Der NSU Prozess !

309. Verhandlungstag: Eine Angeklagte, die nur wenige Fragen beantwortet !

Beate Zschäpe sitzt seit Jahren in Untersuchungshaft.
Neben der laufenden Gerichtsverhandlung beschäftigt sich die Hauptangeklagte mit dem Verfassen von Briefen.
Doch das Briefgeheimnis von Gefangenen ist eingeschränkt.
Dürfen deshalb die von Zschäpe persönlich verfassten Zeilen in einem Antrag der Nebenklage öffentlich verlesen werden?

Niemand hat es gerne, wenn unbefugte Dritte Briefe lesen.
Das Briefgeheimnis ist ein in demokratischen Staaten garantiertes Grundrecht.
Für Gefangene gelten andere Regeln.
Schreiben an Volksvertretungen des Bundes und der Länder oder beispielsweise an den Europäischen Gerichtshof dürfen grundsätzlich nicht überwacht werden.
Anders ist das bei anderen Adressaten und Absendern, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt es erfordert oder aus Gründen der Behandlung.
Das Gesetz sieht aber nicht nur vor, dass die Briefe von und an Gefangene gelesen werden, sondern die Post kann sogar aus dem Verkehr gezogen werden.
Dafür müssen allerdings gewichtige Gründe vorliegen, zum Beispiel, wenn der Brief grobe Beleidigungen beinhalten würde oder wenn die Anstaltsverhältnisse „erheblich entstellend“ dargestellt wären.

Im konkreten Fall wurde ein Schreiben von Beate Zschäpe „angehalten“.
Er war adressiert an den damals noch inhaftierten Robin S.. Er zählt zum militanten Kern der rechten Szene in Dortmund.
Zschäpes Zeilen wurden ihm aber nie zugestellt, sondern in Kopie an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet.
„Das ist eine Straftat!“ meinte Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Stahl.
Der Brief ist mittlerweile Teil der Prozessakten und für die Nebenklage ein gefundenes Fressen.
Rechtsanwalt Alexander Hoffmann hatte heute gerade begonnen seinen Beweisantrag vorzutragen, als er sogleich von der Verteidigerbank unterbrochen wurde.
Der Grund: Der Nebenklagevertreter hatte angesetzt, den persönlichen Brief von Beate Zschäpe zu verlesen.
Auf der Zuschauertribüne waren Sätze zu vernehmen wie: “In guter Regelmäßigkeit wird mir hier eine Dauermedikation angeboten.
Lustig ist, dass ich keinerlei Anzeichen dafür habe.
Keine Depressionen, keinen Nervenzusammenbruch.
Das würde ich der Öffentlichkeit auch nicht zeigen.“
Einleitend hatte Hoffmann die Verlesung damit begründet, dass das Geschriebene im Gegensatz zu dem Bild stünde, das Zschäpe in der Öffentlichkeit zeichnen wolle.

Die im Gerichtssaal herrschende Öffentlichkeit wurde aufgelöst.
Journalisten und Besucher mussten vor dem Gerichtssaal zu warten.
Denn der Senat hatte beschlossen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln, ob die Öffentlichkeit bei der weiteren Verlesung des Beweisantrages ausgeschlossen werden soll.
Wie der Senat entscheidet, steht noch aus.
Der Beweisantrag der Nebenkläger konnte heute jedenfalls nicht zu Ende gestellt werden.
Der Rest des Briefes blieb somit unter Verschluss.

Nach einem solchen Verhandlungstag stellen sich natürlich viele Fragen: Wie viel Privatsphäre muss einer Gefangenen zugestanden werden?
Muss Beate Zschäpe nicht selbst davon ausgehen, dass ihre Post zumindest gelesen, wenn nicht sogar gestoppt wird?
Noch dazu, wenn sie an einen anderen Gefangenen der rechten Szene adressiert ist?
Darf eine Justizvollzugsanstalt Briefe überhaupt „anhalten“ und anschließend kopieren und weiterversenden?
Geht das nicht zu weit?
Fest steht: Der Brief ist von großem Interesse – für die Prozessbeteiligten, weil er offenbar Details zum Innenleben der Angeklagten preisgibt, die so noch nicht bekannt sind.
Dem Senat liegt das Schreiben natürlich vor.
Doch so lange es nicht in den Prozess eingeführt wird, darf es beim Urteil keine Rolle spielen.
Es bleibt also spannend, welche Begründung sich das Gericht zu Eigen machen wird.


 
310. Verhandlungstag: Endloses Frage-Antwort-Spiel? – Nein !

Das Gericht hat noch Fragen an Beate Zschäpe.
Mit der Beantwortung wird sie sich aber nicht sehr lange Zeit lassen können, denn die Beweisaufnahme wird wohl nicht mehr lange dauern.

Manfred Götzl will also doch noch Einiges von der Hauptangeklagten wissen.
36 Fragen diktierte der Vorsitzende Richter nun Zschäpe-Pflichtverteidiger Mathias Grasel in den Block.
Die Fragen drehen sich unter Anderem um Komplexe, zu denen auch die Nebenklage-Anwälte Antworten von Zschäpe wollten.
Doch die Fragen der Opferanwälte will die Hauptangeklagte nicht beantworten.
Fragen des Gerichts allerdings schon.

Zschäpes-Angaben werden hinterfragt
Nach welchen Kriterien die Opfer der NSU-Mordserie ausgesucht wurden, will das Gericht zum Beispiel von Beate Zschäpe wissen.
Dazu hat sie bisher in ihren Erklärungen geschwiegen.
Auch wie das Zusammenleben im Untergrund mit den beiden Uwes genau ablief, hat Zschäpe noch nicht näher beschrieben.
Das Gericht will es nun wissen.

Welche übereinstimmenden Themen hatte das Trio?
Worüber sprach man?
Worüber wurde gestritten?
Zwischen den Zeilen machen diese Fragen deutlich, dass dem Gericht die bisherigen Erklärungen und Antworten Zschäpes bei Weitem nicht ausreichen.
Ewig warten wird der Senat aber wohl nicht auf die Antworten.
Das Ende der Beweisaufnahme im Mammutprozess scheint nicht mehr fern.

