Der NSU Prozess !

355. Verhandlungstag: Riskanter Antrag !

Die beiden Vertrauensverteidiger von Beate Zschäpe wollen beweisen, dass ihre Mandantin schuldunfähig ist.
Das geht ihren Angabe zufolge aus dem Gutachten des Freiburger Psychiaters Joachim Bauer hervor, dessen Ladung heute Rechtsanwalt Matthias Grasel beantragt hat.
Ein Vorstoß, den viele Prozessbeobachter für hochriskant halten.

Über zwölf Stunden hat sich die Hauptangeklagte im NSU-Prozess laut ihrem Vertrauensverteidiger Grasel bei mehreren Treffen von Bauer befragen lassen.
Dabei habe sie Dinge berichtet, die sie im Prozess bisher verschwiegen habe.
Grasel nannte das Verhältnis zu ihrer Mutter und zu ihren langjährigen Gefährten im Untergrund Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Böhnhardt habe sie demnach mehrfach schwer körperlich misshandelt.
Der Sachverständige Bauer komme deshalb auf 48 Seiten zu dem Schluss, dass zu allen Tatzeitpunkten eine schwere dependente Persönlichkeitsstörung bestanden habe.
Einer Erkrankung also, bei der sich laut einschlägigen Fachartikeln die Betroffenen passiv und unterwürfig verhalten, wenig Selbstbewusstsein haben, insgesamt zu einer depressiven Stimmung tendieren.
Damit hält Grasel die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schuldunfähigkeit erfüllt.

Psychiatrie statt Gefängnis?
Beate Zschäpe sei bereit, Professor Bauer von seiner ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, beendete Grasel seinen Antrag.
Er hofft offensichtlich, damit das Gutachten des vom Gericht bestellten Gutachters Henning Saß entkräften zu können, der Zschäpe die volle Schuldfähigkeit bescheinigt hatte.
Allerdings ohne eigene Exploration, also Gespräch mit ihr, sondern allein gestützt auf seine Beobachtungen, die er im Prozess gemacht hat.
Wenn das Gericht, was freilich längst nicht ausgemacht ist, tatsächlich der These der Schuldunfähigkeit folgen sollte, hätte das für Zschäpe einen hohen Preis.
Ein Gefängnisaufenthalt bliebe ihr erspart, stattdessen drohte ihr dann aber die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie, und zwar auf unbestimmt Zeit.
Das sei, so war hinterher auf dem Gerichtsvorplatz vielfach zu hören, eigentlich weit schlimmer als eine zeitlich befristete Gefängnisstrafe.

Der Offenbarungseid von Zschäpes Vertrauensanwälten?
Wie ist so ein riskanter Antrag zu erklären?
Es scheint, als glaubten Rechtsanwalt Grasel und sein Kollege Borchert selbst nicht mehr an den Erfolg ihrer Verteidigungsstrategie.
Die bestand darin, nicht länger, wie von den Alt-Verteidigern empfohlen, zu schweigen, sondern Einlassungen zur Sache zu machen.
Die Grundaussage von Zschäpe, sie habe immer erst hinterher von den Taten erfahren und sich wegen ihrer Liebe zu Böhnhardt nicht aus dem Leben im Untergrund lösen können, überzeugte aber kaum einen im Gerichtssaal.
Eine Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe hielten zuletzt immer mehr Prozessbeobachter für das wahrscheinlichste aller möglichen Urteile.

Jetzt ist das Gericht am Zug
Das Gericht erkundigte sich zwar gleich, ob Bauer nächste Woche zur Verfügung stünde, ließ aber offen, ob es ihn als Gutachter oder nur als sachverständigen Zeugen anhören will.
Dass der Münchner Staatsschutzsenat jetzt dem Gutachten von Saß, der als einer der renommiertesten Vertreter seiner Zunft gilt, keinen Glauben mehr schenken könnte, scheint ohnehin mehr als fraglich.


 
356. Verhandlungstag: Die Frage der Schuldfähigkeit !

Es scheint fast so, als ginge es den Verteidigern von Beate Zschäpe, Hermann Borchert und Mathias Grasel, nur noch darum, die Höhe einer zu erwartenden Strafe zu mildern - eine gefährliche Taktik.

Ein eigenes psychiatrisches Gutachten aufzustellen ist im Strafprozess keine Besonderheit.
Ein Gutachten allerdings, das in einem wesentlichen Punkt vollständiger ist als das offizielle Gutachten des Gerichts, das war ein cleverer Schachzug von Zschäpes neuen Verteidigern.
Wie und wann die Erkenntnisse daraus im NSU-Verfahren vor der Münchner Oberlandesgericht eingebracht werden, ist allerdings noch offen.

Zschäpes Wunsch-Psychater
„9.30 Uhr, Prof. Dr. B.“ – so stand es auf der Zeugenladungsliste des Oberlandesgerichts für diese Woche Donnerstag.
Gemeint ist damit der Freiburger Psychiater Joachim Bauer, der Beate Zschäpe vor kurzem in der JVA besucht und mit ihr zwölf Stunden lang gesprochen hat.
Darin ist er offenbar zur Erkenntnis gelangt, dass bei Zschäpe zu den jeweiligen Tatzeitpunkten eine schwere Persönlichkeitsstörung vorgelegen habe, und ihre Schuldfähigkeit damit zumindest eingeschränkt wäre.
So ließ es Zschäpes Verteidigung anklingen.

Zeuge oder Sachverständiger?
Das „B.“ auf der Ladungsliste steht dabei bezeichnend für den Knackpunkt in der Angelegenheit: Das Gericht will Bauer nur als Zeugen laden und deren Identität darf nicht offiziell genannt werden, also „B.“. Zschäpes Anwalt Mathias Grasel hat dagegen beantragt, Bauer als Sachverständigen zu hören.
Das Dilemma: Für den Fall, dass er nur als Zeuge erscheint, entbindet Zschäpe den Psychiater nicht von seiner ärztlichen Schweigepflicht.
Aus Sicht des Senats genügt es aber, Bauer als Zeugen zu hören und den bereits bestellten Sachverständigen Prof. Henning Saß den Inhalt dieser Aussage dann in sein Gutachten einfließen zu lassen.

Zschäpe wurde darin bereits die volle Schuldfähigkeit bescheinigt.
Mit Saß hatte die Angeklagte allerdings jegliche Zusammenarbeit verweigert.
Sein Gutachten stützt sich auf die Aktenlage und die Beobachtungen im Prozess, wie z.B. Zeugenaussagen aus Zschäpes damaligem Umfeld oder ihre eigenen Einlassungen.
Sind also die Einschätzungen von Bauer überlegen?

