Der NSU Prozess !

Kritik am Verfassungsschutz: Warum bleibt die NSU-Akte 120 Jahre unter Verschluss ?

Der NSU-Prozess ist vorbei, viele Fragen bleiben offen.
Dennoch will der Verfassungsschutz in Hessen eine Akte über die Rechtsterroristen bis ins Jahr 2134 unter Verschluss halten.


Unglaubliche 120 Jahre Sperrfrist für eine Akte des Verfassungsschutzes zum NSU: Damit konfrontiert hatte sich auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Juni 2017 überrascht gezeigt.
"Wie bitte?", entfuhr es ihm.
Die Linken waren auf die Existenz des Berichts gestoßen, den der hessische Verfassungsschutz verheimlichen wollte.
Es geht um streng geheime Unterlagen darüber, was der ihm Jahre lange unterstellte Verfassungsschutz zur extremen rechten Szene zusammengetragen – und dabei ignoriert oder nicht ernst genommen hat.

Für viele Menschen stellt das Dokument mit seiner Sperrfrist eine der größten Ungereimtheiten im NSU-Komplex dar.
Verschwörungstheorien blühen.
Doch die Akte müsste nicht so lange gesperrt sein, heißt es aus der hessischen SPD: "Man kann die Frist selbstverständlich verkürzen, wenn man das politisch will – und die SPD will", sagt die innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Nancy Faeser.
"Sie ist nur gerade nicht in der Position, das durchzusetzen."
Die Regierungsfraktionen CDU und Grüne gehen bisher nicht so weit.
Sie wollen zumindest künftig andere Fristen.

Um was es bei der 120-Jahre-Akte geht:
Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz hatte dem hessischen Innenministerium am 20. November 2014 rund 250 Seiten vorgelegt.
Die Geheimdienstler hatten ausgewertet, was sie von 1992 bis 2012 an Hinweisen zur extrem Rechten erhalten hatten und wie sie damit umgegangen waren.
Rund 40 Seiten Zusammenfassung, dann rund 200 Seiten Aufstellung.

Wie es zum Bericht kam:
Nach immer neuen Berichten zu vernichteten Akten bei diversen Geheimdiensten, verhinderten Festnahmen und weiteren Unregelmäßigkeiten hatte der damalige hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) von seinem Verfassungsschutz Klarheit haben wollen: Wo hat der Dienst vielleicht geschlampt?
Im Sommer 2012 forderte er die gründliche Prüfung an.
Nur durch eine Gesprächsnotiz stießen die Linken darauf, dass es den Bericht gibt.
Die zuständige Abteilungsleiterin hatte ihn zuvor auch im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht erwähnt.

Was drin steht:
Vor allem durch den hessischen NSU-Untersuchungsausschuss wurden Details bekannt, weil Abgeordnete in einem Geheimschutzraum Einblick nehmen konnten – und auch das Dokument war zu rund 20 Prozent geschwärzt.
Bei geschwärzten Teilen mussten Abgeordnete einzeln nachfragen.
Klar ist: Der Verfassungsschutz bekam in dem Zeitraum rund 950 Hinweise auf Waffen und Sprengstoff bei Rechten – und ging vielen nicht nach.
Bei rund 30 "Belegen" gab es mögliche Bezüge hessischer Neonazis zum NSU-Kerntrio, 500 Akten waren verschwunden.

Welche Rolle Hessens Verfassungsschutz spielte:
Die Mordserie des NSU endete in einem Internetcafé in Kassel, in dem zur Zeit des Mordes an Halit Yozgat oder bis maximal weniger als 40 Sekunden davor ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes saß.
Andreas Temme hatte zudem drei Wochen zuvor wie andere von seiner Vorgesetzten eine Aufforderung erhalten, sich zu einer Mordserie mit einer "Ceska" umzuhören.
Das verschwieg er später, er meldete sich auch nicht bei der Polizei als Zeuge – und er telefonierte am Tattag mit einem V-Mann, der weit oben auf einer Liste von Personen aus dem Umfeld des NSU stand.

Unter weitere Ungereimtheiten fällt ein Anruf bei Temme aus dem Amt: "Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren", sagte ihm der Geheimschutzbeauftrage.
Stärker unter Druck als der hessische Geheimdienst stand nur der Thüringer Verfassungsschutz – maßgeblich mitaufgebaut von früheren hessischen Geheimdienstlern.

Wie es zur Sperrfrist kam:
Kurz nach einer neuen Verschlusssachenanweisung aus dem Innenministerium gab der damalige Verfassungsschutzpräsident Alexander Eisvogel am 28. April 2010 eine Dienstanweisung heraus.
Ein Zusammenhang mit der NSU-Mordserie ist nicht ersichtlich.
Die flog am 4. November 2011 auf.
In der Dienstanweisung heißt es, bei der Erstellung neuer Verschlusssachen seien vier Fallklassen zu nutzen, "um der Gefahr der ungewollten vorzeitigen Offenlegung der Verschlusssache vorzubeugen."