Neuer Beweisantrag im Fall Yozgat
Daran wird wohl auch ein neuerlicher Beweisantrag der Anwälte der Familie von Halit Yozgat nichts ändern.
Sie beantragten zum Mord an dem Betreiber eines Kasseler Internetcafes einen weiteren Sachverständigen zu vernehmen.
Der Experte soll bestätigen, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme, der zum Zeitpunkt des Mordes am Tatort war, die Schüsse auf Halit Yozgat hätte hören müssen.

Temme will nichts vom Mord mitbekommen haben und das Gericht hat seine Angaben als glaubhaft eingestuft.
Der Antrag sei der möglicherweise letzte Versuch den Senat davon zu überzeugen, dass Andreas Temme nicht glaubwürdig ist, sagte Yozgat-Anwalt Thomas Bliwier nun im Gerichtssaal.
Das Gericht wird die Vernehmung des Sachverständigen aber voraussichtlich ablehnen.


 
311. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Schoss Böhnhardt auf Chemnitzer Bauarbeiter ?

Kann dem NSU eine weitere Straftat zugeordnet werden?
Ein Opferanwalt machte nun auf einen 16 Jahre alten Fall aufmerksam, der möglicherweise mit der Terrorzelle zusammenhängt.

Der ursprüngliche Hinweis kam vom Angeklagten Carsten S. Schon kurz nach Prozessbeginn, im Sommer 2013, berichtete der Szeneaussteiger und Kronzeuge im Verfahren von einem Gespräch mit dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben.
Dieser habe ihm gesagt, die Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt hätten "jemanden angeschossen", erklärte Carsten S. im Gerichtssaal.
Das Bundeskriminalamt suchte daraufhin nach einer ungelösten Straftat, die zu den Angaben passen könnte.
Ohne Ergebnis. Nun ist dem Nebenklage-Anwalt Hardy Langer möglicherweise gelungen, was das Bundeskriminalamt nicht schaffte.

Vorfall passt zu Wohnort des Trios
Langer fand im Archiv zwei Artikel der Tageszeitung "Freie Presse" vom 15. Juni 2000. Darin wird von einem Luftgewehr-Schuss auf einen Bauarbeiter am Vortag, dem 14.Juni 2000, berichtet.
Der Mann erlitt eine Schusswunde im Unterarm.
Die Tat ereignete sich in der Wolgograder Allee in Chemnitz und genau dort, in Hausnummer 76, wohnte damals das untergetauchte Neonazi-Trio aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe.
Und es gibt noch eine weitere mögliche Übereinstimmung: Der Bauarbeiter wurde mit einer Luftdruckwaffe angeschossen.
Gestern berichtete ein Zeuge aus Jena im Prozess, Uwe Böhnhardt habe Ende der 90er Jahre mit einer Luftpistole auf ihn geschossen.
Nebenklage-Anwalt Langer hat nun beantragt den Bauarbeiter, der damals verletzt wurde, ausfindig zu machen und als Zeugen zu laden.
Das Gericht muss über den Antrag entscheiden.

Funkzellentreffer belastet Angeklagten André E.
Zuvor hatte ein Kriminalbeamter als Zeuge im Prozess ausgesagt, dass das Handy des Angeklagten André E. am Vormittag des 4. November 2011 in zwei Funkzellen nahe der Zwickauer Wohnung des Trios eingeloggt war.
Am gleichen Tag erschossen sich Mundlos und Böhnhardt in Eisenach und zündete Zschäpe die Wohnung in Zwickau an.
War André E. wenige Stunden zuvor bei Zschäpe zu Besuch?
Der Funkzellentreffer war bisher nicht bekannt.
Er fiel dem Bundeskriminalamt erst jetzt auf.
Dabei hatten die Ermittler eigentlich schon 2012 überprüft ob einer der Verdächtigen im NSU-Komplex in den Funkzellen nahe der Frühlingsstraße in Zwickau eingeloggt war.
Wie konnte ihnen André E. damals entgehen?

Wird Zschäpe-Brief Teil des Prozesses?
Erneut Thema im Verfahren: Die mögliche Verlesung und Verwertung eines Briefes den Beate Zschäpe 2013 aus dem Gefängnis an einen zu der Zeit ebenfalls inhaftierten Neonazi in Nordrhein-Westfalen schrieb.
Der Brief wurde damals geöffnet und abgelichtet.
Sein Inhalt lässt möglicherweise Rückschlüsse auf die Persönlichkeit Zschäpes zu.
Die Hauptangeklagte will unbedingt verhindern, dass das Schreiben in das Verfahren eingeführt wird. Ihre Verteidiger argumentieren, dass das Ablichten des Briefes unrechtmäßig war.
Die Bundesanwaltschaft dagegen hält eine Verlesung und Verwertung des Schreibens für zulässig.
Zu dieser Auffassung scheint auch das Gericht zu tendieren.
Der Vorsitzende Richter teilte mit, man erwäge den Brief zu beschlagnahmen.


 
312. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Wie betrunken war Beate Zschäpe ?

Beate Zschäpe war nach Berechnungen eines Rechtsmediziners deutlich alkoholisiert, als sie am 4. November 2011 die Fluchtwohnung der NSU-Terroristen in Zwickau anzündete.

Am 4. November 2011 trank Beate Zschäpe gegen 9 Uhr ihr erstes Glas Sekt an diesem Tag.
Am Abend war die Hauptangeklagte im NSU-Prozess bereits betrunken zu Bett gegangen, hatte nach eigener Aussage drei Flaschen Sekt über den Tag verteilt getrunken.
Ihre Mitbewohner und Freunde waren an diesem Morgen nicht da.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten einen Überfall auf eine Bank in Eisenach geplant.

"Ich wusste sofort, was passiert war"
Gegen Mittag erreichte Zschäpe dann die Nachricht, vor der sie sich immer gefürchtet hatte: Im Radio wurde über ein brennendes Wohnmobil mit zwei Leichen darin berichtet.
"Ich wusste sofort, was passiert war", heißt es in einer der schriftlichen Antworten Zschäpes auf Fragen des Gerichts.
Der Vorsitzende Richter Götzl trug diese heute vor.

Es war gegen 15:00 Uhr am gleichen Tag, als Beate Zschäpe mit rund zehn Litern Benzin, den letzten Unterschlupf des NSU, die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand setzte.
Ihrer Aussage nach erfüllte sie damit den letzten Wunsch von Böhnhardt und Mundlos nach deren Tod.

