"Die Fahrscheine bitte": Schwarzfahren ist eine Rechenaufgabe

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Schwarzfahren in Bussen und Bahnen wird teurer: Wer ohne Ticket erwischt wird, zahlt künftig 60 statt bisher 40 Euro. Das Problem lässt sich so allerdings nicht lösen. Denn Schwarzfahren ist eine Gleichung mit mehreren Unbekannten.

Im Jahr 2014 wurden in ganz Deutschland 271.119 Schwarzfahrer geschnappt. Jede einzelne Tat kostete den Übeltäter 40 Euro. Trotzdem verloren die Verkehrsunternehmen 250 Millionen Euro, weil Tickets einfach nicht gekauft wurden. Nun steigt der Preis für "Beförderungserschleichung", wie das Schwarzfahren in der Fachsprache des Strafgesetzbuches heißt, auf 60 Euro. Doch auch diese drastische Steigerung wird das Problem kaum lösen.

Denn das Fahren ohne Fahrschein ist für die meisten Schwarzfahrer eine simple Rechenaufgabe, erklärt Guido Mehlkop. Der Erfurter Wissenschaftler erforscht unter anderem Alltagskriminalität. "Der größte Teil der Schwarzfahrer tut es deswegen, um nicht das Ticket lösen zu müssen und die zwei Euro dafür zu bezahlen", sagt Mehlkop im Gespräch mit n-tv.de. Es gebe außerdem eine kleine Gruppe, die das Schwarzfahren als Teil ihrer politischen Grundeinstellung betrachten und dagegen protestieren, dass der öffentliche Nahverkehr teilprivatisiert ist und man dafür zahlen muss. Die sei durch Strafen von dieser Überzeugung auch nicht abzubringen.

Anders ist das prinzipiell bei denen, die bei jeder "Schwarzfahrt" zwei Euro einsparen. Hier könnten die noch härteren Strafen tatsächlich einen Abschreckungseffekt haben. Einen Automatismus dafür gibt es allerdings nicht, erklärt Mehlkop. Die erste Voraussetzung sei, dass Menschen vor der Tat über mögliche Konsequenzen nachdenken. "Was passiert, wenn ich erwischt werde? Sie setzen also den Gewinn der Tat - 2 Euro - in Beziehung zu den Kosten der Tat - jetzt 60 Euro." Die zweite Voraussetzung sei jedoch, dass diese Strafhöhe dann tatsächlich auch eintritt. Schwarzfahrer fragen sich demnach: "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich tatsächlich erwischt werde?" Wer davon ausgeht, dass er sowieso nicht ertappt wird, wird auch nicht durch eine hohe Strafe abgeschreckt.

Der gute, alte Schaffner

Mit der Formel "Nutzen minus Strafhöhe mal Entdeckungswahrscheinlichkeit" überschlagen Menschen im Kopf, wie das für sie ausgehen könnte. Ändert man nun etwas an der Strafhöhe, mag die Rechnung anders ausgehen, das Problem des Schwarzfahrens wird man so allerdings kaum lösen. Dafür bedürfte es schon drastischer Schritte, wie sie Mehlkop beschreibt. "Man könnte das Schwarzfahren komplett unterbinden, indem man, wie es früher war, in jede Bahn oder jeden Bus, einen Kontrolleur oder Schaffner setzen. Dann ist die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei 100 Prozent und niemand würde schwarzfahren. Dann bräuchte man auch keine Strafe mehr." Das kann sich wiederum kein ÖPNV-Unternehmen leisten.

Diskutiert werden deshalb auch immer wieder Zugangssysteme, die verhindern, dass Fahrgäste ohne Ticket überhaupt in Busse oder Bahnen kommen. Die funktionieren aber nur, wenn man eine Art Bahnhof hat, an dem der Zugang durch ein Drehkreuz oder eine Schranke komplett geregelt werden kann. In großen Städten ist das möglich, aber eben nicht überall.

Damit bleibt noch der moralische Appell. Denn Mehlkop gibt zu bedenken, dass ja die meisten Menschen ein Ticket lösen. "Die denken gar nicht darüber nach, ob sie jetzt schwarzfahren sollen oder nicht." Das liegt nicht nur am Abschreckungseffekt, sondern auch an den vorhandenen moralisch-ethischen Einstellungen. Und die meisten haben die Einstellung, wenn ich eine Leistung in Anspruch nehme, dann muss ich auch dafür zahlen. Sie handeln quasi "automatisch normkonform", wie es Mehlkop nennt.

Appell oder Unberechenbarkeit


Man könnte also versuchen, Schwarzfahrer von der Verwerflichkeit ihres Tuns zu überzeugen oder es ganz anders versuchen. In mehreren Städten gibt es Machbarkeitsstudien dazu, ob man den ÖPNV für die Fahrgäste komplett kostenfrei anbieten könnte. Für die fehlenden Ticketeinnahmen müsste dann der Steuerzahler einspringen, auch der, der die öffentlichen Nahverkehrsmittel niemals nutzt. Modellprojekte dazu gab es überall auf der Welt, allerdings sind auch das nicht alles Erfolgsgeschichten. Das Schwarzfahrproblem war jedoch gelöst.

Dass steigende Strafen etwas Ähnliches bewirken, bezweifelt Guido Mehlkop. Denn selbst wenn man noch höhere Summen als die nun geltenden 60 Euro bezahlen muss, gilt: "Wir dürfen die Summe nicht ohne die Wahrscheinlichkeit denken, dass ich sie bezahlen muss." Einen Rat hat Mehlkop trotzdem noch für die Verkehrsunternehmen. Diese müssten die Entdeckungswahrscheinlichkeit nicht unbedingt drastisch erhöhen, es würde schon nutzen, wenn man sie sehr unberechenbar macht. "Wenn die Kontrollen sehr unregelmäßig sind, kann ich mir keinen Richtwert errechnen, auch das hätte abschreckende Wirkung."
 
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