Der NSU Prozess !

385. Verhandlungstag: NSU-Prozess !

Seit Wochen tritt der NSU-Prozess auf der Stelle.
Und wer sich Hoffnungen gemacht hat, dass nach Wochen des Stillstands heute endlich die Nebenkläger mit ihren Plädoyers beginnen können, hat sich getäuscht.

Gamze Kubasik kam mit großen Erwartungen nach München.
Seit Montag ist die Tochter des 2006 vom NSU ermordeten Dortmunder Kioskbetreiber Mehmet Kubasik in München, seit Wochen wartet sie auf den Beginn der Plädoyers der Nebenklage, will selber das Wort ergreifen.

Die erste Unterbrechung nach vier Minuten

Doch gleich zu Beginn dieses 385. Verhandlungstages kündigt der Verteidiger des Angeklagten André E., Hedrich an, sein Mandant beabsichtige, zwei der Richter des 6. Strafsenats wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Die erste Unterbrechung, kaum vier Minuten nach Beginn!
Es wird nicht die letzte an diesem Verhandlungstag sein.

Es dürfte auch nicht der letzte Befangenheitsantrag der Verteidigung E. und der des Mitangeklagten Wohlleben sein.
Alleine in den vergangenen fünf Wochen waren es rund 20 Gesuche, die den NSU-Prozess offensichtlich lahmlegen sollen.

Gamze Kubasik ärgert sich
Nebenklägerin Kubasik ist überzeugt, dass System dahinter steckt: "Ich glaube schon, dass das hier alles mit Absicht gemacht wird von der Verteidigung, dass sie möchten, dass es zu einer Verzögerung kommt und das ärgert mich total."

Ihr Anwalt Sebastian Scharmer, der immer weniger Verständnis für die Taktik der Richter hat, sagt den wartenden Journalisten in die Kamera, das Gericht müsse jetzt handeln:


Ende nach 50 Minuten
Doch das Gericht entscheidet anders.
Es verhandelt nicht weiter, sondern gibt dem Angeklagten E. die Möglichkeit, sein Ablehnungsgesuch zu formulieren.
Der Vorsitzende Richter Götzl weicht von seinem Kurs also nicht ab, den Prozess revisionssicher zu führen.
Verbieten kann er die Befangenheitsanträge der Verteidigung ja sowieso nicht.
Die Folge: nach einer knappen Stunde wird der Prozess vertagt, der morgige Verhandlungstag fällt aus, weiter geht es erst nach den Herbstferien am 9. November.


 
386. Verhandlungstag: Wieder keine Plädoyers der Nebenkläger

Die Plädoyers der Nebenkläger verzögern sich weiter.
Auch heute erhielten die Hinterbliebenen und ihre Anwälte nicht das Wort für ihre Schlussvorträge.
Der Prozess zieht sich also weiter in die Länge.

Früher - das war vor vier Jahren - war alles ganz anders.
Da haben sich Reporter und Anwälte noch aufgeregt, wenn einer der Verhandlungstage im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht gestrichen oder nach kurzer Dauer abgebrochen wurde.
Heute hatten wir den 386. Prozesstag nach einer zweiwöchigen Unterbrechung.
Verhandlungsdauer: 75 Minuten - die Unterbrechungen abgezogen netto knapp über eine halbe Stunde.
Dann vertagt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Prozess auf die kommende Woche.
Achselzuckend nehmen es die Beteiligten und die Reporter zur Kenntnis.
Erwartet hatte ohnehin niemand etwas anderes.

Kaum etwas geht vorwärts
Seit Wochen schleppt sich das Gericht von einem Ablehnungsantrag zum nächsten.
In der Sache selbst geht kaum etwas vorwärts.
Immerhin wurde heute deutlich, was die Bundesanwaltschaft von einem Antrag der Zschäpe-Verteidiger hält, Auskunft über die Möglichkeit zu geben, die Anklage auszuweiten.
Das Gericht nimmt Stellung - dann bittet die Verteidigung der Hauptangeklagten um mehr Zeit, den Sachstand mit der Mandantin zu erkläutern.
Das war's dann auch schon wieder.
Die Verteidigung des Angeklagten André E. schließt sich an - obwohl der gar nicht betroffen ist.
Der Vorsitzende Richter will wissen, warum.
"Na, grundsätzlich..." beginnt der Anwalt seine Ausführung.

Ob in der kommenden Woche nun die Anwälte der Nebenkläger mit ihren Plädoyers beginnen können, wagt auch keiner zu sagen.
Die Hinterbliebenen der ermordeten NSU-Opfer haben es inzwischen aufgegeben, nach München zum Prozess zu fahren - wozu auch.
Im kommenden März könnte das Urteil vor dem Oberlandesgerichts gesprochen werden, verkündet einer der Reporter.
Widersprechen mag ihm keiner.
Die bleierne Schwere, die über diesem Prozess liegt, hat sich längst auf die Gemüter übertragen.
Wie mag es da den Angehörigen der Mordopfer gehen?


 
387. Verhandlungstag: Nebenkläger erheben schwere Vorwürfe !

Zwei Monate trat der NSU-Prozess auf der Stelle.
Jetzt aber konnten die Opfer der rechten Terroristen doch mit ihren Plädoyers beginnen.
Und schon zum Auftakt zeigt sich: Die haben es in sich.

Lange musste Edith Lunnebach warten.
Zahlreiche Befangenheitsanträge der Verteidigung hatten den NSU-Prozess verzögert.
Doch nun kann sie endlich mit ihrem Plädoyer beginnen.
Lunnebach ist die erste von über 50 Nebenklage-Anwälten, die das Wort ergreifen wollen.
Sie vertritt Opfer des NSU-Bombenanschlages in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001, bei dem eine junge Frau schwer verletzt wurde.

