Spielte Sergej W. mit dem Leben der BVB-Stars ?
Dortmund. Nach dem Anschlag auf den Bus von Borussia Dortmund steht der Angeklagte Sergej W. vor Gericht.
Sein Verteidiger kritisierte den Staatsanwalt.
Von den 28 möglichen Opfern des Attentates auf den BVB ist am Donnerstag nur einer in den Gerichtssaal gekommen.
Es ist der 60 Jahre alte Polizist, der den BVB-Bus am 11. April auf seinem Motorrad eskortierte und durch die Detonation dreier Sprengsätze ein Knalltrauma erlitt.
Vermutlich wollte er erfahren, wie sich der Angeklagte zu dem mörderischen Anschlag äußert.
Doch was er mitbekommt, ist lediglich ein formaljuristischer Schlagabtausch zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft.
Von Sergej W., dem Angeklagten, hört er kein Wort.
Mögliche Zuhörer haben es wohl geahnt.
Und so ist das erwartete öffentliche Interesse ausgeblieben.
Sieben Zuhörer verlieren sich auf den 52 Sitzplätzen in Saal 130 des Dortmunder Landgerichtes.
Dafür ist das Medieninteresse groß.
Angeklagter besitzt doppelte Staatsbürgerschaft
BVB-Bus: Anklage wegen versuchten Mordes in 28 Fällen Im Kern hören sie alle nur die Anklageschrift, deren Details schon länger bekannt sind.
Aber passen diese Vorwürfe eines mörderischen Anschlags zu diesem schmächtigen, kleinen Mann, 28 Jahre alt, der auf der Anklagebank Platz nimmt?
Die großen Handschellen, die Justizwachtmeister ihm erst abnehmen, nachdem er sich gesetzt hat, passen jedenfalls nicht zu ihm.
Nervös wirkt der Elektrotechniker aus Rottenburg am Neckar, der in Rußland aufwuchs.
Als Richter Peter Windgätter, Vorsitzender des Schwurgerichtes, ihn fragt, ob er nur die deutsche oder auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt, antwortet er unsicher: „Beide, glaube ich.“
Mörderische Wette hätte Gewinn von 500.000 Euro gebracht
Sein Verhalten hebt sich ab von der akribischen Tatausführung, die die Staatsanwaltschaft ihm unterstellt.
Sein Plan laut Anklage: Mit einem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB wollte er am 11. April die Spieler verletzen oder gar töten, um den Börsenwert der BVB-Aktie schnell abstürzen zu lassen.
Staatsanwalt Carsten Dombert: „Der Angeschuldigte handelte, um sich zu bereichern.“
Denn zuvor hatte Sergej W., so ergaben die Ermittlungen, Optionsscheine gekauft, mit denen er auf den Kursverlust gesetzt hatte.
Diese mörderische Wette, so heißt es weiter in der Anklage, hätte ihm einen Gewinn von rund 500.000 Euro eingebracht.
Doch zum Kursverlust kam es nicht.
Die drei Sprengsätze, die der Täter in einer Hecke vor dem Mannschaftshotel verborgen hatte, trafen den Bus auf seinem Weg zum Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco nicht voll.
Ein Metallstift drang in die Kopfstütze neben dem Kopf von Spieler Marc Bartra ein, die Detonation brach ihm den Arm.
Außerdem verletzte der laute Knall den Polizisten.
Er, aber auch einige der Spieler, leiden nach Angaben ihrer Anwälte noch heute unter den psychischen Folgen der Explosion.
Verteidiger kündigt Befangenheitsantrag an
Die Ermittlungen hatte zunächst das Bundeskriminalamt geführt, weil am Tatort islamistische Bekennerschreiben „im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen“ gefunden wurden.
Später entpuppten sie sich als Fälschung.
Zuvor hatten die Ermittler aber zahlreiche Indizien gefunden.
Persönliche Aufzeichnungen über die Tat, Computerspuren und Überwachungsvideos zeichneten ein überzeugendes Bild.
Dazu gehörte dann auch der Nachweis, dass offenbar der Angeklagte vor der Tat im belgischen Eupen Lebensmittel gekauft und in der Nähe des Tatortes zurückgelassen hatte.
Der Schluss liegt nahe, dass ein Verdacht auf IS-Kreise in Belgien gelegt werden sollte.
Selbst der Besuch in einem Erkrather Saunaclub wenige Stunden vor der Explosion ist dokumentiert.
Verteidiger Carl W. Heydenreich aus Bonn setzt sich mit all diesen Vorwürfen nicht auseinander.
Noch vor Verlesung der Anklage kündigt er einen Befangenheitsantrag an, den er dann doch nicht stellt.
Er nutzt die Gelegenheit, um sich über eine „Vorverurteilung neuer Dimension“ und einen „enormen öffentlichen Erwartungsdruck“ auf das Gericht zu beklagen.
Gerade in Dortmund: „In keiner Großstadt gibt es so eine Identifikation mit einem Verein wie hier.“
Der Staatsanwaltschaft wirft Heydenreich zudem vor, die komplette Ermittlungsakte an Journalisten herausgegeben zu haben, um Druck auf seinen Mandanten auszuüben.
Er fordert die Absetzung des Staatsanwaltes.
Belege für seine Behauptungen bleibt er schuldig.
Staatsanwaltschaft wehrt sich gegen Vorwürfe
Staatsanwalt Carsten Dombert lässt das nicht auf sich sitzen.
Scharf wehrt er sich, weist Vorwürfe zurück, nennt die Behauptungen des Verteidigers „falsch“ und „unseriös“.
Dombert: „Die Indizienlage ist so dicht, dass die Verteidigung sich offenbar deshalb mit anderen Dingen befasst.“
Richter Windgätter, der mit seinen 61 Lebensjahren schon einige dieser Scharmützel mitbekam, lässt sie zunächst gewähren, greift dann aber ein: „Und jetzt bin ich dran.“
Doch auf seine Frage, ob der Angeklagte sich zu den Vorwürfen des mörderischen Anschlags äußern will, bekommt er nur eine hinhaltende Antwort der Verteidiger.
Noch ist nichts klar.
Der Polizist verlässt mit seinem Anwalt Boris Strube, der ihn als Opfer vertritt, den Saal.
Auf seine Fragen wird er im Saal keine Antwort gefunden haben.
Nein, Fragen von Journalisten will er weiterhin nicht beantworten.
Am 8. Januar wird der Prozess fortgesetzt.