. hätte aus Sicht der Expertin zu einem ähnlichen Untersuchungsergebnis führen können.

Kein guter Tag für Holger G.
Kurz danach wurde dann eine ganze Reihe von Urlaubsbildern des NSU-Trios an die Wände des Gerichtssaals projiziert.
Die Bilder wurden in einem Sommerurlaub von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gemacht.
Sie zeigen die Drei auf einem Campingplatz und auch bei mindestens einem Ausflug in die Umgebung.
Dabei entstand offensichtlich auch die Aufnahme von Holger G. Sie ist unter den Urlaubsfotos, die aus dem Jahr 2006 stammen.
Damals hatte der NSU - der Anklage zufolge - bereits neun Morde begangen.
Holger G. will sich nach eigenen Angaben aus der Neonazi-Szene damals bereits gelöst haben.
Dass er seine Jenaer Freunde Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auch nach seinem angeblichen Szene-Ausstieg traf, hat G. eingeräumt.
Von dem Urlaubstreffen allerdings hat er bisher nichts berichtet.

Gericht räumt weiter Anträge ab
Der Staatsschutzsenat nutzte den Verhandlungstag auch, um eine ganze Reihe von Beweisanträgen abzuschmettern.
Unter anderem hatte die Nebenklage verlangt, jenen Verfassungsschützer als Zeugen zu laden, der Ende 2011 die Vernichtung von Akten zur rechten Szene angeordnet hatte - kurz nach Auffliegen des NSU.
Der ehemalige Verfassungsschützer mit dem Decknamen "Lothar Lingen" wird aber nicht als Zeuge in den Münchner Gerichtssaal kommen müssen.
Seine Befragung sei für die Aufklärung der angeklagten Straftaten nicht von Bedeutung, entschied das Gericht.


 
304. Verhandlungstag: Erwartung tendiert gegen Null !

Im NSU-Prozess steht die vierte Sommerpause bevor.
Wer die Hoffnung hegte, dass Beate Zschäpe davor noch Stellung zum 300-Fragen-Komplex bezieht, wurde - wieder einmal - enttäuscht.
Die Erwartung, dass sie überhaupt noch etwas zur Aufklärung des NSU-Terrors beitragen werde, tendiert inzwischen gegen Null.

Seit drei Jahren und vier Monaten wird nun im Münchner Strafjustizzentrum in Sachen NSU verhandelt.
Und damit wird das Oberlandesgericht am 2. August 2016 - also nach dem 305. Verhandlungsstag - zum vierten Mal in die sommerlichen Gerichtsferien gehen.
Die Hoffnung, vor der mehrwöchigen Unterbrechung noch einige Erklärungen der Hauptangeklagten zu den mittlerweile über 300 an sie aufgelaufenen Fragen zu bekommen, zerstob heute in einer Flut von Beanstandungen, Gegenvorstellungen, neuen Beweisanträgen und prozessualen Verbalattacken.

Wohlleben-Verteidigung attackiert erneut Bundesanwaltschaft
Unter anderem warf Olaf Klemke, der Anwalt des angeklagten Ralf Wohhlleben, der Bundesanwaltschaft vor, Zeugenaussagen selektiv in das Verfahren einzuführen, um die Anklage damit zu stützen.
Der Protest der drei Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts gegen diese Unterstellung ließ erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten und wird sich wohl noch in einer längeren Erwiderung niederschlagen
Fazit: Es zieht sich weiter in die Länge.
Die Festlegung weiterer Verhandlungstage nun bis September 2017 durch den Senatsvorsitzenden könnte sich als äußerst umsichtig erweisen - und nicht als voreilig, wie manche Kritiker meinten.

50 Fragen an Zschäpe beanstandet
Ob Beate Zschäpe nun zu allen anstehenden Fragen schriftlich Stellung nehmen wird, ist ohnehin ungewiß.
Heute Vormittag beanstandete nämlich Wolfgang Heer - einer der drei Verteidiger der Hauptangeklagten, aus der Anfangszeit des Prozesses und immer noch als Pflichtverteidiger bestellt - gut 50 von über 300 Fragen der Opferanwälte.
Nahezu ausnahmlos ging es dabei um Fragen, die von den Nebenklageanwälten an Zschäpe gerichtet worden waren.
Schlag auf Schlag bezeichnete Heer eine Frage nach der anderen wechselweise als "unbegründet" oder "unzulässig " - und im Idealfall als beides zusammen.