Schutzbehauptungen Zschäpes
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde von Edith Lunnebach heute scharf angegriffen.
Sie sage nicht die Wahrheit, bei den Morden und Bombenanschlägen habe es Helfer gegeben.


Auch Mehmet Daimagüler glaubt nicht, dass der NSU nur aus Mundlos, Böhnhard und Zschäpe bestand.
Daimagüler, der Angehörige von NSU-Opfern aus Nürnberg vertritt, begann am Nachmittag mit seinem Plädoyer.
Darin übte er massive Kritik an der Bundesanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden


Kein Ende absehbar
Aufgrund der großen Zahl der Nebenkläger werden deren Plädoyers voraussichtlich mehrere Wochen dauern.
Im Anschluss äußern sich dann die Verteidiger der fünf Angeklagten, auch hier wird eine mehrwöchige Dauer der Plädoyers erwartet.
Wann in dem bereits seit viereinhalb Jahren dauernden Prozess das Urteil fällt, ist noch immer nicht absehbar.




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Nebenklage-Plädoyers: Generalangriff auf die Sicherheitsbehörden !

Neun Wochen lang haben die Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess darauf gewartet, mit ihren Plädoyers beginnen zu können, denn seit Mitte September hatten die Verteidiger der beiden mutmaßlichen NSU-Unterstützer André E. und Ralf Wohlleben das Verfahren systematisch verzögert – mithilfe von fast 20 Befangenheitsanträgen.
Heute war es nun endlich soweit.


Rund 50 Anwälte der NSU-Opfer und ihrer Hinterbliebenen wollen in den nächsten Wochen vor dem Oberlandesgericht in München das Wort ergreifen.
Den Anfang machten heute Edith Lunnebach und Mehmet Daimagüler.
Und beiden nutzten ihren Auftritt – wie erwartet – für einen Generalangriff insbesondere gegen die Bundesanwaltschaft, aber auch gegen Verfassungsschutz und Polizei.

Nebenklage: Der NSU war kein Trio
Edith Lunnebach vertritt die Opfer des NSU-Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse, bei dem im Januar 2001 eine 19-Jährige schwer verletzt wurde.
Ruhig und unaufgeregt im Ton, hart in der Sache nimmt sie die Bundesanwälte ins Visier, wirft ihnen vor, sich unverschämt gegenüber den Nebenkläger verhalten und keinen Willen zur vollständigen Aufklärung des NSU-Komplexes gezeigt zu haben.
Der NSU habe aus mehr Personen bestanden als nur Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, ist sich Lunnebach sicher.
Das zeige der Anschlag in der Probsteigasse beispielhaft.


"Borniertheit der verantwortlichen Ermittler"
Dass der Anschlag bis heute nicht restlos aufgeklärt ist, daran seien auch Polizei und Verfassungsschutz schuld, die zu Anfang überhaupt nicht in Richtung Rechtsextremismus ermittelt hätten.
So sei durch die Borniertheit der verantwortlichen Ermittler die Chance vertan worden, den NSU frühzeitig zu enttarnen und weitere Anschläge und Morde zu verhindern, glaubt Lunnebach.
Das sei für sie und ihre Mandanten schwer erträglich.


Viele Fragen unbeantwortet
Auch Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der die Tochter des Nürnberger Mordopfers Ismail Yaşar vertritt, widmet sich in seinem Schlussvortrag ausführlich der Rolle von Anklagebehörde, Polizei und Verfassungsschutz.
Es sei eine Verhöhnung der Opfer, angesichts des allgemeinen Staatsversagens nur von Pannen zu sprechen.
Und viel zu viele Fragen seien weiter ungeklärt: "Warum haben die unseren Bruder umgebracht?
Warum haben sie meinen Vater umgebracht?
Warum haben sie ihn ausgesucht?
Auf diese Frage haben wir keine Antwort bekommen.
Und meine Mandantschaft will auch wissen: Warum hat die Polizei damals uns verdächtigt?
Warum hat sie unseren Vater, unseren Bruder als Drogendealer dargestellt?"

Institutioneller Rassismus in den Behörden
Die NSU-Affäre habe einmal mehr den institutionellen Rassismus staatlicher Behörden offenbart.
Ein Mensch mit anderer Hautfarbe oder ohne deutschen Pass habe es hierzulande schwer, überhaupt als Opfer anerkannt zu werden, so Daimagüler.
Und weiter: "Wo immer Rechtsradikale, Rassisten, Nazis ihre Morde verübt haben, gab es bei der Bundesanwaltschaft die Tendenz die Tatmotive herunterzuspielen und den Täterkreis zu begrenzen."

Als Daimagüler in diesem Zusammenhang auf das Oktoberfestattentat und den folgenschweren Brandanschlag in einer Flüchtlingsunterkunft in Lübeck im Jahr 1996 mit zehn Toten verweist, grätschen plötzlich Zschäpes Verteidiger dazwischen und werfen Daimagüler einen Missbrauch seines Rederechts vor.
Seine Einlassungen hätten nichts mit dem Verfahrensgegenstand zu tun.
Mehrfach wird die Verhandlung unterbrochen, zur Empörung des Opferanwalts:


Beate Zschäpe und die anderen Angeklagten verfolgen die Ausführungen der Nebenklage-Anwälte beinahe ungerührt.
Auch als Rechtsanwältin Edith Lunnebach aus Zschäpes schriftlicher Erklärung vor Gericht zitiert und ihr "selbstbespiegelnde Weinerlichkeit" vorwirft.

