K.o.-Tropfen Betäubt, vergewaltigt - und keine Beweise

vladi63

xxxxxxxxxx
K.o.-Tropfen Betäubt, vergewaltigt - und keine Beweise

Eine Studentin wird mit K.o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt. Doch damit ist der Albtraum nicht vorbei: In der Rechtsmedizin glaubt man ihr nicht und schickt sie weg. So ergeht es vielen Frauen.

Als sie aufwachte, war sein Gesicht direkt über ihrem. Er atmete schwer, schwitzte. Dann langsam begriff sie, dass er gerade Sex mit ihr hatte. Ohne Kondom. "Mein erster Gedanke war: Wie ist es denn dazu gekommen?", erzählt Franziska Garber (Name geändert) heute, rund zwei Jahre danach. Sie stieß ihn weg, floh ins Badezimmer, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Als sie die Tür wieder öffnete, machte er sich gerade die Hose zu. Er zog die Schuhe an, drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und war weg.

Es dauerte zwei oder drei Stunden, bis Franziska Garber allmählich verstand, dass sie vergewaltigt worden war. Zuerst war da die Sache mit ihren Kleidern: T-Shirt, BH, Unterhose, alles lag über ihr Zimmer verstreut, die Hose war auf links gedreht. "So habe ich mir in meinem ganzen Leben noch nie eine Hose ausgezogen. Ich wusste einfach, mit mir war in der Nacht etwas nicht normal."

Franziska Garber, mädchenhafter Typ, das braune Haar nach hinten zusammengebunden, macht diese Nacht bis heute zu schaffen. In den Monaten, die folgten, bekam sie eine Depression. Sie sagt, es habe sie selbst überrascht, dass das ihre Psyche so angekratzt habe.
120 Fälle waren es bundesweit 2013

An jenem Morgen nach der Vergewaltigung versuchte sie krampfhaft, sich zu erinnern. Doch da war nicht viel. Nur, dass sie mit ihrer Freundin Steffi in einer Kiez-Kneipe auf der Reeperbahn gewesen war. Dass sie dort diese Typen kennengelernt hatten, Studenten wie sie, einer davon so unsympathisch, dass sie noch nicht mal mit ihm hatte reden wollen, geschweige denn, ihn mit nach Hause nehmen. Und Franziska ist sich ganz sicher, dass sie an diesem Tag nicht viel getrunken hat. All das zusammen lässt für sie keinen anderen Schluss zu, als dass er sie mit sogenannten Knock-out-Tropfen, kurz K.o.-Tropfen, willenlos gemacht hat.

Es gibt kaum Daten, die belegen, wie häufig sexuelle Übergriffe mit Hilfe von K.o.-Tropfen wirklich vorkommen. Weder Toxikologen noch Rechtswissenschaftler oder Soziologen wagen Schätzungen dazu. Auch das Bundeskriminalamt kann wenig beitragen. Seine Statistik erfasst nur Fälle, in denen potenzielle Täter beim Handel mit K.o.-Tropfen oder mit solchen Mitteln in der Tasche erwischt wurden – und deren Zahl ist gering. 120 Fälle waren es bundesweit 2013.

Die meisten Sozialarbeiterinnen von Frauen-Notrufhotlines sagen dagegen, sexuelle Gewalt mit Hilfe von K.o.-Tropfen sei extrem verbreitet und werde allgemein unterschätzt. Fragt man dagegen Rechtsmediziner, sagen einige, die Gefahr, unter Einfluss von K.o.-Tropfen vergewaltigt zu werden, sei nicht viel mehr als eine moderne Großstadtlegende. Warum die Meinungen derart weit auseinanderliegen, lässt sich am Fall von Franziska Garber gut erläutern.
K.o.-Tropfen nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar

Am Morgen nach jener Nacht schleppte sich die damals 23-Jährige mit Kopfschmerzen in die WG-Küche zu ihrem Mitbewohner und dessen Freundin. Erst im Gespräch dämmerte ihr, dass der ihr völlig fremde Mann ihr auch K.o.-Tropfen ins Bier geschüttet haben könnte. Am nächsten Tag fuhr sie ins rechtsmedizinische Institut des Hamburger Universitätsklinikums in Eppendorf. Die Ärztin meinte nur, sie könne sie untersuchen, wenn Sie darauf bestehe. Aber finden werde sie ganz sicher nichts. Und dann fragte sie noch, ob sie nicht einfach nur zu viel getrunken habe und ihr die Nacht deswegen unangenehm sei.


Ohnmächtig habe sie sich da gefühlt und unverstanden, sagt Franziska Garber. Sie sei dann einfach gegangen. Und weil sie keine Beweise hatte, zeigte sie den Mann auch nicht an. Nicht einmal einen Namen kannte sie, nur dass er VWL studierte, wusste sie. Immer wieder habe sie versucht, den Typen zu finden. In Kiez-Kneipen, über Facebook und Uni-Websites. Vergebens.