"Wahrscheinlich 2,85 Promille"
Zur Tatzeit war Beate Zschäpe betrunken.
Sie hatte bis 15:00 Uhr eine Flasche Sekt konsumiert.
Wenn man von einem Gewicht Zschäpes von etwa 58 Kilo ausgeht, Restalkohol und Alkoholabbau berücksichtigt, dann lag ihre Blutalkoholkonzentration bei wahrscheinlich 2,85 Promille, bei einem Gewicht von 63 Kilo bei wahrscheinlich 2,04 Promille.
Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständige Prof. Oliver Peschel von der Rechtsmedizin in München.

Kein Kontrollverlust
Offensichtlich hat die Angeklagte aber trotz Trunkenheit differenzierte Erinnerung an den 4.11.2011, hatte an diesem Tag keine Ausfallerscheinungen.
Zeugen beschreiben Zschäpe kurz nach der Brandstiftung als gefasst, ihr Gesichtsausdruck sei "normal" gewesen, sie sei sicher Straße entlang gegangen.
Deswegen, und aufgrund von Beate Zschäpes eigenen Angaben, kommt Peschel zu der Beurteilung, dass bei ihr keine Beeinträchtigung physischer oder kognitiver Fähigkeiten durch den Alkohol vorlag.
In ihrer Leistungsfähigkeit war sie demnach also bei der Brandstiftung, wegen der die Bundesanwaltschaft Zschäpe auch versuchten Mord vorwirft, nicht eingeschränkt.

Beweisaufnahme geht dem Ende entgegen
Unterdessen, kaum zu glauben, deutet sich ein Ende der Beweisaufnahme an.
Manfred Götzl forderte die Prozessparteien heute auf, "zeitnah" noch ausstehende Anträge zu stellen.
Auch die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, solle kommende Woche die noch ausstehen Antworten auf eine Reihe von Fragen liefern.
Der psychiatrische Gutachter Henning Saß, der Zschäpes Persönlichkeit beurteilen soll, will sein vorläufiges Gutachten in der dritten Oktoberwoche präsentieren.
Das psychiatrische Gutachten könnte den Schlusspunkt der Beweisaufnahme darstellen.


 
Beweismittelvernichtung: Strafanzeige gegen mehrere Bundesanwälte im NSU-Prozess !

München. Anklage gegen Bundesanwälte im NSU-Prozess.
Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler wirft ihnen vor, Beweismittel vernichtet zu haben.

Im NSU-Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe haben zwei Nebenklage-Anwälte Strafantrag gegen Bundesanwälte und Ermittler des Landeskriminalamtes Berlin gestellt.
Sie werfen ihnen vor, mögliche Beweismittel vernichtet zu haben.

Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, einer der Verfasser der Anzeige, sagte der Deutschen Presse-Agentur, gegen die Bundesanwälte und Polizeiermittler bestehe der Verdacht der Strafvereitelung im Amt oder ein Urkundsdelikt.

Bundesanwälte wollen Relevanz nicht erkannt haben
Nach einem Bericht der „Welt“ haben zwei Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft die Vernichtung eines Notizbuches angeordnet, das der frühere Anführer der sächsischen „Blood & Honour“-Organisation geführt haben soll.
Gegen ihn wird wegen des Verdachts ermittelt, er habe Waffen für den NSU beschafft.

Die Bundesanwälte sollen geltend gemacht haben, sie hätten die Relevanz des Notizbuchs für die Ermittlungen nicht erkannt.
Sie sollen die Vernichtung am 3. November 2014 angeordnet haben.
Drei Wochen davor war der „Blood & Honour“-Mann als Zeuge vor dem Münchner NSU-Prozess aufgetreten, wo er jede Aussage verweigerte.

Der NSU ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft für zehn Morde zwischen 2000 und 2007 verantwortlich.
Er bestand aus den mutmaßlichen Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt.
Zschäpe steht derzeit in München vor Gericht, Mundlos und Böhnhardt sind tot.


 
313. Verhandlungstag: "Zschäpe redet, ohne etwas zu sagen" !

Es war eine Riesen-Überraschung.
Beate Zschäpe ergreift im NSU-Prozess erstmals selbst das Wort.
Danach bleibt aber die Frage: Warum?
War es ein Akt der Verzweiflung?
Der Auftritt wirkte wenig glaubwürdig.

Verzweiflung kann sich sehr unterschiedlich Bahn brechen.
Im Saal A 101 des Münchner Strafjustizzentrums genügten nur wenige Sätze, um die juristische Ausweglosigkeit der Beate Zschäpe überdeutlich zu machen.
Nach 312 Verhandlungstagen brach Zschäpe ihr Schweigen im Prozess also auch im wörtlichen Sinne.
Letztlich redete sie aber nur, ohne etwas zu sagen.

Inhaltlich nichts Neues
Zu ihrer politischen Einstellung hatte die Hauptangeklagte bereits schriftlich Stellung genommen und auch von den Morden und Anschlägen, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt hatten, hatte sich Zschäpe schon im vergangenen Jahr schriftlich distanziert.
Wirklich neu in der dürren Stellungnahme, die sie verlas, war nur, dass Zschäpe auch das eigene Fehlverhalten verurteilt.
Aber was meint sie damit?
Dazu gab es keine konkreten Angaben, mal wieder.
Wie schon die schriftlichen Einlassungen zuvor, zeigte auch die mündliche Erklärung keinerlei Aufklärungswillen Zschäpes.

Zschäpe bleibt unglaubwürdig
In ihren bisherigen Angaben verstrickte sich Zschäpe in Widersprüche.
Sie konnte zum Beispiel nicht plausibel erklären, warum sie die DVDs verschickte, in denen sich der NSU zu seinen Morden bekannte, obwohl sie selbst die Bluttaten doch angeblich so sehr ablehnte.
Auch ihre Erklärungsversuche, warum es ihr über einen Zeitraum von 13 Jahren nicht gelang, sich von ihren mordenden Gefährten Mundlos und Böhnhardt zu trennen, sind nicht glaubwürdig.