Zschäpes Schutzbehauptungen
Zwar ging es heute vor dem Münchner Oberlandesgericht hauptsächlich um die Schuld des Staates an der NSU-Affäre, dass die Hauptangeklagte schuldig ist, daran haben aber auch die Nebenkläger keine Zweifel.
Dass sie von allem nichts gewusst haben oder erst im Nachhinein von den Morden erfahren haben will, sei völlig unglaubwürdig, so Lunnebach.



 
388. Verhandlungstag: Nebenkläger-Plädoyers werden laufend unterbrochen !

Gestern hatte es noch so ausgesehen, als käme jetzt wieder Schwung in den NSU-Prozess.
Nach zweimonatiger Verzögerung hatten die Plädoyers der Nebenklage begonnen.
Die Anwälte der Opferfamilien wollen in ihren Schlussvorträgen ihre Sicht schildern.
Doch heute stockte das Verfahren erneut.

Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler sprach erst wenige Minuten, als ihn der Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer unterbrach: Daimagülers Plädoyer sei in weiten Teilen eine politische Rede, weitschweifig, unnütz und missbräuchlich.
Ein harscher Vorwurf, der erneut für stundenlange Verzögerungen im NSU-Prozess sorgte.

Gezielte Störmanöver?
Daimagüler sah darin ein Störmanöver der Verteidiger.
Unterstützung erhielt er gleich von mehreren Seiten.
Kollege Sebastian Scharmer warf Heer vor, er überziehe das Beanstandungsrecht.
Der Vertreter der Bundesanwaltschaft sprach von einem Rechtsmissbrauch durch die Zschäpe-Verteidiger und erklärte, die Ausführungen Daimagülers befänden sich „im Bereich des Erlaubten.“
Allgemein herrschte die Einschätzung vor, es gebe keine rechtlichen Grundlagen für solche Unterbrechungen.

Doch Heer, sekundiert von seinen beiden Kollegen Stahl und Sturm, zeigte sich wenig beeindruckt.
Er drohte sogar: "Wenn sich das fortsetzt, werde ich auch weiterhin von meinem Beanstandungsrecht Gebrauch machen."

Unliebsame Plädoyers
Welche Strategie die Altverteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe damit verfolgen, ist nicht ganz klar.
Beanstanden sie in Unkenntnis dessen, was im Plädoyer vom Gesetz erlaubt ist?
Das wäre kaum zu glauben.
Plausibler erscheint eine gezielte Strategie: nämlich den Vortrag eines Nebenklage-Anwalts systematisch zu stören.
Wird ein unliebsames Plädoyer häufig unterbrochen, kann sich dessen Wirkung möglicherweise nicht optimal entfalten.
Vertreter der Nebenklage sind überzeugt, dass Heer-Stahl-Sturm erreichen wollen, dass die Schlussreden der Opferseite in ihrer Intensität gestört werden.

Zschäpe wirkte in diesem Hin und Her der Argumente und Vorwürfe wie teilnahmslos.
Dass sie nichts übrig hat für die Beanstandungen der Altverteidiger, denen sie vor zwei Jahren das Vertrauen entzog, darüber kann man allerdings nur spekulieren.

Den Ball flach halten
Das Gericht reagierte möglichst unaufgeregt und sachlich, nahm die stundenlangen Verzögerungen in Kauf.
Schließlich entschied der 6. Strafsenat am Münchner Oberlandesgericht, dass Daimagüler mit seinem Plädoyer fortsetzen solle.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl machte auch mit beschwichtigenden Handbewegungen deutlich, die Nebenklage solle sich nicht über Heer und Kollegen aufregen.

„Die Stimme der Opfer lässt sich nicht zum Schweigen bringen!“
Daimagülers warf den Ermittlungsbehörden institutionellen Rassismus vor.
Über elf Jahre habe niemand in Richtung Rechtsextremismus ermittelt, niemand habe die Motive für die Morde im Rassismus neonazistischer Täter gesucht.
Für den Anwalt geht es um die Stimme der Opfer: „Diese Stimme lässt sich nicht zum Schweigen bringen.
Weder im Gerichtssaal noch außerhalb des Prozesses.“

Nächste Woche will Mehmet Daimagüler sein Plädoyer beenden.
Dann wollen auch wieder Opferangehörige anreisen.
Mindestens eine von ihnen, Gamze Kubasik, Tochter des im Jahr 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers Mehmet Kubasik, will sich dann auch persönlich zu Wort melden.
Wenn es nicht wieder zu Unterbrechungen kommt.


 
389. Verhandlungstag: Die Sicht der Angehörigen !

Im NSU-Prozess hat im Rahmen der Plädoyers der Nebenklage erstmals die Angehörige eines Opfers persönlich das Wort ergriffen.
Elif Kubasik, die Witwe des im April 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, wandte sich dabei auch direkt an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.
Deren Aussage sei "besonders ekelhaft" gewesen.