Wann lässt die Hauptangeklagte antworten?
Man darf gespannt sein, ob der morgige Verhandlungstag ausreicht, um die Gegenvorstellungen der Fragesteller in das Verfahren einzubringen.
Dann muss das Gericht entscheiden, ob die Hauptangeklagte mit dem einen Fragenkomplex konfrontiert werden darf und eventuell mit dem anderen nicht.
Dann kommt, mit Sicherheit nach der Sommerpause, der Augenblick, in dem Zschäpe huldvoll entscheidet, ob sie antworten lassen möchte - oder eben nicht.
Der Gleichmut, mit dem der Senatsvorsitzende das alles hinnimmt, spricht Bände.
Die Erwartung, dass die Hauptangeklagte noch etwa zur Aufkläung des NSU-Terrors beitragen wird, ist wohl bei Null angelangt.


 
305. Verhandlungstag: Im NSU-Prozess geht es jetzt ans Eingemachte !

Die Verteidigung von Ralf Wohlleben wird immer nervöser und die neue Strategie von Beate Zschäpe scheint auch nicht aufzugehen.
Vor allem für diese beiden Angeklagten könnte es im NSU-Prozess nach der Sommerpause sehr eng werden.

Immer wieder werden einem als Reporter vom NSU-Prozess folgende Fragen gestellt: Warum dauert das Ganze eigentlich so lange?
Ist das nicht eine Verschwendung von Steuergeldern? Kommt da am Ende überhaupt irgend etwas Gescheites heraus?
Nun geht das Verfahren tatsächlich schon in seine vierte Sommerpause - und dennoch muss der Reporter konstatieren: Bis auf einige Ausnahmen waren alle Tage, die er im Saal A 101 verbracht hat, relevant, interessant, manchmal erschütternd, manchmal auch spannend.

Auch heute, am 305. Verhandlungstag, als ein Großteil der Prozessbeteiligten und auch der Pressevertreter nur noch der Sommerpause entgegenfieberte und sich Zeugenvernehmung, Stellungnahmen, Beanstandungen, Erwiderungen etc. zogen und zogen, während sich die anfangs gut besetzten Zuschauerränge nach und nach leerten, muss gesagt werden: Es war wieder ein interessanter Tag.
Natürlich nervt manch scheinbar überflüssiger Schlagabtausch zwischen Verteidigern, Bundesanwälten, Nebenklägern oder dem Vorsitzenden Richter. Andererseits zeigt die Vehemenz, mit der diese geführt werden, auch, dass es im NSU-Prozess langsam ans Eingemachte geht - jedenfalls für die Angeklagten und hier ganz besonders für Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben.

Wohlleben-Verteidigung wird nervös
Wohllebens Verteidiger, die ja allesamt selbst entweder maßgeblich für die rechte Szene tätig sind oder zu ihr zählen, teilen längst immer wütender aus, sprechen von Manipulation, rechtswidrigem Verhalten, unfairem Verfahren usw.
Ein Grund dafür ist vermutlich: Inzwischen deutet einiges darauf hin, dass das Gericht im Falle Wohlleben der Bundesanwaltschaft weitgehend folgen wird, was auf einen Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord hinauslaufen würde.

Hat sich Zschäpe verrechnet?
Und bei Zschäpe zeigt sich immer deutlicher: Vermutlich war die Schweige-Strategie ihrer entmachteten Altverteidiger die bessere.
Ihre neue Strategie, das Schweigen zwar einerseits zu brechen, aber nur auf Fragen des Gerichts zu antworten und das auch nur schriftlich, droht ihr schon seit Monaten um die Ohren zu fliegen, was ihre Neuverteidiger bisher wohl nur mit immer neuen Verzögerungen verhindern konnten.

Besonders brenzlig ist es für Zschäpe, seit die Nebenkläger über 300 detaillierte Fragen an sie richteten.
Seit Wochen nun laviert ihre neue Verteidigung herum und verweigert jede klare Aussage darüber, ob Zschäpe antworten wird.
Denn auch ihnen dürfte klar sein: Egal, wie sich Zschäpe entscheiden wird, sie steckt in der Sackgasse.
Eine wahrheitsgetreue Antwort erhoffen zwar alle, könnte sie aber für immer ins Gefängnis bringen.
Mögliche Lügen könnten entlarvt werden.
Und verweigert sie die Antworten ganz, wird ihr das sicher nicht zum Guten ausgelegt - oder noch schlimmer: Richter Götzl könnte sich die Fragen der Nebenkläger zu eigen machen und sie seinerseits an die Angeklagte richten.
Was macht Zschäpe dann?