Zschäpe zeichnet von sich selbst das Bild der fremdbestimmten Mitläuferin.
Doch in rund dreieinhalb Jahren Beweisaufnahme kristallisierte sich ein ganz anderes Bild heraus – das einer selbstbewussten, durchsetzungsstarken Person.
Als solche zeigte sich Zschäpe ja nicht zuletzt im Dauerstreit mit einigen ihrer Strafverteidiger.

Juristisch mit dem Rücken zur Wand
Das Gericht hat, das haben Nachfragen an die Hauptangeklagte deutlich gemacht, massive Zweifel an Zschäpes Version, deshalb droht ihr eine Verurteilung im Sinne der Anklage – als Mittäterin bei allen zehn NSU-Morden.
In dieser Situation, konfrontiert mit dem bevorstehenden Ende der Beweisaufnahme, ergriff Zschäpe nun also das Wort.

Das Ziel konnte nur darin bestehen, juristisch etwas herauszuholen.
Aber wie sollte das mit so wenig Inhalt gelingen?
Nur wenn Zschäpe umfassend Angaben macht, Fragen aller Prozessbeteiligten zulässt, auf diese Art glaubwürdig Aufklärungswillen demonstriert und Reue zeigt, kann sie in eigener Sache vielleicht noch etwas erreichen.

Zschäpe gut verteidigt?
Das müsste eigentlich auch den zwei Verteidigern klar sein, die aktuell Zschäpes Vertrauen genießen und die sie beraten.
Zuletzt hatte das Gericht extra zwei Verhandlungstage abgesetzt, um den Verteidigern Zeit zu geben, sich mit Zschäpe zu besprechen.
Der Inhalt von Zschäpes mündlicher Stellungnahme wirft die Frage auf, wozu Verteidiger und Mandantin diese Zeit eigentlich genau genutzt haben.


 
314. Verhandlungstag: V-Mann "Primus" kein Fall mehr für Prozess !

Keine geladenen Zeugen und doch ein voller Verhandlungstag: Das Münchner Oberverwaltungsgericht hat sich heute erneut mit zahlreichen Beweisanträgen und Stellungnahmen beschäftigt.

So lehnte der Strafsenat unter anderem mehrere Anträge der Wohlleben-Verteidigung ab und machte damit auch endgültig klar: Die Affäre um den V-Mann und Neonazi Ralph Marschner, dessen engen Kontakte zum NSU die ARD vor einigen Monaten enthüllt hat, wird im Münchner Verfahren nicht aufgearbeitet.
Zugleich könnte ein neuer Beweisantrag die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in die Bredouille bringen.

Die Rolle eines Berliner Polizisten
Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin, der Angehörige des Münchner NSU-Opfers Theodorus Boularides vertritt, will erreichen, dass ein Berliner Polizist demnächst in München vernommen wird.
Der Beamte war im Jahr 2000 im Objektschutz der Berliner Synagoge an der Rykestraße eingesetzt und will Anfang Mai 2000 eine Gruppe von mehreren Personen in unmittelbarer Nähe der Synagoge beobachtet haben, die dort mit Kartenmaterial zugange war und sich auffällig verhielt.

Laut Narin hat der Polizist dabei Beate Zschäpe und Uwe Mundlos erkannt und dies auch beim Berliner LKA angezeigt.
Bei einer Vernehmung einen Tag später habe er die beiden NSU-Mitglieder auf Lichtbildern eindeutig identifiziert.
Narin geht davon aus, dass Zschäpe und Mundlos, die in Begleitung von zwei weiteren Personen gewesen sein sollen, damals die Synagoge und den nahen jüdischen Friedhof als mögliches Anschlagsziel ausspioniert haben.

Der Vorfall ereignete sich rund vier Monate vor dem ersten NSU-Mord und belege, dass Beate Zschäpe durchaus von Anschlagsplänen des NSU gewusst habe und dass die Aktionen der Terrorgruppe "von Anfang an auch unter ihrer aktiven Mitwirkung erfolgten und von dieser mitgetragen wurden".
Beate Zschäpe hatte dagegen bisher stets betont, sie habe von Anschlägen und Morden des NSU wenn überhaupt erst hinterher erfahren.

Das Musiknetzwerk "Blood and Honour"
Ob das Gericht dem Beweisantrag stattgeben wird, muss sich zeigen.
Heute lehnte es mehrere andere Anträge ab, insbesondere von den Verteidigern des mutmaßlichen NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben.
Damit machte der Senat auch endgültig deutlich, dass es sich mit einigen durchaus interessanten Aspekten der Affäre nicht mehr befassen will, etwa der Frage, inwieweit das NSU-Kerntrio Gelder und Waffen aus dem Neonazi-Musiknetzwerk "Blood and Honour" erhalten hat.

Auch die Rolle des Neonazis und Verfassungsschutzspitzels Ralph Marschner alias "Primus" will das Oberlandesgericht nicht näher beleuchten.
Die ARD hatte vor einigen Monaten enthüllt, dass Marschner den untergetauchten NSU-Terroristen Uwe Mundlos unter falschem Namen in einer seiner Firmen beschäftigt hatte – in einer Zeit, da Marschner für den Bundesverfassungsschutz spitzelte und die Terrorgruppe bereits ihre ersten Morde verübte.
Doch der Senat hat nun entschieden, Marschner, der mittlerweile in der Schweiz lebt, nicht vorzuladen.

Außerdem werden Mitschriften der Telekommunikationsüberwachung von Marschner und dem sächsischen Neonazi-Führer Jan Werner nicht in die Hauptverhandlung eingebracht.
Werner soll laut eines Spitzels des Brandenburger Verfassungsschutzes versucht haben, Waffen für den NSU zu besorgen – auch das wird im Münchner Prozess nun voraussichtlich keine Rolle mehr spielen.
Dies sei "zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich", so der Senat bzw. "für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung".




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Ein brisanter Beweisantrag
War Beate Zschäpe auch an der Ausspähung von Anschlagszielen und Opfern des NSU beteiligt?
Ein am Donnerstag von Opferanwalt Yavuz Narin eingebrachter Beweisantrag liefert dafür Indizien - und wirft brisante Fragen auf.

