Trendgetränk mit 0 Promille Wieso alkoholfreies Bier boomt

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Trendgetränk mit 0 Promille Wieso alkoholfreies Bier boomt

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1979 kam das erste Bier ohne Alkohol auf den Markt, doch es sollte noch Jahrzehnte dauern bis zum großen Durchbruch. Der gelang mit einer neuen Rezeptur - und einer cleveren Marketingstrategie.

Über den 30. April 2015 wird Till Hedrich wohl noch oft nachdenken. Der Tag hat sein Leben verändert. Der Manager verursachte damals einen Autounfall, offenbar unter erheblichem Alkoholeinfluss. Ernsthaft verletzt wurde bei dem Unfall auf der Autobahn zwischen München und Garmisch-Patenkirchen zwar niemand, für Verursacher Hedrich waren die Konsequenzen trotzdem gravierend: Der 44-Jährige wurde fristlos entlassen.

Ein Brauereichef muss schließlich ganz besonders vorbildlich sein im Umgang mit Alkohol. Erst recht beim weltgrößten Bierhersteller ABInbev, der hierzulande mit der Kampagne "Geklärt, wer fährt" nachdrücklich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol wirbt, und entsprechende Piktogramme auf die Etiketten seiner Marke Beck's druckt. Alternativen jedenfalls hätte es für Deutschland-Chef Hedrich zur Genüge gegeben, auch im eigenen Sortiment. Denn alkoholfreies Bier ist heute längst salonfähig.

"Früher war alkoholfreies Bier mal eine Notlösung für die Autofahrer", sagt zum Beispiel Holger Eichele, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes (DBB). "Mittlerweile aber hat es sich zum Mode- und Lifestylegetränk entwickelt."
Sogar Obama trinkt alkoholfrei

Perfekte Gratis-Werbung lieferte zuletzt Barack Obama. Die Bilder des US-Präsidenten, der sich beim G-7-Gipfel im bayerischen Elmau inmitten von gamsbart-bewehrten Männern ein alkoholfreies Weißbier schmecken lässt, gingen um die Welt.

Ein Blick auf die Statistik belegt die Erfolgsgeschichte des Alkoholfreien. 5,03 Millionen Hektoliter alkoholfreies Bier wurden 2014 in Deutschland hergestellt, meldet das Statistische Bundesamt. Lediglich Pils, Exportbier und Weizen kommen im Sortenranking noch auf höhere Werte. Der Marktanteil kletterte mit dem erstmaligen Durchbruch der Fünf-Millionen-Grenze schon auf fast sechs Prozent. Das Alkoholfreie hat damit die Nische längst verlassen.

Und das in einem Tempo, das atemberaubend ist für die Branche. So ist der Ausstoß von alkoholfreiem Bier seit 2010 um über 50 Prozent gewachsen. Gegenüber 2008 hat sich der Markt mittlerweile sogar verdoppelt. Und das Potenzial sei längst nicht ausgeschöpft, sagt Branchenvertreter Eichele. Allein schon, weil die Anzahl der Alkoholfrei-Varianten weiter steigt.
Weizen Holunder alkoholfrei

Zwar sind Pils und Weizen die beiden dominanten Sorten im Segment ohne Alkohol. Daneben gibt es mittlerweile aber auch etliche regionale und sogar brauereispezifische Spezialitäten, angefangen bei Kölsch und Alt bis hin zu Helles und Kellerbier. Neuster Trend aber sind alkoholfreie Varianten von Biermischgetränken. Radler steht hier an der Spitze, doch es finden sich auch sehr exotische Sorten: Weizen Zitrone alkoholfrei etwa oder Weizen Holunder alkoholfrei.

Auf solche Experimente aber scheinen die Deutschen gewartet zu haben. Denn während sich die Mix-Biere insgesamt schlechter verkaufen, legen die alkoholfreien Sorten zu, 2014 um über zehn Prozent, wie die Konsumforscher der GfK melden.

Und diese Entwicklung soll sich fortsetzen. "Im Gegensatz zu den bisherigen Innovationen im Markt der Biermischgetränke, deren Faszination insbesondere auf die jungen Erwachsenen zeitlich begrenzt war, können alkoholfreie Varianten die ganze Familie erreichen und sich damit eine breiter angelegte Zielgruppe mit Aussicht auf längerfristiges Wachstum erschließen", heißt es jedenfalls im GfK-Trendbarometer zur Brauindustrie für den Monat Mai.
Pionier Clausthaler seit 1979

Das Alkoholfreie kannibalisiert dabei nach Ansicht der Branche das klassische Bier nicht. "Ganz im Gegenteil", sagt Stephan Maubach, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Krombacher Brauerei und dort zuständig für den Vertrieb. "Wir erreichen völlig neue Zielgruppen und landen mit unserem alkoholfreien Bier auch in Haushalten, in denen wir vorher gar nicht vertreten waren, bei Sportlern zum Beispiel."