Diese vier Fallklassen sind mit Fristen verbunden, die in der Form nur so aus Hessen bekannt sind: 30, 50, 90 und die ewigen 120 Jahre.
Als am 20. November 2014 der Bericht zu der Aktenüberprüfung vorgelegt wurde, war er mit mit der Sperrfrist von 120 Jahren versehen.
"Ich kenne keinen vergleichbaren Fall", sagt Volker Eichler, Leiter des Hessischen Hauptstaatsarchivs.
"Das ist eine Frist, die völlig unüblich ist."
Der Verfassungsschutz beantwortete Fragen dazu nicht.

Was die Begründung war:
Die Überprüfung der Akten zur Nazi-Szene hat der Verfassungsschutz der vierten Kategorie zugeordnet: Vorgänge, die das konkrete Verhältnis von V-Leuten mit dem Verfassungsschutz und dort der "Forschung und Werbung" abbilden.
Dinge, die Rückschlüsse über die Arbeitsweise zulassen, wie wo wann V-Leute angeworben wurden.
Sie seien zu sperren für die gesamte Lebensdauer der handelnden Personen und der nachfolgenden Generation.
Der Rechtsanwalt Alexander Kienzle, der die Familie Yozgat vertritt, sah darin nach Bekanntwerden etwas anderes – eine Botschaft des Verfassungsschutzes: "Hier ist jetzt Ruhe, hier geht gar nichts mehr."
Die Familie erwägt, gegen Verantwortliche Strafanzeige zu erstatten, weil der Verfassungsschutz Straftaten nicht vereitelt habe, berichtet die "Welt".

Welche Lehren Hessen gezogen hat:
Der Verfassungsschutz wurde bereits umgebaut und soll weiter reformiert werden.
Die Regelung zu der Dauer der Sperrfristen gilt aber weiter.
In seiner nächsten Sitzungswoche Ende August wird der Landtag den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses mit Sondervoten der Opposition präsentieren und mitsamt beschließen.
Als eine der Handlungsempfehlungen der Regierungsparteien findet sich die Forderung, die Einstufungspraxis beim Verfassungsschutz auch bei der Dauer kritisch zu prüfen.

Grünen-Fraktionssprecher Volker Schmidt berichtet von Erörterungen des Ausschusses mit dem Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz, wie eine niedrigere Einstufung ermöglicht werden kann.
Der für 120 Jahre gesperrte Prüfbericht wird als Negativbeispiel genannt.
Der SPD-Abgeordneten Nancy Faeser geht das nicht weit genug: "Die Gesellschaft muss nicht damit leben, dass Behördenakten für vier Menschengenerationen als geheim eingestuft und damit der Öffentlichkeit entzogen werden".

Wie die Einstufung geändert werden könnte:
Es gibt eine Regelung innerhalb der Dienstanweisung des inzwischen vor-vorletzten Verfassungsschutzpräsidenten Eisvogel, heute Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung.
Dort ist Voraussetzung für einen anderen Geheimhaltungsgrad, dass sich Gründe ändern oder wegfallen.
SPD-Innenpolitikerin Felser spricht aber von einer "Verwaltungsentscheidung, die jederzeit aufgehoben werden könnte".
In den Regierungsfraktionen überwiegt dagegen die bisher Auffassung, die Entscheidung sei juristisch nicht zu beanstanden.

Was mit den Akten passiert:
Sie bleiben beim Verfassungsschutz, bis sie dort nicht mehr benötigt werden – längstens 30 Jahre.
Dann müssen sie dem Hauptstaatsarchiv angeboten werden, das sie in seinen Bestand übernehmen wird.
Dort gibt es ein Verschlusssachenmagazin, das nur von wenigen Mitarbeitern betreten werden kann.
Über einen Zugriff auf die Akte entscheidet bis zum Ablauf der Sperrfrist weiterhin der Verfassungsschutz.
Sie könnten auf Antrag etwa von Wissenschaftlern für sie vorzeitig herabgestuft werden.


 
Nach Prozess-Urteil: Bundesanwaltschaft legt Revision ein !

Die Bundesanwaltschaft ist mit dem Urteil für den Mitangeklagten André E. im NSU-Prozess offenbar nicht einverstanden.
Nun hat sie eine Prüfung des Urteils angefordert.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat Revision gegen das Urteil gegen André E. im NSU-Prozess eingelegt.
Die Gründe dieser Entscheidung hingen im Einzelnen von der schriftlichen Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts in München ab, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.
Zuvor hatte die "Frankfurter Rundschau" berichtet.
Die Sprecherin äußerte sich nicht zur Frage, ob die Behörde auch Revision gegen die Urteile gegen Beate Zschäpe oder die anderen drei Angeklagten einlegen wird.

Der Mitangeklagte André E. war am vergangenen Mittwoch zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden.
Die Richter sprachen E. allerdings nicht der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig, wie dies die Bundesanwaltschaft gefordert hatte.