Elif Kubasik hat den Tod ihres geliebten Mannes nicht verwunden.
"Mein Herz ist mit Mehmet begraben", sagt sie.
Sie spricht auf Türkisch, mit fester Stimme.
Ein Dolmetscher übersetzt Satz für Satz.
"Heute ist es nicht leicht für mich, diese Leute zu sehen", schildert sie ihre Gefühle im Gerichtssaal.
Jedes Mal, wenn sie den Prozess besucht habe, sei sie danach krank gewesen.
Dann kommt sie auf die Einlassung von Beate Zschäpe zu sprechen und ihre Entschuldigung.
Die Art, wie sie das getan hat, sei beleidigend gewesen, "ich hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über mich".
Aber auch dem Gericht macht sie Vorwürfe und spricht die Fragen an, die Prozess nicht geklärt habe: Warum ihr Mann?
Gab es Helfer in Dortmund?
Was wusste der Staat?
"Frau Merkel hat ihr Versprechen nicht gehalten", sagt die Witwe in Anspielung auf die Zusage der Kanzlerin, die 2012 erklärte, Deutschland werde alles unternehmen, die Verbrechen des NSU restlos aufzuklären.
Und noch eines betont sie: Das Kalkül des NSU, durch die Morde die Ausländer aus Deutschland zu vertreiben, sei nicht aufgegangen: "Ich lebe in diesem Land und ich gehöre hierher."

Wie konnte die Polizei so versagen?
Das sind Sätze, die wachrütteln.
Genauso wie die Schilderung ihres Anwaltes Carsten Ilius, der im Anschluss daran minutiös aufzählt, wie sehr die Familie des Ermordeten unter den polizeilichen Ermittlungen gelitten habe.
Dass die Polizei jahrelang bei der Ceska-Mordserie ein rassistisches Tatmotiv ausschloss und stattdessen den Ermittlungsansatz verfolgte, die Opfer hätten durch kriminelles Verhalten als angebliche Drogendealer oder Aktivisten der PKK selbst ihre Ermordung provoziert, ist schon ungezählte Male im und am Rande des Prozesses angesprochen worden.
Wenn es aber so systematisch und umfassend geschieht, wie es Anwalt Ilius in seinem Schlussvortrag aufrollt, entfaltet dies eine ganz besondere Wirkung.
Die Verdächtigungen des Opfers und seiner Familie ohne jeden konkreten Anhaltspunkt, sondern nur aus der polizeilichen Deutungsgewohnheit, weil es sich um eine türkische Familie handelte, macht betroffen.
Zumal es von Anfang an eine Zeugin gab, die zwei Männer am Tatort als "Junkies oder Neonazis" beschrieb.
Doch die Ermittler gingen dieser Spur nicht nach, strichen aus den Akten das Wort "Neonazis" und verfolgten weiter ihren Ansatz, bei dieser so brutalen Tat könne es sich doch nur um einen Ehrenmord oder ein Verbrechen im Bereich der organisierten Kriminalität gehandelt haben.
Spielte die Fußball-WM eine Rolle?

Der Nebenklageanwalt erklärt diese eigentlich nicht nachzuvollziehende Vorfestlegung auf mögliche Täter und Motive sowie den kategorischen Ausschluss einer ausländerfeindlichen Tat mit dem "institutionellen Rassismus", der in Deutschland herrsche.
Dass er gerade 2006 die Ermittlungen so fehlgelenkt hat, mag aber, auch darauf weist Ilius hin, einen ebenso banalen wie zugleich erschreckenden Grund haben.
In diesem Sommer war Deutschland Gastgeber der Fussball-Weltmeisterschaft. Nachrichten über eine ausländerfeindliche Mordserie hätten dem Bild eines sicheren, weltoffenen Landes geschadet.

Institutioneller Rassismus prägte die Ermittlungen
Dass die polizeilichen Fehlleistungen in Dortmund 2006 kein Einzelfall sind, hatte bereits am Vormittag Mehmet Daimagüler herausgearbeitet.
Der Anwalt vertritt die Familien von zwei NSU-Mordopfern in Nürnberg.
Die Angehörigen des 2001 ermordeten Abdurrahim Özüdogru und von Ismail Yasar, den der NSU 2005 erschoss.
Beide Familien erlebten, wie Elif Kubasik und deren Kinder die gleichen haltlosen und erniedrigenden Verdächtigungen und Ermittlungsmethoden der Polizei.

Was darf ein Nebenklage-Plädoyer?
Nicht nur wegen dieser eindrücklichen Schilderungen dieses Komplettversagen der Ermittler wird dieser 389. Verhandlungstag besonders in Erinnerung bleiben.
Sondern auch wegen des weiter erbittert geführten Streits zwischen Verteidigern und Nebenklägern über das, was die Opferanwälte in ihren Schlussvorträgen ansprechen dürfen und was nicht.
Die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe sehen gerade in den Ausführungen zum institutionellen Rassismus allgemeine "politische Reden", die im Strafprozess keinen Platz hätten.
Dieser Ansicht schliesst sich auch die Verteidigung von Ralf Wohlleben an, obwohl heute ihr Mandant direkt noch gar nicht betroffen war.
Rechtsanwältin Nicole Schneiders begründet dies mit den zu erwartenden Plädoyers.
"Wehret den Anfängen!", sagt sie.
Was Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann erbost.
"Ausgerecht diesen Satz 'Wehret den Anfängen!' von einer ehemaligen aktiven Neonazistin zu hören, ist eine Unverschämtheit."
Schneiders verlangt daraufhin eine Protokollierung, weil damit ein Straftatbestand, nämlich der der Beleidigung, erfüllt sei.
Bundesanwalt gerät zwischen die Fronten

Bundesanwalt Jochen Weingarten Versuch, den Streit zu schlichten, geht daneben.
Seinen Apell an Hoffmann, den möglicherweise beleidigenden Ausdruck "Neonazistin" durch eine weniger angreifbare Umschreibung des gemeinten Sachverhalts zu ersetzen, wertet Schneiders als unerlaubte Rechtsberatung.
In einem Antrag fordert sie das Gericht dazu auf, beim Generalbundesanwalt auf eine Ablösung von Oberstaatsanwalt Weingarten zu drängen.
Der verwende den Jargon der Antifa und ergreife Partei für die Nebenklage, sagt die Juristin, die laut übereinstimmenden Berichten einer Vielzahl unterschiedlichsten Medien NPD-Mitglied war und in die Neonaziszene tief verstrickt gewesen sei.
Morgen wird ihr Antrag zu einer weiteren Verzögerung bei den Schlussvorträgen der Nebenkläger führen.


