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Mordfall Lübcke: Richterlich festgestellter "gequirlter Unsinn" !
Eklat im Gerichtssaal: Plötzlich steht nicht der mutmaßliche Lübcke-Mörder im Fokus, sondern einer seiner Verteidiger.
Und damit dessen ungewöhnliche Prozessstrategie.
Im holzvertäfelten Saal 165 C des Frankfurter Oberlandesgerichts wird am Montag eine weiße Leinwand herabgelassen.
Überlebensgroß erscheint das Gesicht eines Mannes im grauen Anzug darauf.
Es ist nicht das erste Mal, dass im Prozess um den Mord an Walter Lübcke ein Video abgespielt wird.
Bisher ging es dabei aber stets um eine Vernehmung und der Angeklagte war die Hauptperson: Stephan E., dem die Bundesanwaltschaft vorwirft, den Kasseler Regierungspräsidenten erschossen zu haben.
Diesmal aber steht sein Verteidiger Frank Hannig im Zentrum des Geschehens im Gerichtssaal – und das anders, als dieser es sich wünschen dürfte, auch wenn er Aufmerksamkeit sonst nicht gerade scheut.
Im Saal wird ein Video abgespielt, das Hannig selbst auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht hat.
Dort kommentiert der Dresdner Anwalt den Prozessverlauf aus seiner Sicht – ein ziemlich ungewöhnliches Vorgehen.
Spätestens seit Montag ist allerdings auch fraglich, ob es auch die Sicht seines Mandanten und in dessen Sinne ist, was er dort mit der Öffentlichkeit teilt.
Denn Stephan E. distanziert sich nach einer Pause vor Gericht von Hannig, beantragt über seinen zweiten Pflichtverteidiger, Mustafa Kaplan, dessen Entpflichtung.
Kaplan greift seinen Kollegen in der Verhandlung direkt an, macht damit auch das Zerwürfnis zwischen den beiden Anwälten öffentlich.
Ein Konflikt, der sich wohl an den gegensätzlichen Vorstellungen zur Verteidigungsstrategie, aber auch am Stil entzündete.
Der Vorsitzende Richter ist sichtlich wütend
Aber der Reihe nach: Hannig hatte zu Beginn des ersten Prozesstages nach einer dreiwöchigen Pause gleich mehrere Anträge gestellt.
Er wolle weitere Zeugen laden, die Funkzellen am Tatort erneut auf mögliche Mittäter hin auswerten lassen, Akten aus einem anderen Verfahren beiziehen und mehr über einen Einbruch im Regierungspräsidium Kassel erfahren, also dem Dienstsitz Lübckes.
Dort seien möglicherweise Akten zu dessen Geschäften gestohlen worden.
Insbesondere letzteres suggeriere, dass der Getötete oder seine Familie in krumme Geschäfte verwickelt sei, kritisierte Kaplan seinen Mitverteidiger.
Es sei nicht im Interesse von Stephan E., dass diese "ohne Sinn und Verstand" auf diese Weise "mit Dreck beworfen" würden.
Er distanziere sich ausdrücklich auch im Namen des gemeinsamen Mandanten von Hannigs Anträgen, der diese später auch zurückzog.
Aber nicht nur von Kaplan wird Hannig attackiert.
Auch der Vorsitzende Richter, Thomas Sagebiel, ist sichtlich wütend, als er erfährt, dass Hannigs Anträge nicht mit seinem Mandanten abgesprochen waren.
Inhaltlich seien sie "gequirlter Unsinn", donnert Sagebiel von der Richterbank, und sie könnten dem Angeklagten sogar schaden, auch wenn man den nicht für das Agieren seiner Anwälte verantwortlich machen werde.
Der Richter sagte gar, er müsse sich "ernsthaft Gedanken machen, ob hier eine wirksame Verteidigung stattfindet".
Ein harter Vorwurf.
Auch der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Dieter Killmer, pflichtete dem bei.
Die Hürden, einen Pflichtverteidiger zu entpflichten, seien zwar hoch, sagt er, aber in diesem Fall sehe auch er einen derart wichtigen Grund gegeben.
Tatsächlich ist eine solche Entpflichtung nicht trivial, wie etwa der NSU-Prozess gezeigt hat.
Dort wollten drei Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ihr Mandat auflösen, auch Zschäpe hatte an einer Fortführung kein Interesse mehr.
Aber das Gericht stimmte dem nicht zu, erlaubte nur, zwei weitere Verteidiger hinzuziehen.
So sollte verhindert werden, dass das Verfahren platzt.
Diese Gefahr sieht Richter Sagebiel im Falle einer Entpflichtung Hannigs offenbar nicht, das ließ er am Montag durchblicken.
"Litigation-PR" nennt der Anwalt sein Vorgehen
Frank Hannig vertritt Stephan E. schon seit etwa einem Jahr, also auch bereits im Ermittlungsverfahren.
Kaplan kam erst viel später hinzu – und das auf Wunsch Hannigs.
Hannig selbst hatte das Mandat übernommen, nachdem E. sich von seinem ersten Verteidiger, dem Szene-Anwalt Dirk Waldschmidt, getrennt hatte.