Sie verurteilte den 38-Jährigen, der bei der Tarnung des NSU-Trios im Untergrund geholfen haben soll, lediglich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Die Verteidiger hatten einen Freispruch von sämtlichen Anklagepunkten für ihren Mandanten gefordert.
Der Haftbefehl gegen ihn war noch am Mittwoch aufgehoben worden.

Zschäpe muss wegen zehnfahren Mordes ins Gefängnis
Die Hauptangeklagte Zschäpe war nach mehr als fünf Jahren Prozess wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Das Oberlandesgericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest – damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.


 
Verurteilter NSU-Helfer: Haftbefehl gegen Ralf Wohlleben aufgehoben !

Ralf Wohlleben ist als Helfer des mörderischen NSU-Trios zu zehn Jahren Haft verurteilt worden.
Er hatte die Tatwaffe besorgt.
Nun hat er das Gefängnis verlassen.

Der Waffenbeschaffer für den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU), Ralf Wohlleben, ist aus dem Gefängnis entlassen worden.
Er verließ am Mittwochmorgen die Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München, wie eine Sprecherin des Gefängnisses sagte.

Es bestehe keine Gefahr mehr, dass sich Wohlleben durch Flucht entziehen könnte, teilte das Oberlandesgericht München mit.
Am Dienstag sei der Haftbefehl gegen den 43-Jährigen aufgehoben worden.
Wo Wohlleben sich nach seiner Entlassung befindet, sei dem Gericht nicht bekannt.

Im NSU-Prozess war Wohlleben am Mittwoch zu zehn Jahren Haft verurteilt worden.
Er saß bereits sechs Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft.
Das heißt, er hätte höchstens noch drei Jahre und vier Monate im Gefängnis verbüßen müssen.
Mit der Entscheidung folgte das Gericht der Einschätzung des Generalbundesanwalts in Karlsruhe, der eine Gefängnisstrafe für Wohlleben für nicht mehr erforderlich hielt.

Anklage hatte zwölf Jahre Haft gefordert
Das Oberlandesgericht hatte Wohlleben der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden.
Die Bundesanwaltschaft hatte dem ehemaligen NPD-Funktionär vorgeworfen, die NSU-Mordwaffe vom Typ "Ceska" organisiert zu haben – und er habe gewusst, wofür die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sie benutzen wollten.
Wohlleben hatte das stets bestritten.
Er habe dem eigentlichen Überbringer der Waffe nur auf Nachfrage einen Tipp gegeben.

Die Anklage hatte für Wohlleben zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen gefordert.
Seine Verteidiger bezeichneten ihn als unschuldig und forderten Freispruch.
Sie wollen das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüfen lassen.


 
Von München nach Sachsen: Beate Zschäpe nach Chemnitz verlegt !

Voriges Jahr verurteilte das Landgericht München Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft, seitdem sitzt sie im Gefängnis.
Nun ist sie verlegt worden – auf eigenen Wunsch.


Die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe ist in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Chemnitz verlegt worden.
Sie sei am Montag aus München nach Sachsen gebracht worden, teilte die JVA Chemnitz mit.
Transport und Aufnahme seien reibungslos verlaufen.
Zschäpe hatte demnach eine "heimatnahe Unterbringung" beantragt.

Die 44-Jährige war vom Oberlandesgericht München voriges Jahr wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Zudem sprach sie das Gericht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig.

Zschäpe bildete nach Überzeugung des Gerichts mit ihren Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die rechtsextreme Terrorgruppe NSU, der zehn Morde zugerechnet werden.
Neun Opfer waren Gewerbetreibende mit türkischen und griechischen Wurzeln.
Zudem wurde in Heilbronn eine junge Polizistin erschossen.

Die 44-Jährige will Revision einlegen
Die Anwälte der 44-Jährigen hatten Revision angekündigt.
Bislang liegt das Urteil noch nicht schriftlich vor.
Erst wenn die Urteilsbegründung da ist, wird förmlich Revision eingelegt.

Das Oberlandesgericht München habe der Verlegung Zschäpes nach Sachsen zugestimmt, teilte die JVA Chemnitz mit.
Die 44-Jährige stammt eigentlich aus Jena in Thüringen, hatte aber viele Jahre mit Böhnhardt und Mundlos in Sachsen im Untergrund gelebt.

Für weibliche Gefangene ist in Sachsen die Chemnitzer Haftanstalt zuständig.
Zudem teilte die JVA-Leiterin Eike König-Bender mit, dass bei Frauen, "die aufgrund von Bindungen nach Thüringen eine heimatnahe Unterbringung beantragt haben", die Strafe aufgrund einer Vereinbarung zwischen Sachsen und Thüringen ebenfalls in der JVA Chemnitz vollstreckt werde.


 
NSU-Prozess: 3.025 Seiten - Gericht legt schriftliches Urteil gegen Zschäpe vor !