 
390. Verhandlungstag: "Feige" Zschäpe !

Die Auftritte der Angehörigen der Mordopfer gehörten von Anfang an zu den beeindruckendsten Momenten des NSU-Prozesses.
Heute war es wieder so weit.
Gamze Kubaşık, deren Vater Mehmet Kubaşık von den Neonazi-Terroristen ermordet worden ist, ergriff das Wort.

Gamze Kubaşık war 20 Jahre alt, als sie am 4. April 2006 zur Mittagszeit an dem kleinen Kiosk ankam, den ihre Familie im Norden Dortmunds betrieb und wo sie ihrem Vater nachmittags, wie so oft, bei der Arbeit beistehen wollte.
Doch empfangen wurde sich nicht von ihrem heißgeliebten Vater, sondern von einer Menschentraube.
Polizisten versperrten ihr den Weg, erklärten ihr, der Vater sei verletzt.
Erst später erfuhr sie, dass Mehmet Kubaşık da bereits tot war, niedergestreckt von vier Kugeln, zwei davon in den Kopf.
Ermordet vom NSU, dessen Kerntrio, daran gibt es längst keine Zweifel mehr, aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bestand.

"Warum steht Zschäpe nicht zu ihren Taten?"
Nun steht die Tochter des Ermordeten der Terroristin Zschäpe gegenüber, die bislang jede eigene Schuld an den Taten des NSU abgestritten hat und zu deren Verhalten vor Gericht Gamze Kubaşık vor allem ein Wort einfällt: "Feige".
Sie habe keine Zweifel, dass Zschäpe über alles Bescheid wusste, dass sie alles billigte, betont Kubaşık.
"Ich verstehe nicht, warum sie dann nicht zu ihren Taten steht.
Warum stellt sie sich nicht wenigstens hier hin und sagt es?"

Und trotzdem wendet sich Gamze Kubaşık schließlich direkt an die Hauptangeklagte und gibt ihr ein Versprechen: Sollte Zschäpe doch noch irgendwann bereuen und reinen Tisch machen, sollte sie doch noch irgendwann die Unterstützer des NSU enttarnen und die dringendste Frage der Überlebenden beantworten: Warum?
Warum mein Vater?
Warum mein Mann?
Warum mein Bruder?
Sollte sich Zschäpe doch noch dazu durchringen, irgendwann während der langen Jahre Gefängnis, die vor ihr liegen, dann, so Kubaşık, werde sie ihr verzeihen, dann werde sie sich sogar dafür einsetzen, dass sie nicht bis an ihr Lebensende hinter Gittern bleiben muss, sondern vorzeitig entlassen wird.

"Sie haben Ihr Versprechen gebrochen"
Was für eine Geste!
Die aber zugleich von der Verzweiflung der Hinterbliebenen zeugt über das Verhalten der staatlichen Behörden.
Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaften haben eben nicht - wie von Kanzlerin Merkel persönlich versprochen - alles getan, um den NSU-Komplex aufzuklären.
Sie haben erst dabei geholfen, die Strukturen zu schaffen, aus denen der NSU entstanden ist, haben dann aufgrund ihrer eigenen rassistischen Voreingenommenheit Hinweise auf rechtsextreme Mörder beiseite geschoben.
Und als dann feststand, dass Neonazis die Täter waren und sich das ganze Ausmaß staatlichen Versagens abzeichnete, haben die Behörden vertuscht und abgestritten.
Auch der Prozess hat, nach Ansicht der Nebenkläger, viele Fragen nicht aufklären können bzw. - was noch schlimmer ist: gar nicht erst gestellt.

Umso beeindruckender, dass Gamze Kubaşık überhaupt nach München gekommen ist und das Wort ergriffen hat in einem Prozess, der sie enttäuscht hat.
"Sie haben Ihr Versprechen gebrochen", sagt sie zum Abschluss.
Ein Satz, der auf den Staat abzielt, der aber auch den Gerichtsreporter trifft.
Haben auch wir Medien genug getan, um den NSU-Komplex aufzuklären, um den Hinterbliebenen die Wahrheit zu verschaffen, nach der sie verlangen? Haben wir als Gesellschaft genug getan, um denjenigen, die ihre Liebsten verloren haben, wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?


 
391. Verhandlungstag: Geschichtsstunde im Gerichtssaal !

Erneut hat ein Vertreter der Nebenklage Kritik an der Bundesanwaltschaft geübt.
Er zweifelt in seinem Schlussvortrag deren These an, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hätten erst nach ihrem Untertauchen Anfang 1998 ihre rechtsextremistische Terrorvereinigung gegründet.
Zudem habe der Nationalsozialistische Untergrund NSU nicht nur aus den drei Personen bestanden.

