"Beispiellose Schocktherapie": Osten verdaut die D-Mark noch heute

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Ohne Wenn und Aber fordern die DDR-Bürger vor 25 Jahren die Einführung der D-Mark. Die neue Währung bedeutet für sie den Eintritt in die Konsumwelt des Westens. Doch die marode Wirtschaft der DDR wird von der Härte der D-Mark mit voller Wucht getroffen.

Am 3. Oktober 1990 feiern die Deutschen den Tag der Einheit. Die Wiedervereinigung wurde aber schon Monate zuvor unter Dach und Fach gebracht. Am 18. Mai vereinbarten Bundesrepublik und DDR eine Wirtschafts- und Währungsunion. Damit wurde zum 1. Juli in Ostdeutschland die DDR-Mark durch die "harte" D-Mark abgelöst, das Planwirtschaftssystem durch die Soziale Marktwirtschaft ersetzt.

Für die DDR mit ihren 17 Millionen Bürgern bedeutete das eine "beispiellose Schocktherapie", wie der Ökonom Manfred Streit schrieb. Deren Folgen sind auch 25 Jahre danach noch nicht ganz verdaut. Mitte 1990 überwog indes unbändige Freude, dass man endlich angekommen war in der Freiheit - zu der für viele eben auch der freie Zugang zu den bislang unerreichbaren Konsumfreuden des Westens gehörte.
Währungsunion ist eine Hauruck-Aktion

"Kommt die D-Mark, bleiben wir hier, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr", hallte es schon kurz nach dem Mauerfall auf den Demonstrationen im heutigen Sachsen. Auch die umstrittenen Konditionen der Währungsunion gerieten unter den Druck der Straße: "Eins zu Eins, oder wir werden niemals Eins", forderten Demonstranten zur Zeit der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 in Ost-Berlin.


Das Tempo, das vom Fall der Mauer bis zum Einheitsprozess angeschlagen wurde, war atemberaubend. Während die Vorbereitung der Europäischen Währungsunion viele Jahre dauerte, wurde die Einführung der D-Mark in der DDR binnen weniger Wochen geplant. Schon im Februar kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl das Ziel einer Währungsunion an, drei Monate später war sie per Staatsvertrag beschlossene Sache. Ein dramatischer Schwenk, nachdem bis dahin von einem behutsamen Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft in die Marktwirtschaft die Rede gewesen war.

Dafür blieb indes keine Zeit: "Allein in den vier Monaten von Oktober 1989 bis Januar 1990 hatten über 300.000 Menschen die DDR verlassen und waren in die Bundesrepublik übergesiedelt", bilanzierte die Bundesbank im Sommer 1990. "Hätte sich die Wanderungsbewegung fortgesetzt, wären die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen für beide deutschen Staaten unabsehbar gewesen."
Politik zieht Reißleine trotz Warnungen

Die Politik zog also die Reißleine und ignorierte praktisch alle Warnungen, die vonseiten ökonomischer Fachleute vorgebracht wurden. "Wir halten die rasche Verwirklichung der Währungsunion für das falsche Mittel, um dem Strom von Übersiedlern Einhalt zu gebieten", warnten die "Fünf Weisen" des Sachverständigenrates damals in einem Brief an Kohl.

"Es kann nicht Sinn einer Währungsunion sein, die durch jahrzehntelange Misswirtschaft in der DDR aufgeblähten Geldbestände nunmehr im Zuge der Umwandlung in D-Mark in ihrer Kaufkraft aufzuwerten." Obwohl die DDR-Währung viel weniger wert war, wurden zum 1. Juli 1990 Löhne, Renten und Mieten im Verhältnis 1:1 umgestellt. Für Forderungen und Verbindlichkeiten galt ein grundsätzlicher Tauschkurs von 2:1. In - nach Lebensalter gestaffelten - Grenzen von 2000 bis 6000 Mark konnten Guthaben 1:1 getauscht werden.
"Eine Lawine, die niemand stoppen konnte"

"Eins zu Eins" folgte keiner ökonomischen Vernunft, bilanzierte der Wirtschaftswissenschaftler Manfred Streit. "Die Wahl der Umstellungssätze für die Mark der DDR basierte auf einer politischen Entscheidung." Deren psychologische Bedeutung war enorm - als "Ausdruck der Solidarität unter den Deutschen", wie Kohl in seiner TV-Ansprache zum Start der Währungsunion sagte.

"Der Wechselkurs, zu dem die Ost-Mark gegen die West-Mark getauscht wurde, entsprach mit Sicherheit nicht den damaligen ökonomischen Realitäten", sagte der frühere Bundesbank-Präsident Karl-Otto Pöhl kurz vor seinem Tod 2014. Ein realistischer Wechselkurs wäre aber nicht von der DDR-Bevölkerung akzeptiert worden. Rückblickend zeigte er Verständnis für den Ablauf: "Es war wie eine Lawine, die niemand stoppen konnte und wollte."
Nach 5 Jahren ist die Euphorie verflogen

In wenigen Tagen karrten Hunderte Lkw die D-Mark in den Osten, die bis auf DDR-Münzen bis zum Wert von 50 Pfennigen ab Juli 1990 alleiniges Zahlungsmittel wurde. Mit dem Westgeld auf dem Konto erfüllten sich für Millionen DDR-Bürger jahrelange Konsumwünsche. "Das Ausmaß dieser Kaufwelle wird beispielhaft daran deutlich, dass in den ersten sechs Monaten nach Einführung der D-Mark in den neuen Bundesländern so viele Kraftfahrzeuge zugelassen wurden wie unter dem alten Regime im Zeitraum von fünf bis sechs Jahren", hielt die Bundesbank fest.

Die ökonomische Einheit unter Gleichen blieb indes eine Illusion: Tausende Firmen brachen zusammen, die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe. Falsche Preise, unrentable Fertigung, geringe Produktivität - die Fülle der Probleme wurde mit der Währungsunion schlagartig sichtbar. Ein gutes Jahr später zogen die "Fünf Weisen" eine ernüchternde Bilanz: Die mit der Währungsunion entstandene Euphorie sei verflogen. "Ihre Stelle haben Unsicherheit und Furcht und Bitternis besetzt", schrieben sie in einem Sondergutachten.
"Währungsunion hätte besser laufen können"
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Auch 25 Jahre später wird die Währungsunion von Ökonomen immer noch kontrovers beurteilt. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, spricht von einem Erfolg: "Ich bin der festen Überzeugung: Wenn Sie sich Krisen über die letzten 100 Jahre anschauen, dann waren die Länder erfolgreich, die diesen Prozess der Anpassung schnell gemacht haben."

Deutlich kritischer ist der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn: "Es hätte besser laufen können." Nach seiner Einschätzung leidet die Ost-Wirtschaft unter einem "Hochlohndiktat", das westdeutsche Tarifpartner über den Osten verhängten. "Wären die Löhne - ausgehend von dem Niveau, das sie nach der Eins-zu-Eins-Umstellung hatten - der Produktivität nachgeeilt, statt ihr vorauseilen zu wollen, wäre die Produktivität schneller gestiegen, und die Löhne wären letztlich schneller gewachsen."
 
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