Gerade noch rechtzeitig: Die schriftliche Urteilsbegründung zu Beate Zschäpes Verurteilung zu lebenslanger Haft liegt vor – 3.025 Seiten.
Wäre das Schreiben zu spät gekommen, hätte der Prozess wiederholt werden müssen.


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Für die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe beginnt jetzt die für die Dauer ihres Gefängnisaufenthalts entscheidende Phase.
93 Wochen nach Zschäpes Verurteilung im NSU-Prozess zu lebenslanger Haft hat das Oberlandesgericht München das schriftliche Urteil mit einer ausführlichen Begründung gegen die 45-Jährige und ihre vier Mitangeklagten abgegeben.
Das teilte das Gericht auf seiner Internetseite mit.
Das Schreiben umfasst demnach 3.025 Seiten.
Sobald die Verteidiger es in den Händen halten, bleiben ihnen vier Wochen Zeit, um ihre Revision schriftlich zu begründen und das Urteil womöglich ins Wanken zu bringen.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und die weiteren Richter des Prozesses um den Nationalsozialistischen Untergrund schöpften ihre zeitlichen Möglichkeiten zwischen der mündlichen Urteilsverkündung am 11. Juli 2018 und dem Ende der Abgabefrist für das schriftliche Urteil fast vollständig aus.
Spätestens am Mittwoch hätte das Urteil zu den Akten kommen müssen, andernfalls hätte der Prozess neu beginnen müssen.

438 Tage wurde verhandelt
Dass Götzl und sein Team so viel Zeit hatten, liegt am epischen Ausmaß des NSU-Prozesses mit seinen 438 Verhandlungstagen.
Die Strafprozessordnung bemisst nach der Prozessdauer die Zeit für die Urteilsbegründung.

Ohne dass schon Inhalte bekannt sind, dürfte klar sein, dass der durch seine so präzise wie penible Prozessführung aufgetretene Götzl in allen Details exakt begründet.
Götzl verurteilte die mittlerweile in Chemnitz im Frauengefängnis sitzende Zschäpe als Mittäterin der Morde an neun Migranten und einer Polizistin, obwohl sie laut der Beweisaufnahme an keinem einzigen Tatort war.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich 2011 nach einem Überfall mutmaßlich selbst das Leben nahmen, sollen alle Taten verübt haben.

Schon die Anklage Zschäpes durch die Bundesanwaltschaft als Mittäterin, ohne dass sie je an einem Tatort war, galt als kühn.
Dass das Urteil diese Annahme bestätigte, wird unter Juristen bis heute kontrovers diskutiert.
Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel sagte am Urteilstag, die Verurteilung wegen Mittäterschaft sei "juristisch nicht haltbar".

Frage der Mittäterschaft bei Revision zentral wichtig
Grasel sagt auch heute, die Frage der Mittäterschaft werde die zentrale seiner Revision sein.
Darum werde es vor allem gehen, auch einige andere Punkte der Urteilsbegründung wolle er sich sehr genau ansehen.
Einen tieferen Einblick, wo er mögliche Schwachstellen des Urteils sieht, will er aber nicht geben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe muss das Urteil prüfen.
Dabei geht es aber nicht um inhaltliche Fragen, sondern um formale Fehler.
Sollten irgendwo grobe Schnitzer vorliegen, müsste der ganze Fall im schlimmsten Fall neu beginnen.
Wie lange der BGH für seine Prüfung braucht, ist nicht absehbar.

Sollte der BGH die Verurteilung Zschäpes bestätigen, wird diese wegen der vom Gericht festgestellten besonderen Schwere der Schuld noch viele Jahre im Gefängnis bleiben.
Sollte der BGH das Urteil aber kippen, könnte sie absehbar auf eine Haftentlassung setzen.

Zwei Angeklagte kamen 2018 frei
Bereits seit 2018 sind der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der Neonazi André E. frei.
Wohlleben verbrachte mehr als zwei Drittel seiner laut Urteil zehnjährigen Haftstrafe in Untersuchungshaft.
Bei E. hingegen verhängte das Gericht nur zweieinhalb Jahre Haft, obwohl die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre gefordert hatte.

Vor allem bei E. hoffen viele Hinterbliebene, dass seine Verurteilung gekippt und der Neonazi doch noch härter bestraft wird.
Schließlich geht es in der Revision auch darum, ob der als NSU-Helfer zu drei Jahren Haft verurteilte Holger G. ins Gefängnis muss.

Nur bei einem ist der Fall bald abgeschlossen: Carsten S., der dem NSU die Waffe für die Morde an den neun Migranten übergeben hatte, akzeptierte seine Verurteilung zu drei Jahren Jugendstrafe.
Einen Großteil der Strafe saß er ab, vermutlich kommt er nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe bald frei


 
Gericht untermauert Zschäpe-Verurteilung !

Nach fast zwei Jahren Warten liegt das schriftliche NSU-Urteil gegen Beate Zschäpe & Co. vor.
Das Gericht begründet und erklärt, warum es Zschäpe wegen zehnfachen Mordes verurteilt hat.