Der Polizeibeamte, der am 8. Mai 2000 bei seinen Kollegen im Berliner Landeskriminalamt (LKA) eine Zeugenaussage machte, war sich ganz sicher: Die Frau, die er tags zuvor bei seinem Dienst an der größten Synagoge der Hauptstadt in der Rykestraße gesehen hatte, war Beate Zschäpe.
Und einer der beiden Männer, der mit ihr dort über eine Karte gebeugt im Restaurant "Wasserturm" gebeugt saß, war Uwe Mundlos.
Die beiden seien auch am Nachmittag dort vorbeigekommen.
Um welche Personen es sich handelte, erfuhr der Polizist freilich erst am Abend des 7. Mai - beim Fernsehschauen.
Die MDR-Sendung "Kripo live" strahlte einen Fahndungsaufruf aus.
Die Polizei suchte die 1998 untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Der Polizist meldete sich daraufhin umgehend bei seinen Kollegen, die am nächsten Tag seine Aussage auf fünf Seiten protokollierten.

War Zschäpe auch an Anschlagsplanungen beteiligt?
Opferanwalt Narin will mit der neuerlichen Vernehmung des Polizeibeamten beweisen, was viele vermuten, für das es bisher aber keine Belege gibt: die aktive Beteiligung von Zschäpe an der Planung von Verbrechen des NSU.
Bisher hat ja die Angeklagte in ihren Einlassungen behauptet, mit Ausnahme eines Banküberfalls immer erst im Nachhinein von den Taten erfahren zu haben, die Mundlos und Böhnhardt begingen.

Eine brisante Beobachtung
Auf die Synagoge in Berlin wurde im Zeitraum 1999 bis 2011 keine politisch motivierte Straftat verübt.
Das Bundeskriminalamt (BKA) misst der Aussage des Polizisten vom Mai 2000 daher keine besondere Bedeutung zu.
Narin freilich sieht das anders.
Der NSU habe bei der Auswahl seiner Ziele sehr genau darauf geachtet, dass er bei seinen Verbrechen kein hohes Risiko einging, gefasst oder erkannt zu werden.
Weil die Synagoge durch die Polizei und einen privaten Wachdienst gut geschützt war, habe die Terrorzelle offenbar auf ein Verbrechen dort verzichtet.
Dass sich aber Mundlos und Zschäpe, die in den Jahren zuvor ihren Hass auf Juden immer wieder zum Ausdruck gebracht hatten, stundenlang zufällig in unmittelbarer Nähe zur Synagoge aufhielten, und das auch noch mit einer Landkarte oder einem Stadtplan, lässt aus Sicht des Münchner Anwalts nur einen Schluss zu: Die beiden prüften, ob ein Anschlag möglich war.
Und das nur wenige Monate vor dem ersten NSU-Mord im September 2000.

Der Beweisantrag wirft Fragen auf
Doch nicht nur deswegen hat der Beweisantrag heute im Umfeld des Gerichtssaals für Diskussionen gesorgt.
Was hat die Polizei eigentlich nach der Zeugenaussage ihres Kollegen unternommen, um die am Abend zuvor per Fernsehaufruf gesuchten Personen zu finden?
Das ist die eine brisante Frage, die andere lautet: Wer waren eigentlich die vom Beamten beschriebenen weiteren Begleitpersonen von Mundlos und Zschäpe?
Uwe Böhnhardt hat der Polizist nicht gesehen.
Wer waren der weitere Mann, die andere Frau und die zwei Kinder?
Beides mag der Vorsitzende Richter Manfred Götzl demnächst vielleicht wieder als für die Urteilsfindung ohne erhebliche Bedeutung einstufen.
Doch eine genauere Überprüfung der möglichen Beteiligung von Zschäpe an den Planungen der Verbrechen wird er nicht so leicht zurückweisen können.
Denn der Anklagepunkt der Mittäterschaft steht ja seit Beginn des Prozesses auf einem juristisch etwas wackligen Fundament.
Wenn es zusätzliche Indizien geben sollte, wären die allemal auch in diesem späten Stadium des Prozesses verfahrensrelevant.

V-Mann "Primus" wird nicht geladen
Dass sich der Senat in vielen Punkten bereits seine Meinung gebildet hat, machte er am heutigen 314. Verhandlungstag mit der Ablehnung einer ganzen Reihe von Beweisanträgen der Verteidiger von Ralf Wohlleben deutlich.
Die hatten vor einigen Wochen beantragt, die Rolle des inzwischen in der Schweiz lebenden Neonazis Ralf M. näher zu beleuchten.
Die ARD hatte im Sommer aufgedeckt, dass der ehemalige V-Mann des Verfassungsschutzes mit Decknamen "Primus" Uwe Mundlos möglicherweise nach dessen Abtauchen in seiner Bauunternehmung beschäftigte.
Und "Primus" könnte den NSU, so die These von Rechtsanwalt Olaf Klemke, aus der Schweiz auch mit Waffen versorgt haben.
Doch das Gericht sieht keinen Grund, deshalb den V-Mann zu laden.
"Selbst wenn es so gewesen wäre", begründet Götzl die Ablehnung der Anträge, hätte es "für die Überzeugung des Gerichts keine tatsächliche Bedeutung".
Es sei längst klar, dass Mundlos und Böhnhardt über eine Vielzahl von Waffen verfügten und deshalb noch von einer unbekannten Quelle damit versorgt worden sein müssen.
Denn die Angeklagten Ralf Wohlleben und der geständige Carsten S. hätten nur die Ceska-Pistole besorgt.
Verurteilung von Wohlleben immer wahrscheinlicher

Fast eine Stunde lang begründet der Richter die Ablehnung der Anträge.
Danach wirken die Anwälte von Wohlleben regelrecht resigniert.
Der Senat sei nicht mehr bereit, die Herkunft der Tatwaffe ergebnisoffen zu prüfen, lamentiert Verteidiger Klemke, sondern habe sich die Arbeitshypothese der Bundesanwaltschaft zu eigen gemacht.
Der Richter habe keinen Beschluss erläutert, sondern "ein Urteil verkündet".
So kann man das in der Tat sehen.
Der Staatsschutzsenat scheint, das lässt er heute erneut durchblicken, von der Schuld des früheren NPD-Funktionärs überzeugt.
Wohlleben hat laut Anklage Beihilfe zum Mord geleistet, weil er zusammen mit Carsten S. die Pistole besorgt hat, mit denen Böhnhardt und Mundlos neun ihrer zehn Opfer töteten.