Zschäpe will die Kontrolle
Beate Zschäpe könne nicht durch Verweigerung einer Untersuchung einen anderen Sachverständigen erzwingen, argumentierte heute Bundesanwältin Anette Greger.
Und damit trifft sie genau ins Schwarze.
Nur weil sich Zschäpe von ihrem Wunsch-Psychiater hat befragen lassen, heißt es nicht, dass die Einschätzungen des renommierten Forensikers Saß plötzlich wertlos wären.
Saß hat Zschäpe an den meisten der 356 Verhandlungstagen gegenüber gesessen und nichts anderes getan als auf ihr gesamtes Verhalten zu achten, es regelrecht zu studieren.

Sicher, ein persönliches Gespräch hätte geholfen, doch wäre es wissenschaftlich nicht möglich, ein Gutachten ohne Mitwirken eines Angeklagten aufzustellen - es wäre für jeden, der auf der Anklagebank sitzt, ein Leichtes, sich einer psychologischen Einschätzung zu entziehen.

Ein finaler Schwachpunkt
Für die Argumentation von Zschäpes Verteidigern kommt erschwerend hinzu: Bauer ist zwar Psychiater, aber kein Fachmann für Forensik wie Saß.
Das Gericht bestellt einen Gutachter, um sich von seiner Expertise beraten zu lassen.
Dabei wählt es denjenigen, dessen Fachkenntnisse am geeignetsten sind.
Und das wird wohl auch im NSU-Prozess so bleiben – ungeachtet dessen, ob die Angeklagte mit dem Gutachter sprechen möchte oder nicht.


 
357. Verhandlungstag: Die Frage - Wie lange noch ?

357 Verhandlungstage und noch kein Ende in Sicht.
Klar, dass sich immer mehr Journalisten, Anwälte, aber auch Unbeteiligte die Frage stellen, wie lange dieser Prozess wohl noch dauern wird.
Zu recht ?

"Und wie lange geht das noch"?
Diese Frage kennen die Gerichtsreporter schon, wenn sie nach einem Verhandlungstag im Münchner NSU-Prozess zurück in die Redaktionen kommen.
Die Antworten sind dann immer die gleichen: Der angeklagte Sachverhalt ist komplex, die Taten des rechten Terror-Trios liegen schon Jahre zurück, die beiden mutmaßlichen Haupttäter sind tot und können nicht mehr befragt werden, die fünf Angeklagten werden mittlerweile von einem Dutzend Verteidiger vertreten und es gibt über 70 Nebenkläger, die sich von rund 60 Anwälten vertreten lassen.

Rechtsanwälte, Rechtssystem, Rechtsstreitereien
Die meisten kämpfen wacker für die Rechte ihrer Mandanten, andere versuchen staatlichen Behörden, wie dem Verfassungsschutz, eine Mitschuld an der Mordserie des NSU nachzuweisen oder zumindest eine zweifelhafte Kumpanei mit den Neonazis in den neuen Bundesländern.
Und für alle Varianten gibt das vor einigen Jahren geänderte Strafprozessrecht den Nebenklägern breiten Raum.
Allerdings gibt es auch da Grenzen, meinte heute Herbert Diemer, einer der Bundesanwälte im NSU-Verfahren.

In zehn Minuten fasste Diemer zusammen, warum aus Sicht der Karlsruher Anklagebehörde der Nebenklage nicht das Recht zusteht, auch noch selbstständig Zeugen oder gar Sachverständige zum Prozess zu laden.
Dies ist und bleibt das Recht des Gerichtsvorsitzenden.
Geboten, so Diemer, sei das nicht etwa um den Prozess nicht ausufern zu lassen, sondern um die Rechte der Angeklagten zu sichern.
Denn, deren Anwälte können auch nicht einfach einen Zeugen laden, den sie für wichtig halten, sondern müssen dessen Befragung schon in einen Beweisantrag kleiden über den das Gericht entscheidet.

Also: wie lange noch?
Entscheiden muss der Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts demnächst auch über eine ganze Serie von Beweisanträgen, die von den Anwälten von Ralf Wohleben gestellt wurden, also den Verteidigern des zweiten Hauptangeklagten in diesem Mammutprozess.
Dabei geht es um die Präsentation weiterer Mitglieder der rechten Szene in Thüringen, hauptsächlich aus dem "Nationalen Widerstand", die Wohleben ebenso nahe standen, wie Beate Zschäpe und den beiden Uwes.

Sie alle würden bekunden, so die Verteidiger, dass Wohleben kein Ausländerfeind war, sondern, im Gegenteil, ein friedliebender Mensch, der sich für ein geordnetes Miteinander der Völker eingesetzt und nie die Idee vertreten habe, gegen in Deutschland lebende Ausländer gewaltsam vorzugehen.
Dass sich das Gericht die Entlastungsshow in den letzten Tagen der Beweisaufnahme noch antun will, erscheint den meisten Prozessbeobachtern allerdings unwahrscheinlich.
Auf die Frage "wie lange noch?" könnte es doch bald eine schlüssige Antwort geben.


 
358. Verhandlungstag: Auf der Zielgeraden !

Der Münchner Staatsschutzsenat hat erneut zahlreiche Beweisanträge nicht zugelassen.
Als letzten Termin für noch ausstehende Anträge hat er den 17. Mai festgesetzt.

Verhandlungstage, an denen so wie heute keine Zeugen geladen waren, endeten zuletzt oft schon zur Mittagspause.
Nicht so heute.
Mit heiserer Stimme begründete der Vorsitzende Richter Manfred Götzl viele Stunden, warum sein Staatsschutzsenat Beweisanträge von Nebenklägern und Verteidigern reihenweise abgelehnt hat.
Zentrale Satz dabei: „Für die Urteilsfindung ist das ohne tatsächliche Bedeutung“.
Und: „Das Gericht ist nicht zu ausufernder Aufklärung verpflichtet.“
Götzl machte damit erneut deutlich: In diesem Prozess muss das Münchner Oberlandesgericht nur zu einem Urteil kommen, ob die fünf Angeklagten im Hinblick auf die ihnen zu Last gelegten Taten schuldig sind oder nicht.