Keine Antworten auf entscheidende Fragen
Wie gesagt: Durchaus interessante und spannende Fragen, die da zuletzt im Saal A 101 erörtert wurden - und nach der Sommerpause weiter erörtert werden müssen.
Zwar ist inzwischen leider auch absehbar, dass der NSU-Prozess auf einige entscheidende Fragen keine Antworten liefern wird: etwa nach der Rolle des Staates - insbesondere des Verfassungsschutzes - oder nach dem Unterstützerumfeld in der Neonazi-Szene.
Und trotzdem ist das, was hier Prozesstag für Prozesstag verhandelt wird, relevant, nötig, sinnvoll.
Die NSU-Affäre ist so außergewöhnlich, so schwerwiegend und weitreichend, dass von Anfang an klar war: Es wird schwer, das Ganze überhaupt juristisch in den Griff zu kriegen.
Und deshalb dauert der Prozess eben so lange.
Und das ist auch keine Steuerverschwendung, sondern muss es uns einfach wert sein.
Und ob da etwas Gescheites dabei herauskommt, das werden wir am Ende sehen - wann immer das sein mag.




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Tageszusammenfassung, 305. Tag, NSU-Prozess droht Endlos-Schleife

Das Mammutverfahren um die Morde des NSU-Trios könnte in einer prozessualen Endlos-Schleife enden.
Diese Befürchtung äußerten am 305. Verhandlungstag Vertreter der Bundesanwaltschaft. Anlass: eine stundenlange Debatte um die Zulässigkeit von rund 50 Fragen an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

Ob Zschäpe überhaupt gewillt ist, diese Fragen zu beantworten, spielte dabei gar keine Rolle.
Die 41-Jährige saß - wie schon an den 304 Tagen zuvor - stumm und regungslos auf der Anklagebank.

Die Befragung eines bereits pensionierten Kriminalbeamten aus Jena zur politischen Einstellung des Angeklagten Ralf Wohlleben und zu seiner Stellung in rechten Szene Thüringens brachte erwartungsgemäß keine neuen Erkenntnisse.
Der Pensionär, dessen Befragung Wohllebens Anwälte gefordert hatten, war beim Staatsschutz der Polizei in Jena jahrelang auf die Neonazi-Szene angesetzt.
Wohlleben, Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren für ihn Personen, die immer wieder dort auftauchten, wo in den neuen Bundesländern zu rechten Demos aufgerufen wurde oder im Umfeld rechtsextremer Straftäter.
Die NPD spielte in seiner Aussage heute ebenso eine Rolle wie die "Kameradschaft Jena" und der "Thüringer Heimatschutz", der als NSU-Keimzelle gilt.

Ex-Polizist belastet Wohlleben nicht
In dieser Szene habe es Wohlleben, so der Ex-Polizist, immer wieder geschafft, andere Rechte vorzuschicken, wenn es galt, Veranstaltungen anzumelden oder zu umstrittenen Aktionen aufzurufen.
Am Ende seiner drei Stunden dauernden Befragung gab er dann zu Protokoll, was Wohllebens Anwälte hören wollten.
Bei allen Ermittlungen, so der Zeuge, sei nie dokumentiert wurden, dass Wohlleben zu Gewalt aufgerufen habe.
Dass bei der Durchsuchung seiner Wohnung ein Schlafanzug mit dem Schriftzug "Eisenbahnromantik" und einem Bild der Gleise am Tor zum ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz sichergestellt wurde, kam zwar zur Sprache, ging im Chaos des 305. Verhandlungstags aber ziemlich unter.