Um seine Argumentation zu belegen, holt Rechtsanwalt Peer Stolle weit aus.
Legt umfassend dar, warum Anfang der 90er Jahre nach dem Fall der Mauer Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern weit verbreitet war und von breiten Bevölkerungsschichten nicht kritisch gesehen, sondern sogar gutgeheißen wurde.
"Wir alle erinnern uns an die Bilder von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen."
Damals kam es zu rassistisch motivierten Angriffen auf Ausländerwohnheime.
In Lichtenhagen steckten bis zu 500 Rechtsextreme das Sonnenblumenhaus in Brand, in dem sich zu diesem Zeitpunkt noch 100 Vietnamesen aufhielten.
3000 Schaulustige begleiteten die gewalttätigen Aktionen mit Beifall und behinderten die Löscharbeiten der Feuerwehr.
Nach dem Ende der DDR war es die Zeit, in der sich ein Gesellschaftssystem auflöste.

Keine Wendeverlierer
Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seien aber keine Wenderverlierer gewesen, betont Stolle.
Er zeichnet nach, wie sich in den damaligen Jahren auch mit Unterstützung eines bayerischen V-Mannes in Thüringen rechtsradikale Organisationen bilden.
Erst der Thüringer Heimatschutz, und dann die Sektion Jena, zu der Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe gehören.
Aber auch Ralf Wohlleben und Holger G, die ebenfalls im NSU-Prozess auf der Anklagebank sitzen.
Stolle vertritt den Sohn des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik.
Dessen Witwe und Tochter hatten in den beiden Tagen zuvor selbst das Wort ergriffen.
Und so für emotionale Momente im Prozess gesorgt, heute geht es eher nüchtern zu, denn der Sohn des ermordeten Kioskbesitzers will selbst nicht in der Öffentlichkeit auftreten.
So spricht nur sein Anwalt.

NSU bestand schon vor 1998
Die zentrale These von Stolle: die Vereinigung, die später NSU genannt wird, bildet sich nicht erst 1998 als Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in den Untergrund gehen.
Sondern deutlich früher.
Zum Beleg führt Stolle etliche rassistisch motivierte Straftaten an, die die drei zusammen mit anderen Mitgliedern der Sektion Jena begehen.
Daraus folgt, so Stolle, dass der NSU nicht nur aus den drei Personen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bestanden habe.
Und auch nach deren Abtauchen seien die drei nicht, wie die Bundesanwaltschaft immer wieder betont hat, eine abgeschottete Zelle gewesen.
Die "Verbundenheit" habe fortbestanden, über viele Jahre habe es "Unterstützerhandlungen" gegeben.




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Nebenkläger im Prozess: NSU hatte Vorläuferorganisation !

Im NSU-Prozess in München sind von der Nebenklage erneut Zweifel an den Ermittlungsergebnissen der Bundesanwaltschaft laut geworden.
Die Anwälte der Dortmunder Familie Kubasik gehen im Gegensatz zu der Behörde davon aus, dass der NSU eine Vorläuferorganisation hatte.

Die Anwälte der Dortmunder Familie Kubasik zweifeln die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft im NSU-Verfahren in vielen Punkten an.
Das wurde auch heute im NSU-Prozess deutlich.

Nebenklage-Vertreter Peer Stolle, der einen Sohn des 2006 in Dortmund vom "Nationalsozialistischen Untergrund" erschossenen Mehmet Kubasik vertritt, widersprach der Auffassung der Bundesanwaltschaft, die drei Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hätten sich 1998 von der Jenaer Szene abgesetzt, weil diese ihnen zu unpolitisch gewesen sei.

"NSU-Trio eng vernetzt"
Stolle geht vielmehr davon aus, dass das NSU-Trio eng mit den Gesinnungsgenossen in Jena vernetzt gewesen sei.
Schon vor der Gründung des NSU habe sich in Jena eine Gruppe zusammengefunden, die Merkmale einer rechtsterroristischen Vereinigung gezeigt habe.

Die Jenaer Sektion der Neonazi-Organisation Thüringer Heimatschutz habe sich bereits Mitte der 90er Jahre radikalisiert und den bewaffneten Kampf diskutiert und befürwortet.
Aus diesem Kreis heraus seien bereits zahlreiche Propaganda-Straftaten begangen worden - bis hin zum Bau von Rohrbomben.

"Weiter Unterstützung von Neonazi-Kameraden"
Die Gruppe, zu der auch der angeklagte mutmaßliche NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben gehörte, sei eine Art Vorläuferorganisation des NSU gewesen, so Nebenklage-Anwalt Stolle.
Nachdem Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe untergetaucht waren, sei es keineswegs zum Bruch mit der Sektion Jena gekommen, sondern das NSU-Trio sei von den Jenaer Neonazi-Kameraden weiter unterstützt worden.

Die Plädoyers der Nebenklage werden kommenden Dienstag fortgesetzt.


 
392. Verhandlungstag: Bombenanschlag Keupstraße - Opfer melden sich zu Wort !

Bei dem schweren Bombenanschlag des NSU am 9.Juni 2004 in der Kölner Keupstraße wurden 22 Menschen teils schwer verletzt.
Im Prozess machten zwei der Verletzten den Behörden heute massive Vorwürfe.

Mohamed A. sagt, dass er Glück gehabt habe.
Glück weil ein großer Zimmermannsnagel seinen Kopf nur knapp verfehlt hätte.
Bei dem Anschlag hatte der NSU eine Bombe, die mit rund 800 Zimmermannsnägeln präpariert war, verwendet.
Die Kölner Keupstraße wird vor allem von türkischen Migranten bewohnt.
Den Tätern sei es offensichtlich darauf angekommen, möglichst viele Personen zu töten und zu verletzen, sagte Anwalt Berthold Fresenius heute in seinem Plädoyer.
Fresenius, der den Nebenkläger Mohamad A. vertritt, ist davon überzeugt, dass der NSU auch langfristig Angst unter Migranten verbreiten wollte.
Der terroristische Charakter sei offenkundig gewesen.