Gericht sieht keinen weiteren Aufklärungsbedarf
Ob beispielsweise Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bei 1995 von der Staatsanwaltschaft Gera verfolgten Ausspähaktionen einer Flüchtlingsunterkunft beteiligt waren, ohne dass es dann zu einem Anschlag auf das Haus kam, hält der Senat für unerheblich. Entsprechende Anträge der Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens hat er deshalb i abgelehnt. Genauso will das Gericht nicht mehr die vielen Hinweisen in Medienberichten behandeln, wonach beim zehnten und letzten Mord des NSU in Heilbronn angeblich amerikanische FBI-Agenten und deutsche Verfassungsschützer vor Ort waren.

Die Wohlleben-Verteidigung hatte beantragt, Zeugen dazu zu laden.
Auf den Tag genau zehn Jahre nach der Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter, bekam der Senat dabei Unterstützung durch die Bundesanwaltschaft.
Für die, so legte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten in einer Stellungnahme dar, sind Böhnhardt und Mundlos eindeutig die Täter.
Dafür sprächen die Waffen und Ausrüstungsgegenstände von Kiesewetter und ihrem lebensgefährlich verletzten Kollegen, die man bei Mundlos und Böhnhardt nach ihrem Tod im Wohnmobil in Eisenach gefunden habe.
Genauso wie das Bekenner-Video des NSU, das ausführlich auf die Tat eingehe.

Beweisanträge nur noch bis 17. Mai
Danach stellte Richter Manfred Götzl fest, dass seine bereits Anfang Dezember letzten Jahres erhobenen Aufforderung, Beweisanträge zügig und gesammelt zu stellen, durch den Senat als zulässig bestätigt worden sei.
Nachdem die erste Fristsetzung für viel Kritik und jede Menge Befangenheitsanträge gesorgt hatte, stieß Götzl mit seiner Ankündigung heute auf keinen Widerstand.
Als letzten Termin für noch ausstehende Anträge nannte er den 17 Mai.

Ringen um das psychiatrische Gutachten
Zuvor werden die Altverteidiger von Beate Zschäpe noch einmal versuchen, das psychiatrische Gutachten von Professor Henning Saß zu entkräften.
In einem langen Antrag listete Rechtsanwältin Anja Sturm auf, welche methodischen Fehler der vom Gericht bestellte Forensiker gemacht habe, als er der Hauptangeklagten aufgrund der im Prozess gemachten Beobachtungen die volle Schuldfähigkeit bescheinigte.
Dazu wollen Sturm und ihre Kollegen morgen den von Ihnen beauftragten Gutachter Professor Petro Faustmann von der Ruhr-Universität Bochum befragen.





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NSU-Prozess am 10.Todestag von Michèle Kiesewetter !

Ende des Verfahrens zeichnet sich ab ......

Heute jährt sich zum 10. Mal der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn.
Ein Thema auch am heutigen 358.Verhandlungstag des NSU-Prozesses.

Der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und der versuchte Mord an ihrem Kollegen Martin A. gehören zweifelsohne zu den besonders rätselhaften Taten des NSU.
Etwa, weil es das einzige Tötungsdelikt ist, das sich nicht gegen Migranten richtete und weil es Zeugenaussagen gibt, die nahelegen, dass nicht bzw. nicht nur die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Mörder infrage kommen.

Bundesanwaltschaft widerspricht Verschwörungstheorien
Die Bundesanwaltschaft ist heute im Münchner NSU-Prozess jedoch den zahlreichen Verschwörungstheorien, die zum Fall Kiesewetter kursieren, entschieden entgegengetreten.
Die Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt stehe außer Zweifel, so Bundesanwalt Jochen Weingarten.
Er verwies auf eine Jogginghose von Mundlos, auf der Blutspuren von Kiesewetter gesichert wurden, außerdem seien in der ausgebrannten Wohnung des NSU in Zwickau die Tatwaffen gefunden worden.
Und der NSU habe sich auf seiner Bekenner-Video eindeutig zu dem Polizistenmord bekannt.

Geheimdienste am Tatort?
Wenig wahrscheinlich und ohne Belang.
Das Oberlandesgericht lehnte heute zudem mehrere Beweisanträge der Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralph Wohlleben ab, mit denen eine angebliche Verwicklung amerikanischer Geheimnisse in den Kiesewetter-Mord bewiesen werden sollte.
Es sei nicht davon auszugehen, dass US-Agenten in der Nähe des Tatort gewesen seien, und selbst wenn, sei dies für das Verfahren ohne Belang.

„Staatsverschulden“ im Fall Keuppstraße
Im Anschluss machte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl deutlich, dass nun tatsächlich das Ende des inzwischen fast vier Jahre dauernden Verfahrens näher rückt.
So lehnte der Senat weitere Beweisanträge ab, insbesondere zu dem Bombenanschlag in der Kölner Keuppstraße am 9. Juni 2004.
So wollten Nebenkläger unter anderem den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily laden, um zu beweisen, das frühe Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund der Tat von der Politik bewusst unterdrückt worden seien.
Götzls Ausführungen dazu konnte man zwar durchaus als harsche Kritik an den Sicherheitsbehörden interpretieren: sie hätten „wider besseren Wissens“ bestimmte Aspekte nicht berücksichtigt und den Opfern des Anschlags durch ihr Verhalten weitere Schäden zugefügt.
Doch selbst wenn ein „Staatsverschulden“ vorliege, so Götzl, sei dies für den Prozess ohne Belang.

Ende der Beweisaufnahme
Im Anschluss setzte der Richter den Verfahrensbeteiligten erneut eine Frist: Nur noch bis zum 17. Mai können demnach Beweisanträge eingereicht werden sowie Stellungnahmen zu bereits eingereichten abgegeben werden.
Der NSU-Prozess scheint tatsächlich auf die Zielgerade zu gehen.

Gutachter vs. Gutachter
Zunächst aber wird es im NSU-Verfahren noch ein paar Prozesstage lang um die Psyche der Hauptangeklagten gehen.
Ab morgen steht die Befragung des Bochumer Hirnforschers Prof. Pedro Faustmann an. Beate Zschäpes „Alt-Verteidiger“ haben ihn als Gegengutachter zum offiziellen Gerichtsgutachter Prof. Henning Saß geladen.
Denn das Saß'sche Gutachten ist für Zschäpe geradezu verheerend: Es bescheinigt ihr volle Schuldfähigkeit und stellt sie als manipulativen Menschen dar, der Verantwortung stets von sich weise.
Das Gegengutachten von Professor Faustmann wurde bereits heute von der Zschäpe Verteidigung im Prozess verlesen, darin wirft der Bochumer Hirnforscher dem offiziellen Gerichtssachverständigen Saß u.a. vor, mit Aussagen zu hantieren, die „wissenschaftlich nicht nachvollziehbar“ und „tendenziell“ seien.
Morgen werden die beiden Gutachter dann direkt aufeinander treffen: Das Oberlandesgericht hat sowohl Faustmann als auch Saß geladen.
Und: Es deutet sich das Ende des Verfahrens an.