Katalog von Fragen an Zschäpe
Welche Fragen die Opferanwälte nun in drei Wochen tatsächlich an die Hauptangeklagte richten dürfen, wurde nicht mehr geklärt.
Die drei Anwälte aus der ursprüngliche Riege der Zschäpe-Verteidiger hatten ja bereits am 304. Verhandlungstag rund 50 schriftlich eingereichte Fragen als unzulässig oder im Sinne der Anklageschrift unerheblich beanstandet.
Am 305. Verhandlungstag nun brachten die Fragesteller der Nebenklage ihre Gegenvorstellungen ein und auch die Vertreter der Bundesanwaltschaft.
Statt sich bis zum Ende der Sommerpause erholen zu können, werden die Richter erst einmal beraten müssen, welche Fragen sie nun zulassen mögen - und welche nicht. Völlig unerheblich ist dabei, ob Zschäpe bereit ist, auch nur eine dieser Fragen zu beantworten.
Und das hängt von der Einschätzung ihres neuen Anwalts des Vertrauens, Hermann Borchert, ab, der nur gelegentlich dem Verfahren beiwohnt.
Und ohne ihn will die Hauptangeklagte nun gar nichts sagen.
Mit ihm allerdings auch nicht.
Denn wie in den letzten Runden sollen alle Fragen nur schriftlich beantwortet werden.

"Teilschweigen" der Hauptangeklagten
Sebastian Scharmer, einen der besonders aktiven Nebenklageanwälte, veranlasste dies zu der Feststellung, er habe seine Fragen gestellt und Zschäpe habe darauf nicht geantwortet.
Teilschweigen nannte Scharmer dies - eine Haltung, die sicher nicht zu Gunsten der Hauptangeklagten gewertet werden dürfe.


 
306. Verhandlungstag: Zschäpe spielt weiter auf Zeit - bloß warum ?

Rund vier Wochen hatten alle Beteiligten nun Pause vom Mammutverfahren.
Wie Beate Zschäpe mit den Fragen der Opferanwälte umgeht, ist weiter offen.

Haben Zschäpe und die beiden Verteidiger ihres Vertrauens, Mathias Grasel und Hermann Borchert, die Prozesspause genutzt, um Antworten auf die Fragen der Nebenklage zu formulieren oder sich zumindest eine Strategie zu überlegen, wie mit den Fragen umzugehen ist?
Dass es an diesem Verhandlungstag dazu nichts Neues geben würde, war schon kurz vor Beginn klar.
Borchert war nicht im Saal und nur wenn ihr Wahlverteidiger dabei ist, lässt Zschäpe Antworten oder wichtige Erklärungen zur Prozesstaktik verlesen.
Seit rund zwei Monaten wartet das Gericht nun schon auf die Zschäpe-Antworten.
Das Verhalten der Hauptangeklagten und ihrer Verteidiger Grasel und Borchert wirkt zunehmend wie Verzögerungstaktik.
Kann das wirklich im Interesse der Mandantin sein?

Nebenklage-Fragen überhaupt zulässig ?
Während Rechtsanwalt Grasel heute durchgehend schweigend neben Zschäpe saß, beschäftigten sich ihre drei sogenannten "Altverteidiger" erneut inhaltlich mit den Fragen der Nebenklage.
Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, deren Verhältnis zur Mandantin zerrüttet ist, halten eine ganze Reihe der Fragen für nicht zulässig, weil sie keinen Bezug zu den angeklagten Straftaten sehen.

Beweisaufnahme fast abgeschlossen .
Verlesen wurden statt Zschäpe-Antworten zahlreiche Aktenbestandteile, die nun also auch offiziell Teil der Beweisaufnahme im NSU-Prozess sind.
Die Verlesung war pure Verfahrensroutine und für die Zuhörer eher sehr trockenes Brot, aber zwischen den Zeilen wurde dadurch einmal mehr überdeutlich: Die Beweisaufnahme ist aus Sicht des Gerichts weitgehend abgeschlossen.
Für die nächsten Wochen sind bisher nur wenige Zeugen geladen und schon seit Monaten enden die Verhandlungstage häufig bereits kurz nach der Mittagspause.
Der Fortschritt des Verfahrens wird aber eben weiter durch Zschäpes zeitraubendes Frage-Antwort-Spielchen beeinflusst.


 
307. Verhandlungstag: Verwirrende Einblicke !

Das Bundeskriminalamt.
Eine Bundesbehörde.
Das hört sich nach Ordnung und Gründlichkeit an.
Ist das wirklich so?
Der Zeuge heute hinterlässt daran große Zweifel.

Nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 haben sich zahlreiche Untersuchungsausschüsse im Bundestag und in den Landtagen mit Unzulänglichkeiten und Schlampereien bei deutschen Sicherheitsbehörden beschäftigt.
Dabei wurde das Augenmerk auf Ungereimtheiten bei Ermittlungen und beim Umgang mit V-Leuten in der aktiven Zeit des mutmaßlichen Trios gelegt.
Zu Recht?