 
315. Verhandlungstag: Briefe lassen Verteidiger-Streit neu aufflackern !

Die "Alt"-Verteidiger von Beate Zschäpe fühlen sich "in der Verteidigung behindert".
Grund: Das Gericht hat ein wichtiges Schreiben ausschließlich an Zschäpes vierten Pflichtverteidiger Mathias Grasel weitergeleitet.

Nach Aussage von Rechtsanwalt Stahl wurde dieses Schreiben nicht an die drei anderen Pflichtverteidiger Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer weitergeleitet.

Als Prozessbeobachter hat man sich längst daran gewöhnt, dass durch Zschäpes Verteidigerriege ein tiefer und gut sichtbarer Riss geht: Auf der Anklagebank nimmt Beate Zschäpe stets neben ihrem Pflichtverteidiger Mathias Grasel Platz, dann bleibt in der Regel ein Platz leer.
Er ist ihrem Wahlverteidiger Hermann Borchert vorbehalten, der aber nur äußerst selten im Gerichtssaal auftaucht.
Dann erst kommen die Plätze für die drei "Alt"-Verteidiger Sturm, Stahl und Heer.
Sie haben keinen direkten Kontakt mehr zu ihrer Mandantin.
Auch heute sprach sie in einer Verhandlungspause ausschließlich mit Mathias Grasel, der sie seit Ende 2015 zusätzlich zu Sturm, Stahl und Heer als Pflichtverteidiger vertritt.

Verteidiger: Zschäpe-Brief soll nicht verlesen werden
Dennoch machen die Zschäpe-Verteidiger Sturm, Stahl und Heer ihre Arbeit – heute gaben sie etwa eine Stellungnahme zur umstrittenen Verwertbarkeit eines Briefes von Beate Zschäpe ab.
Sie wollen verhindern, dass die Kopie des Briefes vor Gericht verlesen wird.
Auf 26 Seiten schrieb Zschäpe im März 2013 an den Neonazi Robin S., der in der JVA Bielefeld im offenen Vollzug saß.
Die Nebenklage will das Schreiben in den Prozess einbringen, denn es verrät ziemlich viel über die Persönlichkeit Beate Zschäpes.
Sie zeigt sich darin ziemlich selbstbewusst.
Ganz anders als im Prozess: In ihren von ihrem Verteidiger Grasel verlesenen Aussagen zeichnet sie das Bild einer emotional abhängigen Frau und Mitläuferin der beiden mordenden Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
So versucht sie offenbar den Vorwurf der Mittäterschaft an zehn Morden zu entkräften.
Ihr droht eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Vorwürfe an Richter Götzl
Die Auseinandersetzung um den Brief währt nun schon einige Wochen.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte erkennen lassen, dass er erwägt, den Brief als Beweismittel einzubeziehen.
Was bisher nicht bekannt war, ist, dass das Gericht den Empfänger des Briefes, Robin S., um eine Stellungnahme bat.
Der wehrt sich am 22.9. schriftlich gegen eine Verwendung des Schreibens im NSU-Prozess; sieht seine Persönlichkeitsrechte verletzt.
Diese Antwort von Robin S. leitete das Gericht an Zschäpe-Verteidiger Grasel weiter.
Nicht aber an Stahl, Sturm und Heer.

"Wir sind hier im Blindflug unterwegs", beschwerte sich Wolfgang Stahl beim Vorsitzenden Richter Manfred Götzl.
Und sein Kollege Wolfgang Heer warf Götzl vor, ihn und seine zwei Kollegen nur noch wie Statisten zur Aufrechterhaltung des Verfahrens zu behandeln.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl reagierte nahezu wortlos. Begründete, dass nur Grasel um die Weiterleitung des Schreibens gebeten hatte.
Und verkündete, dass es morgen um 9:30 Uhr weitergeht.

Damit beendete Götzl einen Verhandlungstag, an dem nur ein Zeuge gehört wurde.
Es ging um die Überprüfung einer Aussage des Angeklagten Carsten S., in der er von einer Schlägerei Ende der 90er-Jahre an der Straßenbahnendhaltestelle Rudolstädter Straße in Jena-Winzerla berichtet hatte.
Der Zeuge Mario Sch., ehemaliger Ortsteilbürgermeister in Jena-Winzerla, ist stark sehbehindert und kam mit einem Blindenhund.
Um die Jahrtausendwende konnte er zwar noch besser sehen, seine Aussage war dennoch wenig ergiebig.

Hat Zschäpe im Mai 2000 in Berlin eine Synagoge ausgespäht?
Wichtig allerdings sind einige wenige Fragen, die Richter Manfred Götzl heute an Beate Zschäpe richtete.
Er will von ihr wissen, ob sie sich im Mai 2000 in Berlin aufgehalten hat, mit wem und unter welchen Umständen.
Nebenklagevertreter Yavuz Narin hatte die Aussage eines ehemaligen Polizisten aus dem Jahr 2000 entdeckt.
Der Wachpolizist hatte am 7.5.2000 eine Frau und einen Mann beobachtet, die offenbar die Synagoge am Prenzlauer Berg ausspähen wollten.
Er identifizierte die beiden wenige Tage später als die untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, über die das Fernsehen in einem Fahndungsaufruf berichtet hatte.
Der Wachpolizist ist Ende Oktober als Zeuge im NSU-Prozess geladen.


 
316. Verhandlungstag; V-Mann oder nicht V-Mann ?

Was ist eine Unterschrift wert ?
Bei Geschäftspartnern kann es um hohe Summen gehen, bei Testamenten um das Vermächtnis und bei Arbeitsverträgen um gegenseitige Verpflichtungen.
Die Unterschrift ist ein wichtiger Bestandteil rechtsgültiger Verträge.
Im NSU-Verfahren will nun ein Zeuge nicht sagen, ob er für den Verfassungsschutz gearbeitet hat.
Doch er hat genau das offenbar unterschrieben.

