Wer ist schuld am Niedergang von Kaiser’s Tengelmann ?
Die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann steht vor der Zerschlagung.
Jetzt weisen sich alle Beteiligten gegenseitig die Schuld zu.
Die entscheidenden Fehler wurden aber viel früher gemacht.
Die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann steht kurz vor der Zerschlagung. Tengelmann, Edeka und Rewe haben die Verhandlungen überraschend für beendet erklärt.
Damit sind die Arbeitsplätze von mehr als 15.000 Beschäftigten gefährdet.
Die beteiligten Supermarktketten weisen sich gegenseitig die Schuld an den gescheiterten Verhandlungen zu.
Doch man muss weit zurückgehen, um die Gründe für die schwierige Situation von Kaiser's Tengelmann zu verstehen.
Die unendliche Geschichte der Übernahme beginnt im Oktober 2014.
Die Tengelmann-Gruppe gibt bekannt, aus dem Supermarktgeschäft aussteigen und ihre 451 Filialen an Edeka verkaufen zu wollen.
Schon bald äußert das Bundeskartellamt seine Bedenken.
Denn der Lebensmittelmarkt ist schon heute stark konzentriert.
Edeka, Rewe, Aldi sowie die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) beherrschen laut Kartellamt 85 Prozent des Lebensmittel-Einzelhandels.
Im April verbietet das Kartellamt deshalb die Übernahme.
Daraufhin beantragen Tengelmann und Edeka bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Sondererlaubnis.
Sie betonen, dass bei einer Zerschlagung mindestens 8000 Stellen wegfallen würden.
Diese Sichtweise ist aber umstritten.
Die Monopolkommission schaltet sich in den Streit ein und schließt sich der Sichtweise des Bundeskartellamts an: Die zu erwartende noch stärkere Marktkonzentration wiege deutlich schwerer als der Verlust der Arbeitsplätze.
Zudem könnten bei einer Übernahme auch bei Marktführer Edeka Stellen wegfallen, etwa an sogenannten Doppelstandorten, an denen auch Kaiser's Tengelmann vertreten ist.
Gabriel überhört diese Argumente - für ihn zählen allein die Stellen bei Tengelmann.
Am 17. März 2016 macht er mit der sogenannten „Ministererlaubnis“ die Entscheidung des Kartellamtes rückgängig und erlaubt die Übernahme.
Das wiederum gefällt den Konkurrenten nicht. Rewe, Markant und Norma stellen einen Eilantrag beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf - dem das Gericht im Juli stattgibt.
Die Ministererlaubnis sei rechtswidrig.
Festgefahrene Verhandlungen
Danach werfen sich das OLG, der Bundesgerichtshof, Tengelmann, Edeka, Rewe, Markant, Norma und die Gewerkschaft Verdi wochenlang die Bälle zu.
Am 6. Oktober vereinbaren die Supermarktchefs überraschend, ihre Klage zurückzuziehen - zum Ausgleich, so wird spekuliert, sollen sie wohl Geld oder einige Filialen erhalten.
Am Donnerstag folgte dann aber überraschend das Aus der Gespräche über eine einvernehmliche Lösung.
Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub appellierte an diesem Freitag im WDR noch einmal persönlich an Rewe, Markant und Norma, „das Wohl von 16.000 Menschen und ihrer Angehörigen über ihre wirtschaftlichen Interessen zu stellen und den Weg frei zu machen für die Übernahme durch Edeka“.
Es gebe noch eine letzte Chance, ein „kleines Zeitfenster“ für die Suche nach einer Lösung.
Die Situation scheint festgefahren.
Die Rede ist von persönlichen Eitelkeiten, Kompromissunfähigkeit und Sturheit aller Beteiligten.
Aber: Die verworrene Situation täuscht darüber hinweg, dass die wirtschaftlichen Probleme der angeschlagenen Supermarktkette sehr viel tiefer liegen.
Größte Ausdehnung im Jahr 2000
Kaiser's Tengelmann ist eine der traditionsreichsten deutschen Supermarktketten.
Die Wurzeln reichen nach Unternehmensangaben bis ins Jahr 1867 zurück, als die Unternehmerfamilie Schmitz-Scholl/Haub in Mülheim an der Ruhr einen Kolonialwarenhandel gründete.
Seine größte Ausdehnung erreichte das Unternehmen im Jahr 2000.
Damals gab es mehr als 1300 Supermärkte in ganz Deutschland.
Trotzdem schrieb die Kette rote Zahlen – womöglich, weil das Unternehmen viel zu schnell gewachsen war.
Defizitäre Filialen wurden zu lange betrieben.
So wurde die Gruppe schon Ende der 1990er Jahre mehr und mehr zum Sanierungsfall.
Schon damals gab es Überlegungen, die Kette an Edeka zu verkaufen.
Konzernchef Karl-Erivan Haub entschied sich letztendlich aber für eine Sanierung aus eigener Kraft.
In einem radikalen Schritt schloss er damals nahezu 500 Filialen – und zog sich damit aus weiten Teilen des Bundesgebietes zurück.
Strategische Fehler bei der Sanierung
Doch die Sanierung gelang nicht – im Gegenteil.
Die Abgabe von immer mehr Vertriebsregionen erwies sich als strategischer Fehler.
Denn heute gibt es nur noch im Großraum Berlin (133), in Bayern (188) und in Nordrhein-Westfalen (125) Filialen – sie liegen also räumlich sehr weit auseinander.
Das ist schlecht für die Wahrnehmung der Marke.
Hinzu kommt, dass fast die Hälfte aller Filialen Verluste erwirtschaftet.
Besonders schlecht stehen laut Edeka und Tengelmann die Filialen in Nordrhein-Westfalen da – hier drohen auch die größten Arbeitsplatzverluste.
Insgesamt schrumpfte der Umsatz im vergangenen Jahr um 4,4 Prozent auf 1,779 Milliarden Euro.
Im kommenden Jahr jährt sich die Eröffnung des ersten Einzelhandels der Familie Haub zum 150. Mal.
Für Konzernchef Karl-Erivan Haub ist das Aus von Kaiser's Tengelmann auch eine persönliche Niederlage.