Der Zeuge hat seine Aussage gründlich vorbereitet
Oberlandesgericht München. Saal A101.
Der 31-Jährige BKA-Beamte macht beim ersten Hinhören einen smarten Eindruck.
Er kann sich gut ausdrücken, offenbar hat er sich auf seine Aussage gründlich vorbereitet.
Ohne lange zu lamentieren erklärt er, was er zu ermitteln hatte und wie er dabei vorgegangen ist.
Im Jahr 2013 hat der Mitangeklagte Carsten S. im NSU-Prozess ausgesagt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt jemanden angeschossen hätten.

Kein einheitlicher Kriterienkatalog für Suche
Die Bundesanwaltschaft hat aufgrund dieser Aussage das Bundeskriminalamt damit beauftragt, ungeklärte Straftaten mit Schusswaffengebrauch entsprechend abzugleichen.
Und zwar bundesweit.
Das ist auch erfolgt.
Allerdings hat das BKA den Landeskriminalämtern keinen einheitlichen Kriterienkatalog vorgelegt, auf den sie ihre Suche hätten stützen können.
Nein, laut Aussage des zuständigen BKA-Beamten hat man die Findung der Abgleich-Kriterien den jeweiligen Ämtern überlassen.

So kam es beispielsweise dazu, dass sich die Kollegen aus Berlin darauf beschränkt haben, ausschließlich ungeklärte Morde an das BKA zurückzumelden – und nicht etwa auch unaufgeklärte Körperverletzungen.
Eine Tatsache, die der Zeuge offenbar nicht weiter hinterfragt hat.

Meldung ungeklärter Taten
Dass nicht genauer geprüft wurde, verwundert.
Allerdings war es nicht die erste Abfrage, nach ungeklärten Taten, die möglicherweise vom NSU begangen worden waren.
Bereits nach Auffliegen der Terrorzelle hatte die Bundesanwaltschaft die Behörden dazu aufgerufen, ungeklärte Taten zu melden, die zum NSU passen könnten.
Es gab mehrere tausend Rückmeldungen – nicht dabei war der Taschenlampen-Anschlag von Nürnberg.
Er konnte dem NSU nur durch eine Aussage zugeordnet werden – und zwar auch ausgerechnet der des Mitangeklagten Carsten S.




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Tageszusammenfassung, 307. Tag !

Ermittelt ohne nachzufragen.

Zeuge am 307. Verhandlungstag: Ein BKA-Beamter, der nach einer unbekannten NSU-Tat suchen sollte.
Seine Ermittlungen erscheinen aber eher oberflächlich.

Es war eine Aussage wie ein Paukenschlag.
Der Angeklagte Carsten S. sprach im NSU-Prozess, kurz nach Beginn im Sommer 2013, von zwei weiteren möglichen NSU-Taten, die bis dahin nicht bekannt waren.
Der Angeklagte Ralf Wohlleben habe ihm erzählt, die untergetauchten Neonazis Mundlos und Böhnhardt hätten „jemanden angeschossen“, berichtete Carsten S.

Ungelöste Fälle überprüft
Das Bundeskriminalamt bekam den Auftrag die Aussage zu überprüfen.
Nach einer Vernehmung von Carsten S. außerhalb des Prozess grenzten die Ermittler den Zeitraum, in dem die mögliche NSU-Tat liegen könnte, ein und baten die Landeskriminalämter um Unterstützung.
Die überprüften ihre ungelösten Fälle und meldeten alle, die aus ihrer Sicht in Frage kamen, an das Bundeskriminalamt.
Etwa 80 Fälle landeten so beim BKA, schilderte einer der zuständigen Kriminalisten nun als Zeuge im Prozess.
Sie wurden mit dem Vorgehen bei den bekannten NSU-Taten verglichen.
Ergebnis: Keine der gemeldeten ungeklärten Taten passte aus Sicht des BKA zu der Aussage von Carsten S., dass Mundlos und Böhnhardt jemanden angeschossen hätten.