Gutachter gibt es für so gut wie alles - natürlich auch für den Vergleich von Handschriften.
Ein solcher Sachverständiger des Landeskriminalamts (LKA) Bayern hat vor Gericht die Ergebnisse des von ihm vorgenommenen Unterschriftenvergleichs präsentiert.
Der Szenezeuge Marcel D. hatte sich im Juli 2016 auf sein angebliches Zeugnisverweigerungsrecht berufen und keine Angaben dazu gemacht, ob er für den Thüringer Verfassungsschutz tätig war.
Sein mutmaßlicher V-Mann-Führer berichtete das Gegenteil.
Das pikante an der Angelegenheit: Es existiert ein Formular, in dem sich Marcel D. als V-Mann verpflichtet haben soll - mit Unterschrift.
Daher die dringliche Frage: Hat er oder jemand anders unterschrieben?

39 Vergleichsunterschriften
Der grafologische Gutachter hat 39 Vergleichsunterschriften von Marcel D. aus den Jahren 2004 bis 2016 herangezogen.
Die fragliche Unterschrift stammte aber aus dem Jahr 1999, was der Gutachter zwar bedauerte, aber als nicht entscheidend wertete.
Im Gegenteil: Er ist davon überzeugt, mit Hilfe von älteren Vergleichsunterschriften seine Schlussfolgerungen sogar untermauern zu können.

Der Sachverständige ging dann buchstabenweise den Namen durch.
Das "M" habe eine langen Anstrich, das "a" eine schleifenförmige Anformung.
Das "l" sei zwar manchmal zwei Millimeter länger, das würde aber nicht ins Gewicht fallen.
Bei den letzten drei Buchstaben des Nachnamens würde eine immer wiederkehrende Verschmelzung auftreten.
Insgesamt hätten sich daher keine Merkmale finden lassen, die auf eine Fälschung der Unterschrift von Marcel D. hinwiesen.
Mit anderen Worten: Die Unterschrift ist laut Gutachter echt.

Gegen den Zeugen läuft Ermittlungsverfahren
Fest steht: Der Zeuge Marcel D. wurde im NSU-Prozess als Zeuge bereits entlassen.
Der Grund: Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I.
Dieses Verfahren ruht zwar derzeit, kann aber jederzeit wieder aufgenommen werden.
Daher hat der Zeuge - zumindest zum Zeitpunkt seiner Zeugenaussage im NSU-Verfahren - das Recht, die Aussage zu verweigern.
Nun gibt es zwar ein positives, graphologisches Gutachten, das Marcel D. unterschrieben haben soll für das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz angeworben worden zu sein, der Betroffene hat aber das Recht zu schweigen.
Bleibt also die Frage: Was ist diese Unterschrift für das NSU-Verfahren dann noch wert?


 
317. Verhandlungstag: Peggy und der NSU !

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe.
Die Polizei findet DNA Spuren des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt neben der Leiche von Peggy Knobloch.
Damit hatte vor knapp zwei Wochen wohl kaum ein Ermittler gerechnet.
Beeinflusst diese Erkenntnis nun auch den NSU-Prozess in München ?

Die stellvertretene Pressesprecherin des Oberlandesgerichtes war sich heute Morgen recht sicher.
Der Fall Peggy wird im NSU-Prozess erst einmal keine Rolle spielen:


Überraschung am Nachmittag
Doch der Prozess ist auch nach über 3 Jahren noch immer für eine Überraschung gut.
Am Nachmittag spricht der Vorsitzende Richter Götzl den Fall Peggy direkt an.
Götzl will von Beate Zschäpe wissen, ob die Hauptangeklagte hierzu Informationen hat, die nicht in der Presse standen, die also vielleicht von Böhnhardt direkt stammen.

Ein Opferanwalt beantragt zudem, die kompletten Peggy-Akten dem Verfahren beizuziehen.
Auf einem Computer der NSU-Terroristen, der in diesem abgebrannten Versteck in Zwickau gefunden wurde, hätte sich kinderpornografisches Material befunden, sagt Mehmet Daimagüler zur Begründung.
Das und andere Beweise würde den Verdacht nahe legen, dass das NSU-Trio seinen Unterhalt auch durch Kinderpornografie bestritten hätte oder zumindest in dieses Milieu verstrickt gewesen sei.


Zschäpes Glaubwürdigkeit
Beate Zschäpe wird die Fragen des Vorsitzenden Richters wie immer schriftlich beantworten.
Anhand des Falls Peggy will das Oberlandesgericht womöglich die Glaubwürdigkeit Zschäpes überprüfen.
Vielleicht will man sich aber einfach nur nicht vorwerfen lassen, untätig gewesen zu sein.


 
318. Verhandlungstag: Voll daneben !

Ein Verhandlungstag, der einen mit zwiespältigen Gefühlen zurück lässt.
Einerseits ging es heute für den Angeklagten Wohlleben ans Eingemachte, anderseits konnte man sich als Gerichtsreporter des Eindrucks nicht erwehren, im Saal A 101 des Münchner Justizzentrums nur seine Zeit zu verschwenden.

Stand an der Endhaltestelle der Straßenbahn im Jenaer Stadtteil Winzerla mal ein Holzhäuschen oder nicht?
Mit dieser Frage beschäftigt sich der NSU-Prozess nun schon seit unzähligen Verhandlungstagen in unzähligen Varianten – bis hin zu dem skurrilen Höhepunkt, dass dazu jüngst gar ein sehbehinderter Zeuge aus Jena befragt wurde.
Heute kam eine neue Variante hinzu: Der Geschäftsführer der Jenaer Verkehrsbetriebe wurde dazu einvernommen.

Gab es das Häuschen oder nicht?
Was das Ganze soll?
Nun, es geht um einen brutalen Überfall gewalttätiger Neonazis auf zwei Jugendliche im Jahr 1998.
Carsten S., der einzige Angeklagte, der umfassend aussagt und geständig ist, hatte über diesen Angriff berichtet und auch angegeben, dass der Mitangeklagte Ralph Wohlleben damals mitgeprügelt hatte.
Und in seiner Aussage erwähnte Carsten S. eben dieses Holzhäuschen.
Nun versucht die Verteidigung Wohlleben seit Monaten zu beweisen, dass es dieses Holzhäuschen gar nicht gegeben hat, in der Hoffnung, dass damit Carsten S. insgesamt unglaubwürdig wird.
Denn dieser hat den mutmaßlichen Waffenlieferanten des NSU, Wohlleben, in seiner Aussage insgesamt schwer belastet.