Und er fiel von Anfang an auf: Er riet seinem Mandanten dazu, sein Geständnis zu widerrufen.
Er informierte auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz über dessen Vernehmung, in der dieser dem jetzigen Mitangeklagten die Verantwortung für den tödlichen Schuss zuschob.
Sein Statement vor Journalisten in einem Kasseler Konferenzraum im Kellergeschoss eines Hotels übertrug er damals live ins Internet.
Per YouTube-Video nimmt er später zu Presseberichten Stellung oder zu neuen Vorwürfen gegen E.
Dort bespricht er auch andere Themen, ist zudem auf Facebook vertreten und hat einen eigenen Podcast.
Seine Website ist im Film-Noir-Stil gehalten, frühere Fälle nennt er dort "Stories".
Politisch ist Hannig für die Freien Wähler im Dresdner Stadtrat aktiv.
YouTube-Auftritte als "Litigation-PR"
Bei manchem Berufskollegen sorgen nicht nur seine YouTube-Auftritte für Kopfschütteln, aber Hannig ließ sich bislang nicht beirren: "Litigation-PR" sei das, erklärte der Dresdner dem Gericht, also strategische Öffentlichkeitsarbeit im Rechtsstreit – hierzulande vielleicht ungewöhnlich, wie er selbst einräumte, aber stets im Einvernehmen mit seinem Mandanten.
Der zog später jegliche Einwilligung noch in der laufenden Verhandlung zurück.
Auch die Verteidiger des Mitangeklagten Markus H., dem die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord an Lübcke vorwirft, gingen Hannig am Montag an.
Sie sind es, auf deren Initiative das YouTube-Video im Saal gezeigt wird.
Dabei ist zu hören, wie Hannig in seine Handykamera sagt: "Wir haben die wirkliche Wahrheit noch nicht gehört."
Aus Sicht der Verteidiger von H. habe er damit eingeräumt, dass sein eigener Mandant bisher die Unwahrheit gesagt habe.
Hannig selbst sagte ZEIT ONLINE später, er sei "möglicherweise zu unbequem für die Justiz".
Es sei schließlich sein Job, Fragen zu stellen, auch unangenehme, und nicht, dem Gericht zu gefallen.
Wenig später, ein paar Meter vom Eingang zum Gerichtsgebäude entfernt, zückt er sein Handy und hält es mit ausgestrecktem Arm vor sein Gesicht.
Vielleicht um seine nächste Video-Botschaft aufzunehmen?
Über seine Entpflichtung wollte das Gericht noch am Montag entscheiden.
Der Prozess wird am heutigen Dienstag fortgesetzt.
Eklat im Gerichtssaal: Plötzlich steht nicht der mutmaßliche Lübcke-Mörder im Fokus, sondern einer seiner Verteidiger.
Und damit dessen ungewöhnliche Prozessstrategie.
Im holzvertäfelten Saal 165 C des Frankfurter Oberlandesgerichts wird am Montag eine weiße Leinwand herabgelassen.
Überlebensgroß erscheint das Gesicht eines Mannes im grauen Anzug darauf.
Es ist nicht das erste Mal, dass im Prozess um den Mord an Walter Lübcke ein Video abgespielt wird.
Bisher ging es dabei aber stets um eine Vernehmung und der Angeklagte war die Hauptperson: Stephan E., dem die Bundesanwaltschaft vorwirft, den Kasseler Regierungspräsidenten erschossen zu haben.
Diesmal aber steht sein Verteidiger Frank Hannig im Zentrum des Geschehens im Gerichtssaal – und das anders, als dieser es sich wünschen dürfte, auch wenn er Aufmerksamkeit sonst nicht gerade scheut.
Im Saal wird ein Video abgespielt, das Hannig selbst auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht hat.
Dort kommentiert der Dresdner Anwalt den Prozessverlauf aus seiner Sicht – ein ziemlich ungewöhnliches Vorgehen.
Spätestens seit Montag ist allerdings auch fraglich, ob es auch die Sicht seines Mandanten und in dessen Sinne ist, was er dort mit der Öffentlichkeit teilt.
Denn Stephan E. distanziert sich nach einer Pause vor Gericht von Hannig, beantragt über seinen zweiten Pflichtverteidiger, Mustafa Kaplan, dessen Entpflichtung.
Kaplan greift seinen Kollegen in der Verhandlung direkt an, macht damit auch das Zerwürfnis zwischen den beiden Anwälten öffentlich.
Ein Konflikt, der sich wohl an den gegensätzlichen Vorstellungen zur Verteidigungsstrategie, aber auch am Stil entzündete.
Der Vorsitzende Richter ist sichtlich wütend
Aber der Reihe nach: Hannig hatte zu Beginn des ersten Prozesstages nach einer dreiwöchigen Pause gleich mehrere Anträge gestellt.
Er wolle weitere Zeugen laden, die Funkzellen am Tatort erneut auf mögliche Mittäter hin auswerten lassen, Akten aus einem anderen Verfahren beiziehen und mehr über einen Einbruch im Regierungspräsidium Kassel erfahren, also dem Dienstsitz Lübckes.