Ungenau verglichen?
Der Zeuge schilderte die angewandten Vergleichsmethoden.
Einige der ungeklärten Taten, seien ausgeschlossen worden, weil bei ihnen die Täter den Opfern vor der Ermordung Anweisungen erteilten.
Das passe nicht zum Modus Operandi des NSU, sagte der BKA-Ermittler im Zeugenstand, doch damit liegt er falsch.
Im Rostocker Mordfall Turgut wird davon ausgegangen, dass Mundlos und Böhnhardt ihr Opfer aufforderten sich hinzuknien.
Kannte der BKA-Beamte die NSU-Morde nicht ausreichend gut, um sie wirklich mit ungeklärten Taten vergleichen zu können?

LKAs überprüften unterschiedlich
Außerdem wurden die Rückmeldungen der Landeskriminalämter nicht hinterfragt, obwohl offenkundig ist, dass sie die ungeklärten Fälle jeweils nach völlig unterschiedlichen Kriterien überprüften.
So meldete das LKA Berlin ausschließlich ungeklärte Mordfälle an das BKA.
Carsten S. hatte aber angegeben, Mundlos und Böhnhardt hätten jemanden „angeschossen“.
Ob er da nicht mal nachgefragt habe, wollte nun ein Nebenklage-Anwalt von dem Zeugen wissen.
Nein, das habe er nicht, sagte der BKA-Ermittler.

Gab schon zuvor Suche nach unbekannten NSU-Taten
Was der Zeuge nicht erwähnte, aber zur Einordnung seiner Angaben wichtig ist, ist allerdings die Tatsache, dass bereits vor der Aussage von Carsten S. bundesweit nach ungelösten Fällen gesucht wurde, die zum NSU passen könnten.
Das geschah bundesweit nach Auffliegen der Terrorzelle 2011.
Ohne Ergebnis.
Bekannt wurde eine weitere Tat dennoch – ausgerechnet durch Carsten S.
Als er im Prozess davon erzählte, Mundlos und Böhnhardt hätten jemanden angeschossen, berichtete er auch von einem Sprengstoffanschlag der Beiden in Nürnberg.
Gemeint war die sogenannte Taschenlampenbombe in einer Nürnberger Bar.
Diese Tat wird von den Ermittlern mittlerweile dem NSU zugerechnet.

Jugendfreund im Zeugenstand
Weiterer Zeuge heute im Prozess: Ein Chemnitzer, der sich selbst als Skinhead bezeichnete.
Er wuchs in den 90er Jahren gemeinsam mit einem Teil der Angeklagten in Jena-Winzerla auf und wurde zu einer möglichen Schlägerei 1998 oder 1999 an einer Straßenbahnhaltestelle befragt.
An der Schlägerei soll auch der Angeklagte Ralf Wohlleben beteiligt gewesen sein.
Der Zeuge gab an, sich nicht an eine Schlägerei erinnern zu können.
Später gab er, erst auf Nachfrage einer Nebenklage-Anwältin, an, einen freundschaftlichen Kontakt zu Wohlleben zu pflegen und ihm aktuell auch in die Untersuchungshaft zu schreiben.


 
308. Verhandlungstag: Die Memoiren der Beate Z. !

Hat die Hauptangeklagte im NSU-Prozess die Rechte an ihrer Biografie verkauft?
Das ist ein zulässige Frage, befand heute der Vorsitzende Richter.
Ob Beate Zschäpe darauf eine Antwort geben wird, könnte sich morgen herausstellen.

"Ich, Beate Zschäpe, erblickte am 2. Januar 1975 in Jena das Licht der Erde. Die DDR sollte noch mehr als ein Jahrzehnt existieren.“ So oder so ähnlich könnte das Opus beginnen.

Viel Zeit zu schreiben
Aus Briefen, die Beate Zschäpe im Prozessverlauf in eher kindlicher Handschrift an das Gericht geschrieben hat, wissen wir, dass sie gerne und nicht zu knapp schreibt. An ihrem Ausdruck ließe sich zwar noch feilen, doch ein gewisses sprachliches Niveau ist durchaus zu attestieren. Für eine Autorenschaft spricht auch, dass die Hauptangeklagte Zeit hat.

Viel Zeit hinter Gittern, um über ihr Leben zu rekapitulieren.
Tausende Biografien erscheinen jedes Jahr auf dem internationalen Buchmarkt. Warum dann nicht auch die von Beate Zschäpe? Ein Verlag ist oder wäre sicherlich schnell gefunden. Einzig die Treffen mit den Lektoren dürften sich während ihrer Haft in der JVA Stadelheim schwierig gestalten.

