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Dahrendorf begreift in seiner Analyse das Vorherrschen autoritärer Staats- und Gesellschaftsbilder in Deutschland als Resultat einer längeren Entwicklungsgeschichte, deren deutlichstes Symptom der Nationalsozialismus war.[1] Dahrendorf legt die Annahme zugrunde, dass liberale Demokratie durch vier zentrale Elemente gekennzeichnet ist, die zugleich Indikatoren für den Stand der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft sind:
1. Effektives Gleichgewicht der Bürgerrechte, damit die Teilnahmechancen aller Bürger trotz sozialer Schichtung
gewährleistet sind.
2. Rationale Regelung sozialer Konflikte, was die Anerkennung ihrer Unvermeidlichkeit in einer liberalen Gesellschaft
voraussetzt.
3. Eine „politische Klasse“, die in sich differenziert ist, jedoch durch soziale Zugehörigkeit und gemeinsame
Wertvorstellungen verbunden ist.
4. Dominanz öffentlicher Tugenden im gesellschaftlichen Bewusstsein gegenüber nur privaten Einstellungen.
Im Buch werden mit Blick auf die vier Elemente die Bereiche Sozialstruktur und Staatsbürgerschaft, Herrschaft und soziale Konflikte, Eliten und Oberschicht sowie Werte und Öffentlichkeit untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Durchsetzung liberaler Prinzipien in Deutschland durch die Persistenz antidemokratischer Ressentiments, obrigkeitsstaatlicher Institutionen und autoritärer Gesellschaftsmodelle gehindert wurde. Die deutsche Gesellschaft sei bis in das 20. Jahrhundert „quasi-feudal“ geblieben. Das habe sich erst mit dem Nationalsozialismus geändert. Dessen notwendiges, doch unbeabsichtigtes Resultat sei die Auflösung von Bindungen an Familie, Klasse, Religion und Region gewesen, eine „Modernität wider Willen“. Dennoch blieb auch die junge Bundesrepublik durch illiberale und demokratiefremde Züge charakterisiert.