 
359. Verhandlungstag: Endspurt für Beweisanträge !

Am 17. Mai ist definitiv Schluss.
Nicht mit dem NSU-Prozess, aber mit der Beweisaufnahme im inzwischen seit fast vier Jahren laufenden Verfahren gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte.
Geht die Beweisaufnahme zu Ende, fehlen nur noch die Plädoyers und die Verkündung des Urteils.
Eines der komplexesten und langwierigsten Strafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte stünde vor seinem Abschluss.
Ist mit den Urteilen noch vor den Sommerferien zu rechnen?

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat am heutigen 359. Verhandlungstag den 17. Mai, also den Mittwoch in drei Wochen, endgültig als letzten Tag für das Stellen von Beweisanträgen bestätigt.
Die Fristsetzung war zuvor von der Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Wohlleben scharf kritisiert worden.
Götzl hält die Fristsetzungslösung dagegen für rechtmäßig.
Nur noch bis zum 17. Mai haben die Prozessbeteiligten das Fragerecht, bis dahin können sie die Vorladung von Zeugen beantragen.

Was kommt danach?
Der Prozess geht dann - doch endlich - in seine Schlussphase.
Die Vertreter der Anklagebehörde (also der Bundesanwaltschaft) und der Nebenklage, die Verteidiger und zuletzt vielleicht auch die Angeklagten werden ihre Plädoyers halten.
Seit Monaten wird unter Prozessbeobachtern spekuliert, wie viel Zeit das Gericht zur Vorbereitung des ersten Plädoyers gewährt.
Reichen da vier Wochen?
Schon nach den Pfingstferien, also Mitte Juni, könnte als erstes die Bundesanwaltschaft ihr Schlusswort halten, für dessen Verlesung die Karlsruher Oberstaatsanwälte sicherlich weit mehr als einen Tag benötigen.
Dann folgen die über 60 Vertreter der Nebenklage, die sich erwartungsgemäß in Interessensgruppen zusammen schließen.
Anschließend wohl fünf Würdigungen der Verteidigung.

Noch ist alles Spekulation
Mal abgesehen von der unterschiedlichen Sicht der Prozessbeteiligten in Bezug auf Schuld oder Unschuld der Angeklagten: Zentrale Frage ist der Zeitpunkt des Urteils.
So wie Richter Götzl jetzt Tempo macht, könnte das Gericht seine Entscheidung noch im Juli fällen.
Wie gesagt: könnte.
Sicher ist das immer noch nicht, aber durchaus wahrscheinlich – und wünschenswert.





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Tageszusammenfassung 359. Tag !

Streit der Gutachter - vertagt oder ganz abgesagt?

Eigentlich hätte es im NSU-Prozess heute zum Aufeinandertreffen zwischen dem offiziellen forensisch-psychiatrischen Gutachter Henning Saß und dem von der Zschäpe-Verteidigung bestellten Gegengutachter Pedro Faustmann kommen sollen.
Doch der erwartetet Clash der Sachverständigen fand nicht statt.
Und es ist fraglich, ob Prof. Faustmann überhaupt noch zu Wort kommen wird.

Faustmanns Gutachten hatten Zschäpes Alt-Verteidiger bereits gestern im Prozess verlesen - im Rahmen eines Beweisantrags.
Der Bochumer Hirnforscher hatte dem vom Gericht bestellten Sachverständigen Saß, einem der renommiertesten deutschen Forensiker überhaupt, schwere wissenschaftliche Mängel unterstellt.
Heute nun sollte Faustmann dazu befragt werden, jedenfalls war er als Zeuge geladen.
Bundesanwaltschaft hält Saß' Gutachten für korrekt

Zunächst einmal jedoch nahm Oberstaatsanwältin Anette Greger zu den Ausführungen von Faustmann und Zschäpe-Verteidigung Stellung und wies Zweifel an der Wissenschaftlichkeit von Saß‘ Gutachten zurück: Es sei nicht ersichtlich,"dass der Gutachter Methoden angewendet hätte, die wissenschaftlich nicht anerkannt, nicht überprüfbar oder unausgereift seien, dass eine Nachprüfung der Methode nicht möglich wäre oder dass Saß von wissenschaftlichen Kriterien abgewichen wäre."
Die Bundesanwaltschaft hält eine Aussage von Faustmann vor dem Oberlandesgericht deshalb nicht für angebracht.

Faustmann kam nicht zu Wort
Außerdem sei der von der Verteidigung eingebrachte Beweisantrag zu seiner Vernehmung juristisch gesehen ein „Beweisermittlungsgantrag“.
Das sieht auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl so, wie er heute ausdrücklich erklärte.
Ob er den Antrag der Verteidigung auf Vernehmung von Faustmann nun aber ablehnen oder annehmen wird, ist unklar.
Heute kam Faustmann jedenfalls nicht zu Wort, was unter anderem an den zahlreichen lange andauernden Unterbrechungen der Verhandlung lag.
Morgen ist er zwar wieder als Zeuge geladen.
Ob er dann tatsächlich auch befragt werden wird, ist unklar.
Das weiß aktuell wohl nur der 6. Strafsenat.


 
360. Verhandlungstag: Hat das Methode ?

Der renommierte deutsche Gerichtspsychiater Prof. Saß hat das vom Gericht bestellte Gutachten über Beate Zschäpe erstellt.
Deren Alt-Verteidiger wollen seine Schlussfolgerungen nicht hinnehmen.
Doch ist die Methodenkritik durch einen eigenen Gutachter zielführend ?

Eine angenehme Stimme und eine angemessene Lese- beziehungsweise Sprechgeschwindigkeit – selten genug zu hören im Zeugenstand des NSU-Prozesses.
Was Prof. Pedro Faustmann heute allerdings dargeboten hat, glich fast schon einem Schauspiel – der gelebte Genuss des Wortes, die Liebe zur Artikulation.
Das lässt hinhören – keine Frage!