Was könnte ein solches Buch verraten?
Doch welcher Leserkreis würde sich erschließen? Das Käufer-Interesse ist vorab schwer einzuschätzen. Und auch der Inhalt des Buches wäre eng gesteckt. Denn Belastendes aus der eigenen Feder vor Ablauf der etwaigen Verjährungsfristen würde die Bundesanwaltschaft erneut auf den Plan rufen.

Bleibt also nur die wahrscheinlich eher unverfängliche Kindheit und die Zeit im Gefängnis.
Vielleicht nicht ganz der Stoff für einen Bestseller.
Sollten die Wahlverteidiger die Frage, ob ihre Mandantin plane, ihre Biografie zu veröffentlichen, mit einem Ja beantworten, wäre das für Zschäpe sicherlich kein Pluspunkt.

Dumm, dreist oder wahr?
Denn an ihrer vollumfänglichen und wahrheitsgemäßen Aussagebereitschaft haben nicht nur die Nebenkläger seit Prozessbeginn erheblich Zweifel.
Zuzugeben, dass sie sich die Kapitel über das gemeinsame Leben mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund für ein Buch aufhebt, wäre dumm.
Auf einen Gewinn aus Buchverkäufen zu hoffen, wäre zudem ziemlich dreist.



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Tageszusammenfassung, 308. Tag !

Zwischen fehlender Erinnerung und Totalverweigerung

Der Herausgeber eines Neonazi-Magazins sollte über seine Kontakte zum NSU aussagen.
Doch ihm fiel nichts mehr ein.
Beate Zschäpe wiederum muss viele Fragen der Nebenkläger nicht beantworten.
Andere schon.

Zum zweiten Mal musste heute der frühere Herausgeber einer Neonazi-Zeitschrift auf der Zeugenbank im NSU-Prozess Platz nehmen. Torsten A. hatte um die Jahrtausendwende das Fanzine "Fahnenträger" verantwortet, ein Heft, das den untergetauchten NSU-Terroristen offenbar so gut gefiel, dass sie ihm eine satte Geldspende zukommen ließen. Der Zeuge verhielt sich vor Gericht, wie schon die meisten anderen Szene-Zeugen vor ihm: Er erinnerte sich an nichts. Am Nachmittag ging es dann um die noch offenen Fragen an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

Zeuge räumt Zahlung des NSU ein
Immerhin hatte Torsten A. schon bei seinem ersten Auftritt im NSU-Verfahren im vergangenen Juli zugegeben, im Jahr 2002 500 Euro vom NSU erhalten zu haben. Das Geld will er irgendwann für private Zwecke ausgegeben haben. Arg viel mehr gab er auch bei seiner zweiten Befragung heute nicht preis, weder zu Autoren des Nazihefts, noch zu politischen Inhalten und Parolen – was die Bundesanwaltschaft zu der Bemerkung veranlasste, der Zeuge zeige eine "ostentative Erinnerungslosigkeit". Ein Nebenkläger nannte es: "Totalverweigerung".

Welche Fragen der Nebenkläger muss Zschäpe beantworten?
Am Nachmittag widmete sich das Oberlandesgericht den zahlreichen Fragen, die die Nebenkläger vor einigen Wochen an Beate Zschäpe gerichtet haben. Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Stahl hatte 39 der insgesamt über 300 teils äußerst detaillierten Fragen beanstandet. Der Senat musste über jede einzelne Beanstandung entscheiden.

Heute verkündete der vorsitzende Richter Manfred Götzl die Beschlüsse: Demnach ist ein Großteil der Fragen unzulässig, über ein Dutzend ließ der Senat jedoch zu – darunter etwa die durchaus spannende Frage, ob Beate Zschäpe plant, ihre Erinnerungen aufzuschreiben und ob sie diese bereits verkauft hat oder ob es bereits Vereinbarungen für Exklusivinterviews oder ähnliches gäbe. Diese Frage sei zulässig, so Richter Götzl, denn sie habe das Ziel, das Aussageverhalten Zschäpes zu überprüfen und zu klären, ob eventuell bestimmte Tatsachen in der Verhandlung bewusst zurückgehalten werden.

Allerdings ist weiterhin unklar, ob die Hauptangeklagte auf die zulässigen bzw. nicht beanstandeten Fragen überhaupt antworten will. Immerhin kündigte ihr Neuverteidiger Grasel heute an, dass es dazu morgen eine Erklärung geben wird.


 
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