Polizei ermittelte offenbar in falsche Richtung
Auch Mohamed A. sprach heute vor dem Oberlandesgericht.
Er kritisierte, viele der Opfer in der Keupstraße seien von der Polizei zu Unrecht verdächtigt und unter Druck gesetzt worden.
Man habe nicht Neonazis als Täter vermutet, sondern die Täter unter den Bewohnern der Straße selbst gesucht.


Prägend für die Stimmung sei gewesen, dass der damalige Innenminister Otto Schily keine Anhaltspunkte für einen terroristischen Anschlag gesehen, sondern von Anhaltspunkten für eine Straftat von gewöhnlichen Kriminellen gesprochen habe.


Auch Arif S. wurde bei dem Anschlag verletzt.
Die Tat hat aus ihm einen anderen Menschen gemacht.
S. war nach eigenen Worten nicht mehr in der Lage sich um seinen drei Jahre alten Sohn zu kümmern.
Er hatte Schwierigkeiten mit seiner Frau zu sprechen, wachte Nachts schreiend auf.
Diese Furcht werde bleiben, sagte Arif S.
Sie werde so lange bleiben, bis wirklich alle Täter, die mit dem Anschlag zu tun gehabt hätten, verurteilt seien.




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NSU-Prozess: Der Anschlag nach dem Anschlag !

Neben seinen gezielten Morden verübte der NSU auch mindestens drei Bombenanschläge.
Heute kamen im Rahmen der Nebenklage-Plädoyers im NSU-Prozess zwei Opfer des schwersten Attentats zu Wort: des Anschlags in der Kölner Keupstraße.

Möglichst viele Menschen töten und verletzen, eine ganze Straße in Schutt und Asche legen und die Menschen, die darin wohnen in Angst und Schrecken versetzen – das war das Ziel des Nagelbombenanschlags, den der NSU am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße verübte, die vor allem von türkischen Migranten bewohnt wird.

Behörden ermittelten in falsche Richtung
Wie durch ein Wunder kam niemand zu Tode, doch 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Zwei von ihnen haben heute im Münchner NSU-Prozess das Wort ergriffen und dabei deutlich gemacht, dass sie sich nicht nur von den Neonazis angegriffen fühlten, die das Attentat verübten, sondern auch vom Staat und seinen Behörden.
Denn obwohl die Polizei sofort nach der Tat davon ausging, dass es sich um eine terroristische Tat gehandelt hat, wurde dieser Ermittlungsansatz kurz darauf weitgehend revidiert und praktisch nur noch gegen Anwohner der Keupstraße selbst ermittelt.

Wer diesen Umschwung konkret veranlasste, ist bis heute unklar.
Den Ton aber gab der damalige Bundesinnenminister Otto Schily vor, kritisiert heute Anwalt Berthold Fresenius, der einen der Keupstraßen-Anwohner vertritt: "Er trägt eine Mitverantwortung, indem er zu einem sehr frühen Zeitpunkt, ohne dass das sachlich begründet war, einen terroristischen Anschlag in Zweifel zog und von einem kriminellen Milieu sprach."

Opfer kritisieren Behörden
Was dann folgte bezeichnen die Keupstraßen-Anwohner selbst als Anschlag nach dem Anschlag.
Die Polizei ermittelte gegen Anwohner und Geschäftsleute, schürte Misstrauen in den Familien und in der ganzen Straße und sorgte so bei vielen für eine nachhaltige Traumatisierung.

Ausführlich schilderten die zwei Anwohner heute, wie sehr sie und ihr Umfeld von den rassistisch gefärbten Ermittlungen der Behörden zu leiden gehabt hätten.
Und einer von ihnen betonte: Wie hoch das Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre Mitkämpfer ausfallen werde, sei nicht entscheidend.
Es gehe darum, die Hintergründe des NSU aufzuklären.


 
393. Verhandlungstag: Verfassungsschutz soll Verhaftung verhindert haben !

Im NSU-Prozess wurden die Plädoyers der Nebenklage heute fortgesetzt.
Rechtsanwältin Antonia von der Behrens warf den Verfassungsschutzbehörden schweres Versagen vor.
Die Morde der rechten Terroristen hätten ihrer Ansicht nach verhindert werden können.

13 Jahre lang lebten die NSU-Terroristen im Untergrund.
Erst im November 2011 flog die Terrorzelle auf.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden nach einem Überfall auf die Sparkasse in Eisenach von der Polizei ausfindig gemacht und töteten sich selbst.
Eigentlich hätte der NSU viel früher dingfest gemacht werden können, sagt Rechtsanwältin von der Behrens, die vor Gericht ein Mitglied der Familie Simsek vertritt.
Hätten die Verfassungsschutzbehörden zwischen 98 und 2003 nur einen Bruchteil ihrer Erkenntnisse an die Polizei weitergegeben, hätte es beispielsweise den Mord an Enver Simsek, dem ersten Opfer des NSU, im September 2000 in Nürnberg, nicht gegeben.

von der Behrens: Landeskriminalamt wurde behindert
So sei etwa der Aufenthaltsort des 2008 in Chemnitz untergetauchten Trios bekannt gewesen, das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen hätte die Zielfahndung des thüringischen Landeskriminalamtes aber behindert.
Das Ausmaß der beim Verfassungsschutz vorhandenen Informationen lasse sich nur erahnen, sagte von der Behrens.
Drei V-Männer hätten direkten oder indirekten Kontakt zum NSU gehabt.
Deren Akten seien aber vernichtet worden.