Kein gutes Haar am Kollegen...
Besonders Herrn Prof. Saß dürften heute die Ohren geklungen haben – und zwar auf keine angenehme Weise.
Faustmann ließ in seinem Gutachten kein gutes Haar am Gutachten seines Kollegen.
Er beschränkte sich zwar auf eine sogenannte Methodenkritik, doch wenn man dieser folgen würde, würde Saß sein Handwerk grundsätzlich nicht verstehen.

Der 72-jährige Saß ist der vom Oberlandesgericht bestellte psychiatrische Gutachter des Verfahrens.
Er hat den meisten der 360 Verhandlungstage in München persönlich beigewohnt und das Verhalten sowie die schriftlichen Einlassungen von Beate Zschäpe studiert.

Exploration war nicht möglich
Die Hauptangeklagte hatte sich über all die Jahre geweigert mit dem Gutachter zu sprechen – eine sogenannte Exploration war in diesem Fall also nicht möglich.
Das kommt in Strafprozessen immer wieder vor, hindert den Sachverständigen aber nicht daran, ein Gutachten zu erstellen.
Die Alt-Verteidiger von Zschäpe zweifeln die Möglichkeiten abseits der Exploration an.
Sie sind der Auffassung, dass Saß‘ Gutachten nicht den wissenschaftlichen Standards entspräche.

Nicht weiter verwunderlich, wenn man die Schlussfolgerungen des forensischen Psychiaters betrachtet: Er attestiert Zschäpe volle Schuldfähigkeit und legt sogar eine Sicherheitsverwahrung nach der Haft nahe.
Härter hätte die Begutachtung über die Hauptangeklagte nicht ausfallen können.

Ein fraglicher Gefallen
Doch ob Zschäpes Altverteidiger ihrer Mandantin mit der Präsentation des heutigen Zeugen einen Gefallen getan haben, ist äußerst fraglich.
Der hat nämlich sogar die Zuständigkeit von Prof. Saß grundsätzlich in Zweifel gezogen.
Ein Vorwurf, der auch das Gericht trifft – schließlich hat der Senat den Auftrag an Prof. Saß erteilt.


 
361. Verhandlungstag: Wie gestört ist Beate Zschäpe ?

Seit Wochen geht es im NSU-Prozess fast nur noch um die Psyche der Hauptangeklagten.
Heute legt der Freiburger Psychiater Prof. Joachim Bauer sein Gutachten vor.
Ergebnis: Zschäpe war psychisch gestört.


NSU-Prozess: Zweiter Gutachter sagt aus (BR 03.05.2017) !


Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe leidet unter einer schweren dependenten Persönlichkeitsstörung und sie ist deshalb nur vermindert schuldfähig - zu diesem Schluss kommt Bauer in einem Gutachten, das er heute im NSU-Prozess vorgelegt hat.
Bauer widerspricht damit dem offiziellen Gerichtsgutachter Professor Henning Saß.
Denn der hatte Zschäpe volle Schuldfähigkeit attestiert.

14 Stunden Gespräche mit Zschäpe
Im Gegensatz zu Saß, dem Zschäpe jedes Gespräch verweigerte, durfte Bauer die Angeklagte ausführlich befragen - bei insgesamt sieben Besuchen in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim.
Dabei habe Zschäpe eine geradezu kindlich anmutende Offenheit an den Tag gelegt, so Bauer.
Seelisch belastende Themen habe sie dagegen nur ungern mit dem Psychiater besprochen und sich vieles nur aus der Nase ziehen lassen.
Unter anderem deshalb gehe er davon aus, dass ihre Angaben durchaus glaubwürdig seien - was Nebenklage-Vertreter Yavuz Narin bezweifelt:


Tatsächlich hat Gutachter Bauer keinen einzigen Verhandlungstag im NSU-Prozess verfolgt, er stützt sich bei seiner Untersuchung lediglich auf eine kleine Auswahl an Zeugenaussagen, auf Zschäpes schriftliche Einlassungen vor Gericht und unter anderem auch auf die polizeiliche Vernehmung von Zschäpes Mutter, und das obwohl diese jeglicher gerichtlichen Verwertung ihrer Aussagen widersprochen hat, worauf der Vorsitzende Richter Manfred Götzl heute ausdrücklich hinwies.
Vor allem aber stützt Bauer sich auf seine Gespräche mit Zschäpe, insgesamt 14 Stunden lang befragte er sie in einem fensterlosen Besprechungszimmer des Untersuchungsgefängnisses.

Gewalt unter Terroristen
Und dabei hat ihm die 42-Jährige unter anderem davon berichtet, dass sie von ihrem Liebhaber, dem NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, immer wieder schwer misshandelt worden sei.
Teils habe Böhnhardt, dessen Hang zu Waffen und Gewalt im Prozess mehrfach von Zeugen bestätigt worden ist, sie so schwer geschlagen, dass sie Hämatome davon trug, einmal habe er auf sie eingetreten, bis sie sich übergeben habe.
Dennoch habe sie ständig Angst davor gehabt, von Böhnhardt verlassen zu werden.
Psychiater Joachim Bauer konstatiert deshalb ein krankhaftes Abhängigkeitsverhältnis.
Auch Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler kann sich vorstellen, dass es Gewalt in der Beziehung zwischen Zschäpe und Böhnhardt gab, sie habe aber jederzeit die Wahl gehabt, auszusteigen:


Prügel zwischen Mundlos und Böhnhardt
In ihren bisherigen Einlassungen vor Gericht hat Zschäpe die Gewalt, die Böhnhardt ihr angetan haben soll, kaum erwähnt - auch nicht, dass Uwe Mundlos sie gegenüber Böhnhardt einmal offensiv verteidigt habe, woraufhin sich eine so heftige Schlägerei zwischen den beiden Männern entwickelt habe, dass Mundlos schließlich zeitweise aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei.
Verschweigen und Verdrängen sei jedoch ein typisches Verhaltensmuster für Opfer von Gewalt, konstatierte nun ihr Gutachter Joachim Bauer, das gelte insbesondere für missbrauchte Frauen.
Und er ließ durchblicken, dass Zschäpe von ihrem Liebhaber möglicherweise auch sexuell missbraucht worden sei.
In jedem Fall sei Zschäpes Steuerungsfähigkeit massiv eingeschränkt gewesen, so Bauer, sie habe sich geradezu in einer "verschärften Geiselhaft" mit den beiden Uwes befunden.
Weshalb die Voraussetzungen für eine verminderte Schuldfähigkeit gegeben seien.
Ein Befund, der bei Opfer-Anwalt Mehmet Daimagüler auf wenig Verständnis stößt:


Gutachter Professor Bauer musste sich am heutigen Verhandlungstag noch keinen kritischen Nachfragen der Prozessbeteiligten stellen.
Das wird erst Mitte Mai der Fall sein, dann ist er wieder als Zeuge im NSU-Prozess geladen.