Bestätigt wird Maubach von den Konsumforschern der GfK. Die Marktforscher erklären, dass die Alkoholfrei-Trinker damit vor allem Limo, Cola, Säfte oder Mineralwasser ersetzen. "Es gibt inzwischen sehr gute alkoholfreie Biere", erklärt Krombacher-Mann Maubach das Absatzphänomen. "Dadurch wird das Getränk heute als vollwertiges Produkt akzeptiert."

Das war nicht immer so. Das erste Alkoholfreie auf dem deutschen Markt war im Jahr 1979 Clausthaler. Der schnelle Erfolg der heute noch existierenden Marke rief sogleich Konkurrenten auf den Plan. Doch die anfängliche Euphorie ebbte Anfang der 90er-Jahre wieder deutlich ab.

"Man bekam damals nur wenig wirklich gut schmeckende alkoholfreie Flaschenbiere, und das vornehmlich in Gaststätten. Im Privatverbrauch wurde ohnehin das wesentlich besser schmeckende Normalbier vorgezogen", beschreibt Kai Kelch von Getränke-Info. Erst Erdinger belebte den Markt neu. Ende der 90er-Jahre brachte die bayerische Privatbrauerei das erste alkoholfreie Weizen auf den Markt, anfangs noch unter dem Namen "Preminger".
Alkoholfrei im Zieleinlauf

"Wir haben uns lange überlegt den Namen Erdinger Alkoholfrei überhaupt zu benutzen, weil wir Angst hatten, dass wir die Marke beschädigen. Der Markt war ja damals völlig kaputt und alkoholfreies Bier hatte ein denkbar schlechtes Image", sagt Josef Westermeier, der Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Erdinger Weißbräu. Kurze Zeit später ist das Unternehmen dann doch auf den Namen Erdinger umgeschwenkt – und startete eine der wohl größten Erfolgsgeschichten im deutschen Biermarkt.

Durch wissenschaftliche Studien der Universität Weihenstephan wusste Erdinger um die isotonischen Eigenschaften seiner neuen Spezialität. Und daraus entstand schließlich die Idee, sich direkt an Sportler zu wenden – und zwar vor Ort, mit Ausschank-Promotions im Ziel von Lauf- und Triathlonveranstaltungen. "Mit reinen Werbeaussagen hätte niemand mehr überzeugt werden können, stattdessen mussten wir die Sportler davon überzeugen."

Also habe Erdinger ihnen nach dem Zieleinlauf einfach sein neues alkoholfreies Weißbier in die Hand gedrückt. Mit Erfolg: Heute ist die Flasche mit dem blauen Etikett ein Szenegetränk für Sportler und freizeitaktive Menschen, wie es im Marketingsprech heißt. Absatzzahlen will Westermeier zwar nicht nennen. "Das alkoholfreie Weizen ist heute eine tragende Säule in unserem Sortiment", sagt er lediglich in breitem Bayerisch. Aus dem Markt ist derweil zu hören, dass der Ausstoß bei gut 500.000 Hektolitern liegt, das wären rund zehn Prozent des alkoholfreien Biers in Deutschlands.

Damit ist das Familienunternehmen dem Vernehmen nach nicht nur Marktführer im Untersegment alkoholfreies Weißbier, sondern gleich auch im Gesamtmarkt. Zumindest bei der Betrachtung von Einzelmarken. Auf Platz zwei folgt dann das alkoholfreie Pils von Krombacher vor den beiden Radeberger-Marken Jever Fun auf Rang drei und Clausthaler auf Platz vier. Betrachtet man dagegen sämtliche Sorten und Marken der Braukonzerne in Deutschland, stehen Radeberger, Krombacher und ABInbev mit seinen Marken wie Beck's und Hasseröder auf dem Treppchen.
Inzwischen 250 Brauereien

Es sind aber längst nicht nur die großen Brauereien, die im Alkohofrei-Markt mitmischen. "Als wir angefangen haben, gab es vielleicht 15 Brauereien mit alkoholfreiem Bier, mittlerweile sind es sicherlich 250", schätzt Erdinger-Geschäftsführer Westermeier. "Der Wettbewerb hat sich formiert", bestätigt auch Stephan Maubach von Krombacher, demzufolge der Anteil des alkoholfreien Bieres im Sortiment der Siegerländer bei fast zehn Prozent liegt. "Wer heute noch wachsen will, muss in diesem Segment mitspielen."