München - Das Oberlandesgericht München hat in seinem schriftlichen Urteil im NSU-Prozess die Verurteilung der Rechtsterroristin Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes untermauert.

Der Tatbeitrag Zschäpes sei "objektiv wesentlich" gewesen, heißt es in der Urteilsbegründung, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Die genaue Argumentation ist deshalb von großem Interesse, weil der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das NSU-Urteil überprüfen muss.

Zschäpe war am Ende des mehr als fünfjährigen Mammutverfahrens um die Morde und Anschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" am 11. Juli 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt worden - auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war.

Sie lebte aber fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund - in dieser Zeit ermordeten die Männer neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin.
Am Ende nahmen sich die beiden Männer das Leben, um der drohenden Festnahme durch die Polizei zu entgehen.
Zschäpe steckte die letzte gemeinsame Wohnung in Brand, verschickte ein Bekennervideo - und stellte sich der Polizei.
Das Gericht verurteilte Zschäpe letztlich als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des NSU.

In der schriftlichen Urteilsbegründung argumentiert das Gericht, Zschäpe habe zusammen mit den beiden Männern die Tatorte ausgewählt und auch Einfluss auf Zeitpunkt und Art und Weise der Taten gehabt.
Tatbeitrag Zschäpes sollte demnach sein, die Abwesenheit der beiden aus der gemeinsamen Wohnung zu verschleiern und den Männern damit "eine sichere Rückzugsmöglichkeit zu schaffen".
Und: Zschäpe sollte sich während der Morde und Anschläge in oder in der Nähe der Wohnung aufhalten, um im Falle des Todes ihrer Freunde das vorbereitete Bekennervideo verschicken und Beweismittel vernichten zu können.

Diese "Abwesenheit vom Tatort im engeren Sinne" sei also "geradezu Bedingung" für die Begehung der jeweiligen Taten gewesen.
Nur durch die "örtliche Aufteilung" sei auch gesichert gewesen, dass der "ideologische Zweck der Gewalttaten" letztlich erreicht werden würde.
Tatsächlich wurde die rassistische Motivation der Mordserie, die das Land in Atem gehalten hatte, erst durch das Bekennervideo öffentlich.

Zschäpe und der NSU waren laut dem schriftlichen Urteil geleitet von einer "ausländerfeindlichen, antisemitischen und staatsfeindlichen Ideologie".
"Aufgrund ihrer nationalsozialistisch-rassistischen Vorstellungen war der Angeklagten Zschäpe die Anwesenheit von Juden und Ausländern im Inland verhasst."
Und weiter: "Die Taten waren als Serientaten der nationalsozialistischen Terrorgruppe NSU konzipiert."

Das Gericht hatte seine schriftliche Urteilsbegründung am vergangenen Dienstag abgegeben - fast zwei Jahre nach dem Urteil gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte.
Auch diese vier waren zu mehrjährigen Haft- oder Jugendstrafen verurteilt worden.
Weil mehrere Prozessbeteiligte Revision eingelegt haben, muss der BGH das Urteil aber überprüfen.

Eine Sonderstellung nahm der Mitangeklagte André E. ein: Bei ihm war das Gericht mit zweieinhalb Jahren Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung weit unter der Forderung der Anklage geblieben, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte: Unter anderem soll E. ein Wohnmobil angemietet haben, mit dem die Täter für einen Bombenanschlag nach Köln fuhren.
Dazu heißt es im schriftlichen Urteil, es könne nicht nachgewiesen werden, dass E. damals mit der Möglichkeit rechnete, dass das Wohnmobil zur Begehung eines Sprengstoffanschlags verwenden werden sollte.
E. habe damals auch keinen intensiven Einblick in die Lebensverhältnisse der drei gehabt.

Hält das Urteil der Überprüfung stand, wird es rechtskräftig.
Hat die Revision Erfolg, heben die Richter das Urteil ganz oder teilweise auf.
Dann muss das zuständige OLG nach den Maßgaben aus Karlsruhe neu entscheiden, üblicherweise eine andere Strafkammer.
In bestimmten Fällen korrigieren die BGH-Richter die Urteilsformel auch direkt.
Beanstandungen können auch nur Teile des Urteils betreffen.
Zum Beispiel kann der BGH feststellen, dass jemand richtigerweise schuldig gesprochen wurde, die Strafe aber falsch bemessen ist.



 
Rechercheplattform veröffentlicht komplettes NSU-Urteil: 3.025 Seiten im Netz !

Zwei Jahre lang war das schriftliche Urteil im NSU-Prozess nicht öffentlich einsehbar – bis jetzt.
Die Rechercheplattform "Frag den Staat" hat es auf ihrer Internetseite hochgeladen.