Doch die Bemühungen der Wohlleben-Verteidigung dürften vergeblich sein, denn dank der Recherchen eines Nebenklageanwalts, der heute ebenfalls als Zeuge vernommen wurde, sind inzwischen nicht nur Presseartikel zu dem Vorfall aufgetaucht, sondern auch die bislang unauffindbaren Polizeiakten zu dem Fall.
Sie werden wohl demnächst in den Prozess eingeführt.

Fragwürdige Befragung
Drängt sich die Frage auf, warum zu dem Thema heute dennoch ein kaufmännischer Geschäftsführer aus Jena anreisen musste, der zum Zeitpunkt des Naziüberfalls noch nichts mit den Verkehrsbetrieben zu tun hatte und dementsprechend nicht viel berichten konnte.
Und diese Frage drängt sich umso mehr auf, wenn man bedenkt, wen das Oberlandesgericht erklärtermaßen alles nicht als Zeugen laden will: Zum Beispiel V-Männer des Verfassungsschutzes, die Uwe Mundlos und Beate Zschäpe während ihrer Zeit im Untergrund als Angestellte beschäftigt haben sollen.
Oder Geheimdienstmitarbeiter die ganz bewusst Akten zum NSU vernichtet haben, um sie Ermittlern, Justiz und Öffentlichkeit vorzuenthalten.

Die Rolle staatlicher Behörden in der NSU-Affäre interessiert das Münchner Oberlandesgericht nicht mehr, jetzt da der Prozess doch so langsam dem Ende zuzugehen scheint.
Dafür wird es für die Angeklagte zunehmend brenzliger und heute stand Ralph Wohlleben im Fokus.
Nicht genug damit, dass die Versuche, Carsten S. als unglaubwürdig darzustellen, bisher weitgehend ins Leere liefen.
Der Strafsenat lehnte dann am Nachmittag auch noch mehrere Anträge der Wohlleben-Verteidigung ab, mit denen diese beweisen wollte, dass ihr Mandat mit der Lieferung der Mordwaffe Ceska an den NSU nichts zu tun hatte.
Die Wohlleben-Anwälte reagierten auf die Beschlüsse des Gerichts – mal wieder – mit einem Befangenheitsantrag gegen den kompletten Senat.
Dem vorausgegangen waren – mal wieder – stundenlange Unterbrechung, die den Verhandlungstag schließlich bis in den Abend hineinzogen.
Was beim Gerichtsreporter am Ende das schale Gefühl hinterließ, doch irgendwie seine Zeit verschwendet zu haben.


 
319. Verhandlungstag: Opfer durchkreuzt Wohllebens Verteidigungsstrategie !

Die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben will die Glaubwürdigkeit des geständigen Carsten S. erschüttern - und erreicht das Gegenteil.
Ein Zeuge schildert vor Gericht, wie er 1998 von einer Gruppe Neonazis in Jena krankenhausreif geschlagen wurde.
Nach Aussage von Carsten S. war damals auch Ralf Wohlleben beteiligt.

Martin K. war damals 17 Jahre alt, als er mit einem Freund spät nachts an der Endhaltestelle in Jena-Winzerla stand, um auf dem Nachhauseweg noch eine zu rauchen.
Heute erinnert er sich vor Gericht, wie er und sein Freund damals „wie aus dem Nichts“ angegriffen wurden.
Die Täter: eine Gruppe grölender Neonazis und Skins mit szenetypischen Frisuren, Bomberjacke und Army-Hosen.
Der angeklagte Carsten S. war damals unter den Angreifern und belastet auch Ralf Wohlleben in dieser Sache.

Wohllebens Widerspruch
Der Zeuge Martin K. kann sich zwar an keinen der Angreifer erinnern, auch nicht an Ralf Wohlleben.
Dennoch ist seine Aussage brisant, denn sie deckt sich in einem wichtigen Detail mit den Aussagen von Carsen S..
In vielen Verhandlungstagen versucht die Verteidigung von Ralf Wohlleben nämlich zu beweisen, dass es an der Straßenbahn-Endhaltestelle in Jena-Winzerla außer einer Imbissbude kein Holzhäuschen gab.
Carsten S. hatte sich aber erinnert, dass bei der Schlägerei ein Opfer in ein Holzhäuschen gesteckt worden war.

Ein zusammengeschlagener Zeuge
Martin K. hat genau das bestätigt.
Er schilderte vor Gericht wie er an jenem 12. Juli 1998 dachte: „Krass, die treten mit Stiefeln auf dich ein.“
Und am Ende des Überfalls in einem Spielplatz- Holzhäuschen feststeckte.
Wie er da reingekommen war, weiß er heute nicht mehr.
Nach dem Überfall war seine Nase gebrochen, er hatte in blaues Auge und aufgeschlagene Lippen.
Er musste eine Woche lang im Krankenhaus bleiben.
Fotos im Gerichtssaal zeigen ein übel zugerichtetes Gesicht.
Die Nase um mehrere Zentimeter verschoben.

Der Vorfall wurde damals kaum von der Polizei verfolgt.
Nicht einmal Lichtbilder wurden dem Opfer vorgelegt.
Der ermittelnde Beamte tat die Sache als Schlägerei ab.
Das ärgert Martin K. bis heute.
Denn er leidet nach wie vor unter den Folgen dieses Angriffs.
Sein Selbstbewusstsein sei seitdem im Keller, sagt er vor Gericht.
Auch wenn er sich nicht an Ralf Wohlleben erinnern kann, so verleiht seine Aussage von Martin K. den Angaben von Carsten S. neues Gewicht.
Die Verteidigung von Ralf Wohlleben wollte seine Glaubwürdigkeit erschüttern und hat sie nun eher gestärkt.

Entschuldigung nach Jahren
Carsten S. ergreift am Schluss das Wort.
„Guten Tag.
Ich wollte Ihnen sagen, dass es mir sehr leid tut, was damals passiert ist.
Ich war damals auch mit dabei.
Ich bin auch mitgerannt und dafür wollte ich mich bei Ihnen entschuldigen.“
Die Stimme von Carsten S. klingt heiser.
Der Vorsitzende Richter stellt ein paar weitere Fragen an den Zeugen.
Martin K. sieht wohl nicht, dass Carsten S. nach diesen Worten weint.


 
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