Uhr passt sich an Erdumdrehung an: In der Nacht gibt's eine Schaltsekunde geschenkt

Weil die Erde nachgeht : Im Juli bleibt die Zeit stehen



Wenn die Uhren in der Nacht zum 1. Juli für eine Sekunde angehalten werden, können sich Computer auf der ganzen Welt daran verschlucken. Die Schaltsekunde ist umstritten. Aber wollen wir, dass die Sonne irgendwann erst mittags aufgeht?

Winterzeit, Sommerzeit, Zeitverschiebung im Urlaubsland: Was das Umstellen der Uhren anbelangt, sind wir einiges gewohnt. Mal geschieht es zum Energiesparen, mal ist es dem Lauf der Sonne geschuldet. Worum aber geht es, wenn die Zeit in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli für eine einzige Sekunde angehalten wird – und das weltweit?


Bei dieser Schaltsekunde kommt die Erddrehung ins Spiel. Hat sich die Erde einmal um ihre eigene Achse gedreht, ist bekanntlich ein Tag vorbei. Das ist überall auf der Welt das Gleiche. Auf unseren Uhren sind dann 24 Stunden verstrichen. Das allerdings ist nicht exakt die Zeit, die die Erde für ihre Pirouette braucht. Die Erddrehung ist eine recht unregelmäßige Angelegenheit. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich beschleunigt; im langfristigen Mittel aber braucht unser Planet, wie Astronomen festgestellt haben, immer länger für die Eigenrotation. Die Drehgeschwindigkeit der Erde nimmt ab und das bedeutet: Die Tageslänge nimmt zu.
Sekunde ist nicht gleich Sekunde

Schuld daran sind vor allem die Gezeiten. Der Mond zerrt an der Erde, er verursacht Ebbe und Flut und dadurch wird die Erde bei der Drehung um sich selbst geringfügig gebremst. Auch Erdbeben, Winde, die auf Gebirge prallen sowie Magmaströme im Erdinneren spielen eine Rolle. Spürbar ist die Verlangsamung für uns nicht. Es handelt sich um Sekundenbruchteile. Doch genau das ist die Krux: Werden nicht auch die Sekunden immer länger, wenn die Tageslänge langsam, aber stetig zunimmt? Wie legt man die Dauer einer Sekunde fest? Was meint man eigentlich, wenn man von einer Sekunde spricht?

Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Ansätze, um die Dauer einer Sekunde zu bestimmen und vor allem: um sie konstant zu halten. Heute haben wir es mit drei nebeneinander existierenden Zeitsystemen zu tun. Sekunde ist nicht gleich Sekunde. Und genau dieses Problem soll die Schaltsekunde ausgleichen.
Atomuhren ticken etwas schneller

Betrachten wir es Schritt für Schritt: Die klassische und an der Natur orientierte Sekunde ist die Sonnensekunde. Bei alten, analogen Uhren können wir sie mit jedem Ticken hören. 86.400 Sonnensekunden gibt es Tag für Tag, denn die Sonnensekunde ergibt sich aus den 24 Stunden (= 86.400 Sekunden), die der Tag für uns hat - eben weil nach dieser Zeitspanne die Sonne wieder an der gleichen Stelle am Himmel steht. Da aber die Rotation der Erde um sich selbst von den 24 Stunden langfristig ungleichmäßig abweicht, hat man 1956 die "Ephemeridensekunde" eingeführt. Sie errechnete sich nicht aus der kapriziösen Eigendrehung unseres Planeten, sondern bezog sich auf seine gleichförmigere Bahn um die Sonne. Die Ephemeridensekunde war geringfügig kürzer als die Sonnensekunde.

Schon wenige Jahre später entschloss man sich, die Zeit an eine wirkliche Konstante zu koppeln: 1967 wurde die Atomsekunde definiert. Sie stimmt mit der Ephemeridensekunde überein, doch die dazugehörige Uhr ist nicht mehr die Erde mit ihrer Sonne, sondern ein Alkalimetall: das völlig gleichmäßig strahlende Cäsium. Atomuhren sind die exaktesten Taktgeber überhaupt. Der von ihnen vorgegebene Rhythmus darf als immer genau gleich betrachtet werden. Es vergehen Millionen Jahre, bis eine Atomuhr mal eine Sekunde vor- oder nachgeht.

Wir müssen auf die Erde warten

Eine Präzision, die auch Astronomen zu schätzen wissen. Und doch richten sich die Planetenforscher bei ihrer Arbeit weiterhin nach der durch die Erdrotation vorgegebenen Sonnenzeit und damit nach dem natürlichen Zeitmaß. Dieses ist gegenüber der Atomzeit durch die Bummelei der Erde inzwischen um 35 Sekunden in den Rückstand geraten.

Astronomische Sonnenzeit hier, Atomzeit da – als würde das nicht schon reichen, gibt es noch ein drittes offizielles Zeitsystem: die allseits bekannte Koordinierte Weltzeit, kurz UTC. Das ist die Zeit, die unseren Alltag bestimmt. Sie wird von Atomuhren vorgegeben und bewegt sich trotzdem zwischen der naturgegebenen Sonnen- und der Atomzeit. Denn die UTC basiert zwar auf der Atomsekunde und tickt in deren Tempo, doch sie wird immer wieder angehalten und an die Sonnenzeit angepasst. Womit wir schließlich bei der Schaltsekunde wären: Immer, wenn die Erde in ihrer Umdrehung wieder beinahe eine volle Sekunde gegenüber dem atomaren Gleichmaß zusammengetrödelt hat, ordnet die überwachende Behörde, der sogenannte Erdrotationsdienst aus Frankfurt am Main (IERS), zusammen mit der Pariser Sternwarte eine weltweite Schaltsekunde an. So ist gewährleistet, dass die Koordinierte Weltzeit nie mehr als 0,9 Sekunden von der astronomischen Sonnenzeit abweicht.

1 Stunde in 1000 Jahren

Schaltsekunden gibt es seit 1972. Die Uhren werden dann jeweils für eine Sekunde angehalten, die Minute ist ausnahmsweise 61 Sekunden lang. Das ist mal jährlich, mal nur alle drei bis vier Jahre nötig – je nach Rotationsgeschwindigkeit der Erde. Die Schaltsekunde wird immer in der Mitte eines Jahres oder in seiner letzten Minute eingefügt: entweder am 30. Juni oder am 31. Dezember, um 23:59:59 Uhr UTC. Nach Mitteleuropäischer (Sommer-)Zeit ist es dann schon ein oder zwei Stunden später, und der Juli oder das neue Jahr haben bereits begonnen.

Zuletzt stand die Zeit bei uns am 1. Juli 2012 um 1:59:59 MESZ für eine Sekunde still. So soll es auch in diesem Sommer wieder sein. Dann sind uns die Atomuhren bereits 36 Sekunden voraus. In rund 1000 Jahren beträgt der Abstand eine volle Stunde. Wollten wir die Zeit einfach laufen lassen und auf die Schaltsekunde verzichten, wären in ferner Zukunft also Schaltstunden nötig. Warum? Wenn die Erde in ihrer Umdrehung langsamer wird, müssen wir auf sie warten. Sonst ist irgendwann der Tag erreicht, an dem die Sonne erst mittags aufgeht.

 
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