Die Rechercheplattform "Frag den Staat" hat das komplette NSU-Urteil veröffentlicht.
Die 3.025 Seiten der Urteilsbegründung sind nun vollständig öffentlich einsehbar.
Damit solle eine breite gesellschaftliche Diskussion über das Urteil ermöglicht werden, heißt es in dem begleitenden Artikel zur Veröffentlichung, an der auch die ehrenamtliche Initiative "NSU Watch" beteiligt war.

Das Oberlandesgericht München hatte vor zwei Jahren fünf Angeklagte für eine Serie von rassistischen Morden, Überfällen und Sprengstoffanschlägen verurteilt, darunter die Rechtsterroristin Beate Zschäpe und mehrere Unterstützer.
Bis heute war das Urteil aber nicht öffentlich einsehbar, erst vor wenigen Monaten war es aufgrund der langen Verfahrensdauer schriftlich vorgelegt worden.

Vier der fünf Urteile sind noch nicht rechtskräftig, da Angeklagte und in einem Fall die Bundesanwaltschaft Revision einlegten.
Nebenklagevertreter und Hinterbliebene hatten eine fehlende Opferperspektive in der Urteilsbegründung kritisiert.
Auch Zusammenhänge mit dem Verfassungsschutz seien nicht ausreichend berücksichtigt.


Homepage:
 
BGH bestätigt NSU-Urteil: Lebenslange Haft für Zschäpe ist rechtskräftig !

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, muss lebenslang in Haft bleiben.
Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision gegen ihre Verurteilung zurück.
Das teilte das Karlsruher Gericht am Donnerstag mit.

Beate Zschäpe ist rechtskräftig als Mittäterin der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) verurteilt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf ihre Revision mit schriftlichem Beschluss und strich nur eine Einzelstrafe, wie das Karlsruher Gericht am Donnerstag mitteilte.
"Die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe und die festgestellte besondere Schuldschwere sind hiervon jedoch unberührt geblieben."

Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest, sodass eine Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen ist.
Der rechtsextremistische "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) hatte zwischen 2000 und 2007 neun Männer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet.

Auch die Verurteilung von zwei Mitangeklagten, Ralf W. und Holger G., zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen Beihilfe zu den Morden beziehungsweise Unterstützung des rechtsextremistischen NSU bestätigte der BGH.

Das Mammutverfahren um die Morde war 2018 zu Ende gegangen
Im Fall des NSU-Vertrauten André E. will der Bundesgerichtshof noch in diesem Jahr, im Dezember, über das Urteil verhandeln.
Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wurde E. 2018 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Weil bei E. im einzigen Fall auch die Bundesanwaltschaft begründet Revision beantragt hat, musste der BGH eine Hauptverhandlung ansetzen.
Bei den Mitangeklagten hatten nur deren Verteidiger Rechtsmittel eingelegt, nicht aber die Anklageseite.

Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt.
In dieser Zeit ermordeten die Männer acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin.
2011 nahmen sie sich das Leben, um der drohenden Festnahme zu entgehen.
Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an, verschickte ein Bekennervideo und stellte sich.

Zschäpe ist die einzige Überlebende des rechtsextremen NSU-Trios
Das Mammutverfahren um die Morde und Anschläge der Neonazi-Terrorzelle NSU war am 11. Juli 2018 nach mehr als fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen zu Ende gegangen.
Das Oberlandesgericht (OLG) München verurteilte Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, als Mittäterin zu lebenslanger Haft – auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war.
Außerdem stellten die Richter die besondere Schwere der Schuld fest.

Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt, Holger G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft.
Das schriftliche Urteil liegt seit Ende April 2020 vor, es ist 3.025 Seiten lang.

Der BGH prüft Urteile ausschließlich auf Rechtsfehler.
Er hört also keine Zeugen mehr an.
Hält das Urteil der Überprüfung stand, wird es rechtskräftig.
Haben die Revisionen Erfolg, heben die Richter es ganz oder teilweise auf.
Eine Hauptverhandlung gibt es nur in etwa fünf Prozent aller Revisionen.
Unter bestimmten Bedingungen können die Richterinnen und Richter auch schriftlich per Beschluss entscheiden – nämlich dann, wenn sie eine Revision für unzulässig oder offensichtlich unbegründet halten.
Gleiches gilt, wenn der Senat die Revision zugunsten eines Angeklagten einstimmig für begründet hält.


 
Beschwerde gegen BGH-Urteil: Zschäpe zieht vor Bundesverfassungsgericht !

Beate Zschäpe muss wegen Mittäterschaft bei der NSU-Mordserie lebenslang im Gefängnis bleiben.
Vor dem Bundesgerichtshof war die Rechtsterroristin gescheitert, nun versucht sie sich vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen zu wehren.
Ihr Anwalt erhebt zwei Vorwürfe.

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Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, hat Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Diese sei am 20. September abgegeben worden, sagte ihr Anwalt Mathias Grasel.
Ziel der Beschwerde sei es, eine mündliche Verhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) zu erreichen.
Der BGH habe eine neue Rechtsauffassung vertreten, als er die Revision von Zschäpe zurückgewiesen habe, sagte der Anwalt.
"Wir waren überrascht vom BGH, der eine jahrzehntealte Rechtsprechung zum Thema Mittäterschaft verlassen hat."