 
362. Verhandlungstag: Gegengutachter erneuert Kritik !

"Das kann man so nicht machen.
Das ist methodisch nicht korrekt. Ich kann nicht einzelne Punkte aus einem Gesamtkatalog zur Beurteilung heranziehen."
Solche und ähnliche Antworten erhielt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl während der gesamten Befragung, in der er nochmal das Ende April vorgestellte Gegengutachten des Psychiaters von der Ruhruniversität Bochum Seite für Seite durchging.

Fundamentalkritik an Kollege Saß
Faustmann blieb bei seiner Kritik an der Arbeit seines renommierten Kollegen Saß.
Und weil vieles von dem für Nichtfachleute nur schwer nachvollziehbar war, brachte es Faustmann an einer Stelle so auf den Punkt:


Viel Fundamentalkritik also an Saß, der der Hauptangeklagten im NSU-Prozess Beate Zschäpe volle Schuldfähigkeit bescheinigt hatte.
Und auch nicht ausschloss, dass von ihr künftig Gefährlichkeit ausgehen könnte.
Nach Auffassung von Faustmann hat Saß dabei aber nicht den wissenschaftlichen Standards entsprechend gearbeitet.
Manche Sachverhalte seien nicht eindeutig zugeordnet, an einigen Stellen sei das Gerichtsgutachten suggestiv formuliert.

Anwalt Stahl: "Ich bin entsetzt"
Eine Sichtweise, der sich der Vorsitzende des Münchner Staatsschutzsenates heute aber erkennbar nicht anschloss.
So sahen es am Ende wohl auch die sogenannten Altverteidiger von Beate Zschäpe, die den Gegengutachter beauftragt hatten.
"Nahezu jede Frage hatte den Anschein, als wollten Sie Herrn Faustmann bloßstellen oder entlarven, dass er von dem, was er sagt, keine Ahnung hat," beschwerte sich Rechtsanwalt Wolfgang Stahl.
"Ich bin ehrlich gesagt entsetzt."

Saß will Erklärung vortragen
Der vom Gericht bestellte Gutachter Saß selbst verzichtete darauf, seinem Kritiker Fragen zu stellen.
Stattdessen hatte er eine Erklärung vorbereitet, mit der er die Vorwürfe von Faustmann zurückweisen wollte.
Die konnte er allerdings heute noch nicht vortragen.
Das Gericht will sie erst zu einem späteren Zeitpunkt hören.




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Zahlen, Paragrafen, Fachchinesisch !

Kennen Sie den ICD 10? Oder HCR 20? Oder sagt Ihnen FACS etwas?
Nein?
Kein Grund zur Beunruhigung.
Dem Gerichtsreporter ging es genauso, jedenfalls bis zum heutigen 362. Verhandlungstag im NSU-Prozess, an dem mit diesen und anderen Kürzeln geradezu um sich geworfen wurde.

Und das über Stunden.
Zwei Erkenntnisse blieben dabei vor allem hängen: Nicht nur Juristen lieben es, mit Zahlen, Paragrafen und Expertenvokabular zu protzen, sondern auch Mediziner.
Und: Der NSU-Prozess ist auch eine Schule fürs Leben.

Universitäre Prozesshilfe für Beate Zschäpe
Im Zentrum des heutigen Prozesstages stand Professor Pedro Faustmann.
Für die Verteidiger der Hauptangeklagten hat Faustmann ein Gutachten erstellt und zwar, wie er betont, im Rahmen seines Lehr- und Forschungsauftrags an der Ruhruniversität in Bochum – kostenlose Prozesshilfe also für Beate Zschäpe.

Faustmanns Auftrag bestand vor allem darin, das offizielle Gutachten des vom Gericht bestellten forensisch-psychiatrischen Sachverständigen Professor Henning Saß zu widerlegen.
Das fällt nämlich ziemlich ungünstig für Zschäpe aus: Sie sei voll schuldfähig, zudem manipulativ, spalte ihre eigene Verantwortung für die Taten des NSU ab, sei rückfallgefährdet etc.

Faustmann: Offizielles Gutachten "unwissenschaftlich"
Gegengutachter Faustmann hat die Ausführungen von Saß nun "methodenkritisch" unter die Lupe genommen, d.h. er hat sie in großen Teilen als "unwissenschaftlich" verworfen.

Inwiefern die Argumentation von Prof. Faustmann schlüssig ist, vermag der Gerichtsreporter (von der Ausbildung her nur Politikwissenschaftler) nicht zu entscheiden.
Schon das im feinsten Fachchinesisch gehaltene Gegengutachten, das vor Wochen im Prozess verlesen wurde, war für ihn weitgehend unverständlich, und das galt auch für weite Teile der heutigen Befragung des Sachverständigen Faustmann.
Richter löchtert Gutachter mit Detailfragen

Und vielen Prozessbeteiligten schien es da ganz ähnlich zu gehen.
Einzig der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte seine Hausaufgaben gemacht und löcherte den Gutachter mit detail- und kenntnisreichen Fragen.
Da wurden dann ausführlich Fachbegriffe erörtert wie Resilienz, Persönlichkeitsakzentuierung, Operationalisierung oder eben auch ICD 10, HCR 20 bzw. FACS.

Übrigens ist ICD 10 die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten, bei HCR 20 handelt es sich um ein Verfahren, mit der Vorhersagen über Gewalttaten gemacht werden können.
Und FACS ist die Abkürzung für Facial Action Coding System – eine wissenschaftliche Methode, mit deren Hilfe man aus der Mimik einer Person auf deren psychischen Zustand schließen kann.

Wer sich heute auf der Zuschauertribüne im Saal A 101 des Münchner Justizzentrums umblickte, der konnte freilich auch ohne psychologische Ausbildung aus den Gesichtern so Einiges ablesen: Zum Beispiel Erstaunen, Unverständnis und ein wenig Ermüdung.


 
363. Verhandlungstag: Vier Jahre und endlich ein Ende ?

Es ist der 363. Verhandlungstag.
Alles läuft wie immer: Beate Zschäpe kommt.
Dann betreten die Richter Saal A 101. Begrüßungsprozedere.
Das "Guten Morgen-Guten Morgen-Guten Morgen" des Vorsitzenden Richters beginnt.

