Lübcke-Prozess: Gesagt, gehört, bezeugt !
Am 28. Verhandlungstag im Lübcke-Prozess sagen Polizisten und erneut ein Freund des Hauptangeklagten aus.
Das Problem: Sie müssen darüber Auskunft geben, was Dritte gesagt haben oder was über Dritte gesagt wurde.
Ein Urteil über den Hauptangeklagten Ernst scheint Nicole Schneiders bereits gefällt zu haben.
Der Beweiswert seines Geständnisses, in dem ihr Mandant Markus H. zum Mittäter beim Mordanschlag auf Walter Lübcke gemacht wird, gehe gen null, erklärt die Strafverteidigerin.
Die belastenden Aussagen bezüglich Markus H. seien objektiv nicht belegbar, die Schilderung seines Ausstiegs aus der rechten Szene unglaubwürdig.
Alles in allem gebe es zahlreiche "Anhaltspunkte für eine Falschaussage".
Daher, so Schneiders Schlussfolgerung, solle sie am besten gar nicht verwendet werden.
Der inhaltlichen Begründung des von Schneiders begehrten Beweisverwertungsverbotes, mögen an diesem 28. Prozesstag weder der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel noch der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Dieter Killmer widersprechen.
"Die Defizite sehe ich ja genauso", erklärt Killmer.
Dennoch müsse die Aussage durch das Gericht bewertet werden.
Das Gericht muss sich an dieser Stelle mit einer Frage befassen, die Teil einer Klausur im Jura-Studium sein könnte.
Keine besonders anspruchsvolle - denn zu einer Einschätzung über die Glaubwürdigkeit von Aussagen zu gelangen, ist gerade Sinn einer mündlichen Hauptverhandlung.
Doch der kurze Schlagabtausch zu Beginn des Prozesstages verdeutlicht, dass die Beweisaufnahme im Lübcke-Prozess bereits weit über das Stadium hinaus ist, in dem forensische Beweise im Mittelpunkt stehen.
Stattdessen geht es darum, wer was wann gesagt hat - und wie überzeugend.
Keine Hinweise auf Planungstreffen
Das Problem mit den Zeugen an diesem Dienstag ist allerdings, dass sie wiedergeben müssen, was andere gesagt haben.
Manchmal auch was andere über andere gesagt haben.
Da ist zunächst der Kriminalhauptkommissar des LKA, der wiedergeben muss, was der ehemalige Verteidiger des Hauptangeklagten, Dirk Waldschmidt, über Stephan Ernst berichtet hat.
Ernst hatte Waldschmidt bezichtigt, ihn zu seinem ersten Geständnis angestiftet und ihm finanzielle Hilfe in Aussicht gestellt zu haben, wenn er den Mitangeklagten Markus H. nicht belaste.
Mit diesem Vorwurf konfrontiert habe Waldschmidt allerdings eine andere Version der Geschichte erzählt, erinnert sich der Kriminalhauptkommissar.
Demnach habe Ernst seinen damals bereits geschassten Anwalt erneut kontaktiert und ihn gebeten auszuloten, ob das "Umfeld von H." bereit sei, ihn und seine Familie finanziell zu unterstützten, wenn er seine belastenden Aussagen zurückziehe.
Zudem habe Waldschmidt zu Protokoll gegeben, dass Ernst ihm gegenüber im selben Gespräch erklärt habe, dass sein erstes Geständnis den Tatsachen entspreche.
Dabei soll er den ermordeten Walter Lübcke als "Volksschädling" bezeichnet haben.
Immerhin eine Aussage des Hauptangeklagten konnte der LKA-Beamte noch mit eigenen Ermittlungen überprüfen.
In seiner jüngsten Schilderung des Anschlags hatte Ernst behauptet, dass er und H. den endgültigen Tatentschluss im April 2019 bei einem Treffen in einem Industriegebiet gefasst hätten.
An diesem Abend, nach einer Veranstaltung im Schützenverein, in dem beide Angeklagten aktiv waren, will Ernst an einer Tankstelle Bier gekauft haben.
Die Ermittlungen hierzu hätten jedoch nichts ergeben, so dass sich die Aussage "weder bestätigen noch falsifizieren" ließe, erklärt der Ermittler.
Erinnerungen an Gesprächsfetzen
Den Wahrheitsgehalt der zweiten Zeugenaussage des Tages zu überprüfen, dürfte sich noch schwieriger gestalten.
Habil A., ein enger Freund von Stephan Ernst, muss bereits zum zweiten Mal in den Zeugenstand treten.
Ein Privileg, das er sich selbst eingebrockt hat, weil er von sich die Bundesanwaltschaft kontaktierte, nachdem Markus H. aus der Untersuchungshaft entlassen worden war.
Im Telefonat mit Oberstaatsanwalt Killmer hatte sich Habil A. überrascht von der Haftentlassung gezeigt.
Schließlich sei es H. gewesen, der Ernst die Adresse der Lübckes in Wolfhagen-Istha verschafft habe.
Ganz so eindeutig klingt das, was Habil A. zu berichten hat, dann allerdings nicht.
Lediglich Gesprächsfetzen bei einer Veranstaltung im Schützenverein habe er mitbekommen.
"Man weiß ja nicht, wo diese Leute wohnen", soll Ernst seinerzeit beklagt haben.
"Das kann ich dir sagen", soll H. darauf geantwortet haben, "da wo dein Meister wohnt."
Tatsächlich habe ein Meister aus dem Betrieb von Ernst in Wolfhagen-Istha gelebt - dem Wohnort von Lübcke.
Jedoch seien weder der Name "Lübcke" noch der Ortsname in dem Gespräch gefallen, betont Habil A.
Markus H. will schweigen - und redet trotzdem
Schließlich berichtet ein Polizeibeamter des Polizeipräsidiums Nordhessen von der Festnahme von Markus H.
Nachdem dieser über seine Rechte belehrt worden sei, habe er zunächst angekündigt, nichts zum Tatvorwurf sagen zu wollen.
"Wenn der Generalbundesanwalt im Boot ist, will er keine Angaben machen", erinnert sich der Zeuge, "da würden ja neun Jahre im Raum stehen."
Worauf diese Einschätzung des vermeintlich drohenden Strafmaßes beruht, verriet H. seinerzeit nicht.
Dafür aber, dass er Ernst aus der rechten Szene kenne, dass beide aus dieser ausgestiegen seien und im Schützenverein gemeinsam trainierten.
Es dürften nicht die letzten Zeugen gewesen sein, die bezeugen müssen, was andere gesagt und sie gehört haben.
Die Verteidigung von Stephan Ernst hat beantragt, nicht weniger als sieben Zeugen zu laden, um die Vernehmungen des Nebenklägers Ahmed I. aus dem Jahr 2016 zu rekonstruieren.
Ahmed I. war im Januar 2016 von einem Unbekannten hinterrücks niedergestochen worden.
Auch diese Tat wird Stephan Ernst vorgeworfen.
Einige Widersprüche zwischen seinen damaligen Aussagen und seiner jüngsten Aussage vor Gericht hatte Ahmed I. unter anderem mit Verständigungsproblemen zwischen ihm und der damaligen Dolmetscherin begründet.
Eine Entscheidung über den Beweisantrag steht noch aus.
Der Prozess wird am Donnerstag, 12. November, fortgesetzt.