Grasel verwies auf das "Interesse am Taterfolg", das der BGH als Begründung für die Mittäterschaft herbeigezogen habe.
Die Verteidigung habe sich in dem schriftlichen Verfahren nicht zu diesem Thema äußern können.
Zudem erhoben die Verteidiger von Zschäpe eine sogenannte Anhörungsrüge beim BGH.
Mit einer Entscheidung vor dem Verfassungsgericht sei frühestens in zwei Jahren zu rechnen, sagte Grasel.

Der BGH hatte die Revision im August zurückgewiesen und das Urteil für rechtskräftig erklärt.
Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, zudem stellten die Richter die besondere Schwere der Schuld fest, sodass eine Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen ist.

Der rechtsextremistische "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) hatte zwischen 2000 und 2007 neun Männer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet.
Die Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nahmen sich 2011 bei einer Polizeikontrolle das Leben.
Zschäpe selbst war den Ermittlungen zufolge nie an den Tatorten.
Ihre Aufgabe war es, die Finanzen des NSU zu führen, für Alibis zu sorgen und die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten.


 
BGH prüft Revision: NSU-Helfer André E. steht wieder vor Gericht !

Im NSU-Prozess bekommt der Helfer André E. eine überraschend milde Strafe.
Doch die steht nun auf der Kippe: Zum ersten und vermutlich letzten Mal verhandelt der BGH zu dem rechtsterroristischen Komplex.
Das Urteil wird für Mitte Dezember erwartet.

Wie eng war das Verhältnis zwischen dem NSU-Trio und seinem Helfer André E.?
Und wann wusste E., der zu den untergetauchten Rechtsterroristen immer Kontakt hatte, über deren mörderische Absichten Bescheid?
Im Münchner Prozess kam der heute 42-Jährige mit milden zweieinhalb Jahren Haft davon, jetzt überprüft der Bundesgerichtshof (BGH) seine Verurteilung wegen Unterstützung einer Terrorvereinigung (Az. 3 StR 441/20).

Am heutigen Donnerstag wurde in Karlsruhe verhandelt, das erste und absehbar einzige Mal im Komplex um den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU).
Ihr Urteil wollen die obersten Strafrichter am 15. Dezember verkünden.

Gedeckt und angeleitet von Beate Zschäpe waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt über Jahre mordend durch das Land gezogen.
Ihre Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin.
Außerdem hatten die NSU-Terroristen zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten verübt.
Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, hatte das Oberlandesgericht (OLG) München am 11. Juli 2018 als Mittäterin an den NSU-Morden zu lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt.
Die Urteile gegen sie und drei andere NSU-Helfer sind rechtskräftig.
Beim Bundesverfassungsgericht ist noch eine Verfassungsbeschwerde Zschäpes anhängig.

Gegen André E. hatten die Münchner Richter eine überraschend milde Strafe verhängt.
Der überzeugte Nationalsozialist kam direkt aus der Untersuchungshaft frei - zum Entsetzen von Opfer-Angehörigen.
Bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, bleibt er auch auf freiem Fuß.
Die Bundesanwaltschaft hatte eine viel höhere Strafe gefordert: zwölf Jahre Haft, unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord.
Denn E. hatte ein Wohnmobil angemietet, mit dem die Täter im Jahr 2000 für einen der Anschläge nach Köln fuhren.

Bahncards für das Terror-Trio
Bundesanwalt Jochen Weingarten sagte vor dem BGH, E. habe die NSU-Mitglieder jahrelang gekannt.
Die Argumentation des OLG, wonach er erst zu einem späten Zeitpunkt von den Mord- und Anschlagsplänen erfuhr, sei nicht plausibel nachvollziehbar - sondern widersprüchlich und rechtsfehlerhaft.
Er sprach von "haltlosen Annahmen zugunsten des Angeklagten".

Die OLG-Richter hatten E. dafür verurteilt, dass er dem NSU-Trio 2009, 2010 und 2011 Bahncards organisiert hatte, die auf ihn und seine Frau ausgestellt waren - dazu nutzte er Fotos von Böhnhardt und Zschäpe.
Damals soll er schon gewusst haben, dass sich die beiden und Mundlos mit mörderischen Absichten zusammengeschlossen hatten.
E. selbst fordert auch in diesem Punkt einen Freispruch.
Sein Verteidiger argumentierte, solche Bahncards seien entgegen der Meinung der Anklage keine "Behelfsidentitätsnachweise".
Eine Bahncard alleine reiche nicht, man brauche auch etwa einen Personalausweis.