Überprüfung der Anwesenheit der Prozessbeteiligten.
Antrag der Verteidigung Zschäpe.
Antrag der Verteidigung Wohlleben.
Antrag der Nebenkläger.
Wir Gerichtsreporter schreiben mit.
Fast schon Routine und das seit heute genau vier Jahren und elf Tagen.
Und dennoch ist an diesem 17. Mai 2017 etwas anders.
Denn heute läuft eine Frist aus.
Eine Frist an alle Prozessbeteiligten noch letzte Anträge zu stellen.

Es fühlt sich seltsam an.
So lange haben wir Gerichtsreporter in letzter Zeit auf diese Frist des Vorsitzenden Richters gewartet.
Jetzt ist sie da. Ein Signal, dass dieser Mammutprozess ein Ende haben wird.
Fast unglaublich.
Letzte Anträge werden heute bis zum frühen Nachtmittag gestellt.
Das Ende der Beweisaufnahme rückt in greifbare Nähe.
Dann fehlen nur noch die Plädoyers vor dem Urteil.
Aber wie immer in diesem Verfahren müssen wir Gerichtsreporter doch noch eine kleine Einschränkung machen: im NSU-Prozess kann es immer Überraschungen geben.
Auch noch zum Schluss.

Formal juristisch sind nämlich neue Anträge - zum Beispiel Zeugen zu laden oder Beweismittel beizuziehen - auch an den nächsten Verhandlungstagen weiter möglich.
Aber der Senat kann jetzt solche Anträge nach der heute verstrichenen Frist leichter ablehnen.
Fraglich aber ist, ob noch viele kommen werden.
Denn das meiste Pulver ist wohl schon verschossen, sagte ein Opferanwalt heute Nachmittag.
Aber man weiß nie im NSU-Prozess.
Das Ende ist in Sicht - aber eben noch nicht zum Greifen nah.


 
364. Verhandlungstag: Gutachter im Kreuzverhör !

Nach Ansicht des Freiburger Psychiaters Joachim Bauer ist die Schuldfähigkeit von Beate Zschäpe wegen einer krankhaften Persönlichkeitsstörung eingeschränkt.
Damit sieht er die Hauptangeklagte im NSU-Prozess völlig anders als der vom Gericht bestellte Forensiker Henning Saß, der zudem im Gegensatz zu Bauer Zschäpe auch künftig für gefährlich hält.
Am Donnerstag musste sich der von der Verteidigung beauftragte Psychiater stundenlang vielen kritischen Fragen stellen.

An Selbstbewusstsein mangelt es dem Professor aus Freiburg nicht.
Er habe ein "sehr gutes Gutachten" erstellt, sagt er an einer Stelle der mehrstündigen Befragung durch Richter Manfred Götzl.
Der will an diesem Verhandlungstag ganz genau wissen, warum der Freiburger Psychiater die Darstellung von Zschäpe für glaubwürdig hält.
Und warum sie seiner Meinung nach an einer dependenten Persönlichkeitsstörung leidet, die ihre Schuldfähigkeit einschränke.
Bauer berichtet überraschender Weise von einem weiteren Treffen mit Zschäpe nach der Erstattung seines Gutachtens in der Justizvollzuganstalt Stadelheim.
Dort habe er sie unter anderem gefragt, warum sie nach dem Mordtaten protestiert habe, obwohl doch Uwe Böhnhardt sie immer wieder misshandelt habe.
Laut Bauer habe Zschäpe das als "Reflexschrei" erklärt, als spontanen Protest, über dessen Folgen sie sich in dem Moment keine Gedanken gemacht habe.

Bauer hält Zschäpe für glaubwürdig
Der Freiburger Psychiater bleibt auch nach stundenlanger Befragung bei seiner Überzeugung.
An mehreren Stellen muss er allerdings einräumen, dass er mit Zschäpe über viele Sachverhalte gar nicht gesprochen habe.
Aber nicht, weil er das vermeiden wollte, sondern weil schlicht die Zeit nicht dafür ausgereicht habe, die für seine Exploration zur Verfügung hatte.
Und diese punktuelle Befassung mit nur drei Morden und den Aussagen weniger Zeugen des Verfahren, das lassen auch die vielen kritischen Nachfragen von Seiten der Bundesanwaltschaft erkennen, ist wohl der größte Schwachpunkt seines Gutachtens.

Anders als der von ihm "hochverehrte Kollege Saß - das ist keine Floskel", so betont Bauer mehrfach, hat er zwar mit Zschäpe gesprochen, aber dabei nur einen Bruchteil von Dingen exploriert.
Angesichts der vielen Verbrechen, die der NSU über viele Jahre begangen hat, haken da auch viele Opfervertreter nach: "Kann man da die eingeschränkte Schuldfähigkeit für alle Taten annehmen?"
Eine Frage, die Anwältin Doris Dierbach stellt diese Frage für viele im Saal.
Der Freiburger Psychiater Bauer meint ja, da er von einem "überdauernden Schema einer dependenten Persönlichkeitsstörung" bei Beate Zschäpe ausgeht.

Zweifel an der fachlichen Befähigung
An seiner fachlichen Eignung als Gutachter haben viele Opferanwälte allerdings erhebliche Zweifel.
Auf Nachfrage muss Bauer einräumen, dass er Anfang der achtziger Jahre als Assistent lediglich an fünf forensischen Gutachten mitgewirkt habe.
Und auch die Publikation "Mindestanforderungen für forensische Prognosegutachten" ist Bauer nach eigenen Angaben nicht bekannt.
Immer wieder entsteht der Eindruck, dass Bauer nicht ein nüchtern analysierender Gutachter ist, sondern eher ein Therapeut, der viel Verständnis für seine Patientin zu haben scheint.
Dazu passt auch eine Episode, die durch einen Vermerk aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim bekannt wird.
Bei einem seiner Besuche hat Bauer demnach eine kleine Schachtel Pralinen für Zschäpe dabei gehabt.
Das sei nur eine "reine Geste der Humanität" gewesen, verteidigt Bauer sein Mitbringsel und verwehrt sich dagegen, in diesen "Akt der Humanität" etwas hineinzuinterpretieren.


 
365. Verhandlungstag: Das seltsame Verhalten von Zschäpes Wunschgutachter !

Beate Zschäpes Wunschgutachter setzt den NSU-Prozess laut Nebenklage einer "Hexenverbrennung" gleich - und die Aussage ihrer Mutter hilft ihr auch nicht viel weiter.
Die Strategie von Beate Zschäpe und den Verteidigern ihres Vertrauens erscheint immer fragwürdiger.