Die Ärztin hatte zudem Recht, in Franziskas Blut wären zu jenem Zeitpunkt – also mehr als 24 Stunden später – K.o.-Tropfen längst nicht mehr nachweisbar gewesen. Dies geht nur bis maximal zwölf Stunden nach Verabreichung der Substanz. In den allermeisten Fällen vergeht jedoch deutlich mehr Zeit, bis die Betroffenen überhaupt wieder zu sich kommen und begreifen, was passiert sein könnte. Bis sie dann noch einen Arzt oder ein Krankenhaus aufgesucht haben, ist es längst zu spät.

Auch deshalb lässt sich das Phänomen nicht in Zahlen fassen und es existieren keine Studien zum Einsatz von K.o-Tropfen, sagen Soziologen. Nicht einmal über die Verbreitung des Rohstoffs, aus dem die Tropfen hergestellt werden, lassen sich Rückschlüsse über die Verbreitung ziehen. Der Stoff, der in den meisten Fällen als K.o.-Tropfen missbraucht wird, heißt GHB (Gammahydroxybuttersäure, auch genannt Liquid Ecstasy). Potenzielle Täter können ihn im Internet bestellen oder sogar nach Anleitung aus dem Netz zu Hause herstellen: aus GBL, einem Lösungsmittel, das in der Industrie als Ausgangsstoff für Chemieprodukte oder Medikamente genutzt wird.
Alkohol, Drogen oder doch K.o.-Tropfen?

Eine der wenigen Stellen, die versuchen, die Verbreitung solcher Übergriffe zu erfassen, ist der Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen in Aachen. Seit neun Jahren dokumentieren die Beraterinnen dort Fälle von Betroffenen und was aus ihnen wird. 148 Frauen haben sich seither mit dem Verdacht gemeldet, unter dem Einfluss von K.o.-Tropfen vergewaltigt worden zu sein. Nur 39 waren überzeugt, genügend Beweise zu haben, um eine Strafanzeige stellen zu können und nur bei 13 Frauen wurde eine Blutprobe genommen. Die Aachener Notrufberaterin Monika Bulin ist überzeugt, dass die 148 Fälle nur der kleine, sichtbare Teil des Phänomens sind. "Wenn wir zum Beispiel zu Präventionsgesprächen in Schulen gehen, berichten immer wieder junge Frauen, schon einmal mit K.o.-Tropfen in Berührung gekommen zu sein. Und viele Mädchen haben zumindest eine Bekannte, der das schon passiert ist", sagt Bulin. Etwa die Hälfte der 148 Frauen gab an, vor dem Blackout keinen oder nur sehr wenig Alkohol getrunken zu haben.

Manche Rechtsmediziner, zum Beispiel der Leiter des Hamburger Instituts, Klaus Püschel, halten das Thema trotzdem für übertrieben – auch, wenn in seiner Rechtsmedizin alle Frauen standardmäßig und vorurteilsfrei untersucht und das Thema ernst genommen würde, wie er betont: "Einige vermeintliche Vergewaltigungen unter K.o.-Tropfen sind eher auf starken Konsum von Alkohol oder Drogen zurückzuführen." Manche Frauen schämten sich zum Beispiel dafür, zu viel getrunken und dann die Kontrolle über sich verloren zu haben. Einige hätten auch einen Filmriss. Und wenn sie in einer Beziehung seien, versuchten manche zudem, sich nach einem Seitensprung durch eine Strafanzeige gegenüber ihrem Partner zu rechtfertigen.
Was ist mit Prävention?

Beraterinnen vom Hamburger Frauennotruf halten das für eine vorurteilsbehaftete Sichtweise. So sei es kein Wunder, dass nicht nur Franziska Garber, sondern auch eine Reihe anderer Frauen ähnlich schroff im Krankenhaus abgewiesen worden seien. "Durch einen derart unsensiblen Umgang werden die Frauen ein zweites Mal traumatisiert", sagt Notruf-Mitarbeiterin Sibylle Ruschmeier, die auch Franziska beriet. Ähnliches erlebten Betroffene bei Polizeidienststellen, wenn sie eine Anzeige aufgeben wollten.

Die Aachener K.o.-Tropfen-Expertin Bulin fordert daher politische Maßnahmen, um das Bewusstsein bei Polizisten und Klinikpersonal zu schärfen. "Die Bundesregierung müsste außerdem Geld für Präventionsmaßnahmen bereit stellen, damit vor allem Jugendlichen Strategien an die Hand gegeben werden, wie sie in einem Verdachtsfall reagieren sollten." Das Bundesverbraucherschutzministerium will sich dazu auf Anfrage der "Welt" nicht äußern, sondern teilt mit, solche Präventionsaufgaben seien Ländersache.

Für Franziska Garber käme eine solche Aufklärungsinitiative ohnehin zu spät. Sie ist immer noch in psychotherapeutischer Behandlung. Vielleicht würde es helfen, wenn sie den Mann irgendwann mal zufällig wiedersähe und ihn zur Rede stellen könnte. Obwohl sie nicht weiß, ob sie sich das trauen würde, sagt sie. Nur wenn, dann würde sie ihn gern fragen, was es ihm bringt, auf diese Art Macht über Frauen auszuüben.

 
Zurück
Oben Unten