Schon 2000 und 2003 hatte E. Wohnmobile angemietet, die der NSU bei zwei Raubüberfällen und dem Anschlag in Köln benutzte.
Außerdem gab er Zschäpe 2007 den Ausweis seiner Frau, damit sie sich bei einer Zeugenvernehmung bei der Polizei mit falschen Personalien vorstellen konnte.
Er begleitete sie auch zu dem Termin.
Aus Sicht der Münchner Richter wurde er erst nach diesem Vertrauensbeweis voll in die Pläne der Terroristen eingeweiht.
Seine Unterstützung in den Fällen vorher reichte ihnen daher nicht für eine Verurteilung wegen Beihilfe.
Ob die Argumentation hier schlüssig ist, dürfte Kern der Überprüfung sein.

Kannte E. schon früher das "Tatkonzept", fragte Bundesanwalt Ralf Wehowsky - oder "war er nur ein ahnungsloser, naiver Bekannter?"
Einen Vorsatz nachzuweisen, ist schwierig: E. hatte während des gesamten Prozesses in München geschwiegen.
Zschäpe sagte nur aus, dass ihm das Trio nach der Vernehmung bei der Polizei von den Raubüberfällen erzählt habe.
Laut Wehowsky gibt es keine Zeugen, keine Aufzeichnungen der Telekommunikation oder von Observationen.

Es bleibe ein "schaler Geschmack der Ungerechtigkeit"
Nebenklage-Anwältin Edith Lunnebach, die Opfer des Kölner Anschlags vertritt, sagte: Die Idee, dass E. als einer der engsten Vertrauten des NSU keine Kenntnis von dessen Plänen gehabt haben soll, sei "lebensfremd".
Es bleibe ein "schaler Geschmack der Ungerechtigkeit".

Vor der Verhandlung protestierte eine kleine Gruppe vor dem BGH "gegen Naziterror und Staatswillkür".
Über Lautsprecherdurchsagen forderte sie die "bedingungslose Aufklärung" der Hintergründe, die den Rechtsterroristen ihre Mordserie ermöglicht hatten.
Auch nach dem ursprünglichen Urteil gab es Kritik, dass weder das Münchner Verfahren noch diverse Untersuchungsausschüsse zum NSU im Bundestag und mehreren Landtagen alle Zusammenhänge aufdecken konnten.
Vermutet wird unter anderem, dass das NSU-Trio noch mehr Helfer hatte.

Die offenen Fragen wird allerdings auch das BGH-Verfahren nicht klären können: Der dritte Strafsenat prüft das Urteil nur auf Rechtsfehler wie Widersprüche und Lücken.
"Wir bewerten die Beweise nicht selbst", erläuterte der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer.
Der BGH kann das OLG-Urteil dann bestätigen, selbstständig abändern oder aufheben.
Im letzten Fall müsste in München neu über strittige Teile verhandelt werden.
Das werde nicht wie beim ersten Verfahren fünf Jahre dauern, sagte Anwältin Lunnebach.
"Aber die drei, vier Monate, die's dauern würde, nehme ich gerne auf mich."
Alle anderen Urteile im NSU-Komplex sind rechtskräftig.


 
NSU-Mordserie: Gericht bestätigt Haftstrafe für Neonazi André E. !

Zehn Ermordete, Dutzende Verletzte bei Sprengstoffanschlägen, Banküberfälle: Die Aufarbeitung der NSU-Terrorserie wird Politik und Justiz wohl noch Jahre beschäftigen.
In einem wichtigen Kapitel hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) aber eine Entscheidung getroffen.

Denn am Mittwoch hat der BGH die Strafe von zweieinhalb Jahren gegen NSU-Unterstützer André E. bestätigt (Az. 3 StR 441/20).
Damit sei das gesamte Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München aus dem Jahr 2018 rechtskräftig und der Mammutprozess um die rechtsextreme Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) abgeschlossen, hieß es.

Das OLG hatte es als erwiesen angesehen, dass E. dem NSU-Trio in den Jahren 2009, 2010 und 2011 mehrere Bahncards organisiert hatte, die auf ihn und seine Frau ausgestellt waren – aber Fotos von Böhnhardt und Zschäpe trugen.

Außerdem hatte E. 2000 und 2003 laut OLG-Urteil Wohnmobile angemietet, die der NSU bei zwei Raubüberfällen und einem Anschlag in Köln benutzte.
Der 42-Jährige André E. selbst bestritt die Vorwürfe und hatte einen Freispruch gefordert.

Prozess um NSU-Morde ist jetzt rechtskräftig abgeschlossen
Im Fall der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatte der BGH bereits im August die Revision ohne vorherige Verhandlung verworfen.
Damit ist sie rechtskräftig als Mittäterin an der rassistisch motivierten Mordserie zu lebenslanger Haft verurteilt.
Das OLG München hatte in ihrem Fall auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt.
Die Urteile gegen drei weitere NSU-Helfer sind ebenfalls schon länger rechtskräftig.

Die Neonazi-Terrorzelle war über Jahre mordend durch Deutschland gezogen.
Ihre Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin.
Zschäpes Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübten zudem zwei Bombenanschläge mit Dutzenden Verletzten.
Sie töteten sich 2011.


 
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