Zwar glaubt man beim Deutschen Brauer-Bund nicht, dass der neue Hoffnungsträger den Konsumrückgang, mit dem die Branche schon seit vielen Jahren zu kämpfen hat, kompensieren kann. "Eine tolle Ergänzung ist dieses Geschäftsfeld aber allemal", sagt Hauptgeschäftsführer Eichele, demzufolge heute in jedem sechsten Haushalt alkoholfreies Bier konsumiert wird.

Produktionstechnisch gibt es dabei für die Brauereien mehrere Möglichkeiten. Besonders verbreitet sind zwei Herstellungsverfahren: das Abbrechen des Gärprozesses vor dem Einsetzen der Alkoholbildung und das nachträgliche Entfernen von Ethanol bis zum gewünschten Alkoholgehalt. Unabhängig vom Verfahren bleibt dabei oftmals ein kleiner Rest Alkohol übrig.

"Dieser Anteil ist aber so gering, dass er keinerlei physiologische Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat", versichert Stephan Maubach stellvertretend für die gesamte Zunft. "So viel kann keiner trinken, um da etwas zu spüren." Den entsprechenden Grenzwert hat der Gesetzgeber bei 0,5 Volumenprozent gesetzt. Bleibt ein Bier unter dieser Schwelle, darf es als "alkoholfrei" verkauft werden.
Restalkohol-Gehalt von reifen Bananen

Verbraucherschützer sind darüber entsetzt. Sogar von Täuschung war schon die Rede. Josef Westermeier bringen diese Vorwürfe auf die Palme. "Wir halten uns exakt an die Gesetze und beachten alle Vorschriften. Dann von Verbrauchertäuschung zu sprechen, ist eine Sauerei", sagt der Vertriebschef von Erdinger. Dann müsse man eben die Gesetze ändern.

Das allerdings ist weder beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft noch beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz geplant. Zumal dann teils absurde Kennzeichnungs-Fälle zustande kommen könnten. Denn nicht nur alkoholfreies Bier enthält Spuren von Alkohol, sondern auch andere Lebensmittel aufgrund natürlicher Gärprozesse.

Kefir zum Beispiel enthält Experten zufolge stattliche 2,0 Volumenprozent Alkoholspuren, bei reifen Bananen sind es 0,6 Prozent, bei Traubensaft 0,4, bei Sauerkraut 0,5 und bei Weißbrot wie auch Apfelschorle immerhin noch 0,2 Volumenprozent. "Diese Lebensmittel stehen damit auf einer Stufe mit alkoholfreiem Bier", sagt Volker Kuhl, Geschäftsführer bei Veltins.
Die 0,0-Prozent-Variante

Dennoch hat sich die Branche mittlerweile auf einen Kompromiss eingelassen. Auf dem Etiketten der Bierflaschen weisen die Brauereien freiwillig darauf hin, dass ein Restalkoholgehalt enthalten sein kann. Außer Bitburger. Denn das Familienunternehmen bietet als einer von wenigen Anbietern im Markt ein Bier an, das tatsächlich keinen Alkohol mehr enthält. 0,0 heißt das Bier, das Andreas Reimer allerdings gar nicht als Bier verstanden wissen will.

"Für uns ist das ein Erfrischungsgetränk", sagt der Vertriebsdirektor Handel der Bitburger Braugruppe. In einigen Kneipen und Restaurants werde es daher auch gar nicht beim Bier, sondern bei den alkoholfreien Getränken aufgelistet. Mit dieser Positionierung konnte auch der Deutsche Fußball-Bund überzeugt werden, der die Nationalmannschaft für 0,0 werben lässt.

Reimer hofft dabei zusätzlich noch auf einen Effekt im Ausland. "In den arabischen Ländern kann es ein Verkaufsargument sein, dass unser Bier keinerlei Spuren von Alkohol mehr enthält", sagt der Manager. Große Exportchancen betont auch Holger Eichele. "Die deutschen Brauer sind bei der Qualität alkoholfreier Biere weltweit führend", sagt der DBB-Vertreter. "Damit bieten sich noch große Chancen auf dem Weltmarkt."

 
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