Zum zweiten Mal war Beate Zschäpes Mutter heute im NSU-Prozess geladen.
Sie verweigerte erneut ihre Aussage, stimmte aber der Verwertung ihrer polizeilichen Vernehmung aus dem November 2011 zu.
Damals, kurz nach dem Auffliegen des NSU, schilderte sie den Polizeibeamten ihren Lebensweg.
1975 gab sie ihr neugeborenes Baby mal zur Großmutter, mal zu ihrem neuen Mann, heiratete zweimal und ließ sich kurz darauf wieder scheiden.

Beate Zschäpe und ihre Mutter
Ihre Tochter schilderte sie als liebes aufgeschlossenes Kind.
Beate habe gewusst, was sie will und sei nicht leicht zu beeinflussen gewesen.


Im Teenageralter, als Beate Zschäpe zuerst mit Uwe Mundlos verlobt, dann mit Uwe Böhnhardt liiert war, kam es zum Zerwürfnis zwischen Mutter und Tochter.
Das hat auch an der Mutter gelegen, die arbeitslos war und deshalb einen Durchhänger hatte.
Dass Beate in der rechten Szene aktiv war, hat sie erst 1996 richtig realisiert, nach einer Hausdurchsuchung der Polizei und zwei Jahre vor dem Untertauchen des Trios.
Sie selbst war eher linksgerichtet eingestellt.

Die Aussage von Zschäpes Mutter hätte nicht verwertet werden dürfen
Dass all diese Erkenntnisse spät aber doch in den NSU-Prozess eingeführt werden, geht auf die neuen Verteidiger Beate Zschäpes zurück.
Die Rechtsanwälte Grasel und Borchert stellten das Protokoll der polizeilichen Vernehmung Prof. Joachim Bauer zur Verfügung, übersahen aber, dass die Mutter eigentlich der Verwertung widersprochen hatte.
Peinlicher Fehler, der nun im Nachhinein behoben wurde.

Bauer hatte sein Gutachten über Beate Zschäpe wesentlich auf den Aussagen der Mutter aufgebaut und seine Diagnose einer dependenten Persönlichkeitsstörung daraus abgeleitet.
Bauer hält Beate Zschäpe nach insgesamt 16 Stunden Exploration für vermindert schuldfähig, ja sogar für unschuldig.
Zschäpe war demnach von ihrem Partner Uwe Böhnhardt krankhaft abhängig und konnte sich nicht lösen, obwohl sie die Morde missbilligte.
Doch Bauers Gutachten wird immer fragwürdiger.

Zschäpes Wunschgutachter schreibt von Hexenverbrennung
Vergangene Woche wurde bekannt, dass er versucht hatte, Beate Zschäpe Pralinen mit in die JVA zu bringen.
Schon das warf Fragezeichen auf.
Heute berichtete Nebenklage-Anwältin Doris Dierbach von einer Email, die Prof. Bauer am 21. Mai an die "WeltN24 Mediengruppe" schickte.
Er bot darin einen exklusiven Beitrag über Beate Zschäpe und die Situation im NSU-Prozess an.
Er habe ein Gutachten verfasst, dass einigen nicht passe.


Opfer-Anwältin Doris Dierbach findet diese Email skandalös und beantragte, den Wunschgutachter von Beate Zschäpe wegen Befangenheit abzulehnen.
Ihm fehle die professionelle Distanz.
Über den Befangenheitsantrag wurde noch nicht entschieden.
Die Bundesanwaltschaft will vor einer Stellungnahme erst prüfen, ob die Email richtig zitiert wurde.


 
366. Tag: Gutachter bleibt dabei - Zschäpe voll schuldfähig !

Der psychiatrische Gutachter im NSU-Prozess, Henning Saß, hält die Hauptangeklagte Beate Zschäpe weiter für voll schuldfähig - und unter Umständen für gefährlich.
Er wies damit die Kritik seines Gegengutachters zurück.
Unterdessen verzögert sich die Beweisaufnahme um weitere Wochen.

Der Aachener Professor Saß ist der vom Gericht bestellte psychiatrische Sachverständige im NSU-Prozess.
Seit Monaten versucht die Verteidigung Zschäpes sein Gutachten anzufechten - mit unterschiedlichen Strategien.
Zschäpes Alt-Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl halten es für methodisch angreifbar.
Die Verteidiger, denen Zschäpe vertraut, Mathias Grasel und Hermann Borchert, ließen die Hauptangeklagte durch einen Psychiater ihrer Wahl untersuchen: Joachim Bauer.
Nach sieben Besuchen in der Justizvollzugsanstalt und 14 Stunden persönlichem Gespräch mit der Hauptangeklagten diagnostizierte er eine Persönlichkeitsstörung bei Zschäpe.
Sie habe das NSU-Trio aufgrund krankhafter Abhängigkeit nicht verlassen können.
Bauer hält Zschäpe für vermindert schuldfähig.

Saß sieht keine psychische Erkrankung
Saß kann Bauers Diagnose nicht nachvollziehen.
Sie entspreche nicht den Mindestanforderungen einer forensischen Begutachtung.
Auch er habe Auffälligkeiten in der Persönlichkeit Zschäpes festgestellt, sie erfüllten aber nicht die Merkmale einer psychischen Erkrankung.
Saß attestiert Zschäpe eine Tendenz zu dissozialem Verhalten mit anti-sozialen Zügen.
Eine dependente Persönlichkeitsstörung kann er aber nicht feststellen.
Das Gutachten von Bauer habe aber neue Tatsachen geliefert, die ihn jedoch in seinen Einschätzungen eher bestärkten.

Saß hat den Prozess über vier Jahre verfolgt, hörte Zeugen und beobachtete die Hauptangeklagte während zahlreicher Verhandlungstage.
Zschäpe hatte sich geweigert, mit ihm zu sprechen.

Ende der Beweisaufnahme verzögert sich weiter
Eigentlich wollte das Gericht die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen nun beenden.
Doch die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm beantragten weiteren Aufschub, um ein "Fragekonzept" zu erarbeiten.
Dazu müssten sie zunächst den von ihnen beauftragten Gutachter Pedro Faustmann sprechen.
Der sei aber am Dienstag nicht erreichbar gewesen.
Damit verzögert sich das Ende der Beweisaufnahme im NSU-Prozess um weitere Wochen.
Saß wurde für den 29. Juni geladen, um die Fragen der Zschäpe-Verteidigung zu beantworten.


 
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