Dort seien möglicherweise Akten zu dessen Geschäften gestohlen worden.
Insbesondere letzteres suggeriere, dass der Getötete oder seine Familie in krumme Geschäfte verwickelt sei, kritisierte Kaplan seinen Mitverteidiger.
Es sei nicht im Interesse von Stephan E., dass diese "ohne Sinn und Verstand" auf diese Weise "mit Dreck beworfen" würden.
Er distanziere sich ausdrücklich auch im Namen des gemeinsamen Mandanten von Hannigs Anträgen, der diese später auch zurückzog.
Aber nicht nur von Kaplan wird Hannig attackiert.
Auch der Vorsitzende Richter, Thomas Sagebiel, ist sichtlich wütend, als er erfährt, dass Hannigs Anträge nicht mit seinem Mandanten abgesprochen waren.
Inhaltlich seien sie "gequirlter Unsinn", donnert Sagebiel von der Richterbank, und sie könnten dem Angeklagten sogar schaden, auch wenn man den nicht für das Agieren seiner Anwälte verantwortlich machen werde.
Der Richter sagte gar, er müsse sich "ernsthaft Gedanken machen, ob hier eine wirksame Verteidigung stattfindet".
Ein harter Vorwurf.
Auch der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Dieter Killmer, pflichtete dem bei.
Die Hürden, einen Pflichtverteidiger zu entpflichten, seien zwar hoch, sagt er, aber in diesem Fall sehe auch er einen derart wichtigen Grund gegeben.
Tatsächlich ist eine solche Entpflichtung nicht trivial, wie etwa der NSU-Prozess gezeigt hat.
Dort wollten drei Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ihr Mandat auflösen, auch Zschäpe hatte an einer Fortführung kein Interesse mehr.
Aber das Gericht stimmte dem nicht zu, erlaubte nur, zwei weitere Verteidiger hinzuziehen.
So sollte verhindert werden, dass das Verfahren platzt.
Diese Gefahr sieht Richter Sagebiel im Falle einer Entpflichtung Hannigs offenbar nicht, das ließ er am Montag durchblicken.
"Litigation-PR" nennt der Anwalt sein Vorgehen
Frank Hannig vertritt Stephan E. schon seit etwa einem Jahr, also auch bereits im Ermittlungsverfahren.
Kaplan kam erst viel später hinzu – und das auf Wunsch Hannigs.
Hannig selbst hatte das Mandat übernommen, nachdem E. sich von seinem ersten Verteidiger, dem Szene-Anwalt Dirk Waldschmidt, getrennt hatte.
Und er fiel von Anfang an auf: Er riet seinem Mandanten dazu, sein Geständnis zu widerrufen.
Er informierte auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz über dessen Vernehmung, in der dieser dem jetzigen Mitangeklagten die Verantwortung für den tödlichen Schuss zuschob.
Sein Statement vor Journalisten in einem Kasseler Konferenzraum im Kellergeschoss eines Hotels übertrug er damals live ins Internet.
Per YouTube-Video nimmt er später zu Presseberichten Stellung oder zu neuen Vorwürfen gegen E.
Dort bespricht er auch andere Themen, ist zudem auf Facebook vertreten und hat einen eigenen Podcast.
Seine Website ist im Film-Noir-Stil gehalten, frühere Fälle nennt er dort "Stories".
Politisch ist Hannig für die Freien Wähler im Dresdner Stadtrat aktiv.
YouTube-Auftritte als "Litigation-PR"
Bei manchem Berufskollegen sorgen nicht nur seine YouTube-Auftritte für Kopfschütteln, aber Hannig ließ sich bislang nicht beirren: "Litigation-PR" sei das, erklärte der Dresdner dem Gericht, also strategische Öffentlichkeitsarbeit im Rechtsstreit – hierzulande vielleicht ungewöhnlich, wie er selbst einräumte, aber stets im Einvernehmen mit seinem Mandanten.
Der zog später jegliche Einwilligung noch in der laufenden Verhandlung zurück.
Auch die Verteidiger des Mitangeklagten Markus H., dem die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord an Lübcke vorwirft, gingen Hannig am Montag an.
Sie sind es, auf deren Initiative das YouTube-Video im Saal gezeigt wird.
Dabei ist zu hören, wie Hannig in seine Handykamera sagt: "Wir haben die wirkliche Wahrheit noch nicht gehört."
Aus Sicht der Verteidiger von H. habe er damit eingeräumt, dass sein eigener Mandant bisher die Unwahrheit gesagt habe.
Hannig selbst sagte ZEIT ONLINE später, er sei "möglicherweise zu unbequem für die Justiz".
Es sei schließlich sein Job, Fragen zu stellen, auch unangenehme, und nicht, dem Gericht zu gefallen.
Wenig später, ein paar Meter vom Eingang zum Gerichtsgebäude entfernt, zückt er sein Handy und hält es mit ausgestrecktem Arm vor sein Gesicht.
Vielleicht um seine nächste Video-Botschaft aufzunehmen?
Über seine Entpflichtung wollte das Gericht noch am Montag entscheiden.
Der Prozess wird am heutigen Dienstag fortgesetzt.