Großes Netzwerk von Unterstützern
Vieles würde zudem dafür sprechen, dass nicht nur Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, sondern auch die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Andre E. Mitglieder des NSU waren.
Auch habe es, entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft, ein großes Netzwerk von Unterstützern gegeben.
Ohne deren Hilfe hätte der NSU weder so lange im Untergrund leben, noch die zum Teil sehr versteckt liegenden Tatorte auswählen können.

Warum der Verfassungsschutz untätig blieb, vermag auch Antonia von der Behrens nicht sagen.
Sie ist sich aber sicher, dass der Zufall keine Rolle gespielt hat.




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Das Netzwerk des NSU und die Schuld des Staates !

Im NSU-Prozess in München sind heute die Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt worden.
Dabei sind auch neue Details über die Verbindungen der Neonazi-Terroristen nach Nürnberg bekannt geworden - die Stadt, in der der NSU die meisten Mordtaten beging.

Der NSU war keine abgeschottete Dreier-Zelle, sondern hatte ein Unterstützer-Netzwerk. Und: Geheimdienste und Polizei wussten mehr über die Neonazi-Terroristen, als sie bis heute zugeben wollen.
Vermutlich hätten die staatlichen Behörden sogar Anschläge und Morde verhindern können.
So lauten die zentralen Thesen vieler Nebenkläger, die Anwältin Antonia von der Behrens heute mit zahlreichen Details unterfütterte.
Die Nebenklage will so die Auffassung der Bundesanwaltschaft widerlegen, der NSU habe nur aus Beate Zschäpe sowie den verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bestanden und habe weitgehend isoliert von der Neonaziszene agiert.
Die Opferanwälte sind sich vielmehr sicher: Der NSU hatte Helfer an den Tatorten seiner Verbrechen, Helfer, die immer noch frei herumlaufen.

Tatort Nürnberg: Drei Morde, ein Anschlag
Nebenklage-Vertreterin von der Behrens widmete sich in ihrem Plädoyer heute insbesondere Nürnberg, wo der NSU drei Morde und einen Anschlag verübte.
Dass die Terroristen enge Verbindungen zu fränkischen Neonazis hatten, ist schon länger bekannt - insbesondere zur zentralen Figur der Szene, Matthias Fischer aus Fürth.
So stand Fischers Name auf einer Adressenliste, die der NSU-Terrorist Uwe Mundlos zusammengestellt hatte, mutmaßlich für den Fall einer Flucht vor der Polizei.
Dass diese Liste nie adäquat ausgewertet wurde, obwohl sie von Ermittlern bereits am 26. Januar 1998 sichergestellt worden war, also dem Tag des Untertauchens von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, ist eines der großen Rätseln der NSU-Affäre.
Auf der Liste fanden sich nämlich auch die Namen jener Personen in Chemnitz, die die drei Untergetauchten in ihrer ersten Zeit im Untergrund mit Wohnungen, Ausweisen, Geld und mutmaßlich auch Waffen versorgten.
Es wäre also problemlos möglich gewesen, das Trio binnen kürzester Zeit dingfest zumachen - und damit zehn Morde, drei Anschläge und 15 Raubüberfälle zu verhindern, so Antonia von der Behrens.

Die erste Bombe des NSU
Auf der Fluchtliste taucht außerdem der Name eines aus Thüringen stammenden Neonazis auf: Jens H.
Dieser wohnte Ende der 1990er Jahre in Nürnberg, wie von der Behrens heute enthüllte und zwar in der Nürnberger Südstadt, im Nachbarhaus der Pilsbar "Sonnenschein".
Auf dieses Lokal verübte der NSU im Juni 1999 sein mutmaßlich erstes Attentat - mit einer als Taschenlampe getarnten Bombe.
Der deutsch-türkische Betreiber wurde bei dem Anschlag erheblich verletzt.

"Es ist kein Zufall, dass Nürnberg als Tatort ausgewählt wurde", so von der Behrens.
"Vielmehr spricht alles dafür, dass Neonazis aus Nürnberg den NSU auf den konkreten Anschlagsort aufmerksam gemacht haben."

Der Blumenstand, an dem der NSU sein erstes Mordopfer Enver Şimşek erschoss, sei der Nürnberger Neonaziszene ebenfalls bekannt gewesen: Ein Aktivist habe dort nachweislich mehrfach Blumen gekauft.
Und auch in anderen Städten, in denen der NSU mordete, gebe es zahlreiche Hinweise auf Unterstützer vor Ort.

Was wussten die Behörden über die Terrorzelle?
Ausführlich widmete sich die Anwältin aber auch der Rolle staatlicher Behörden.
Insbesondere die Verfassungsschutzämter seien keinesfalls auf dem rechten Auge blind gewesen, sondern hätten frühzeitig die Gefahr erkannt, die von der rechten Szene ausging, insbesondere von der besonders militanten und radikalen Szene in Thüringer, aus sich der NSU entwickelte.
Statt adäquat zu reagieren, habe man jedoch vornehmlich auf V-Leute gesetzt, über diese massiv Geld in die Szene gepumpt und so rechtsextreme Strukturen gestärkt.
"Das V-Mann-System führte nicht zur Verhinderung der Entstehung des NSU und seiner Taten, sondern sicherte vielmehr seine Existenz."

Bis zum Jahr 2003, als der NSU bereits mehrere Morde und Anschläge begangen hatte, hätten die Behörden über V-Leute und Überwachungsmaßnahmen den NSU durchaus im Blick gehabt.
Wie viel der Staat konkret wusste und wie groß die staatliche Verwicklung in den NSU-Komplex tatsächlich war, sei allerdings nicht mehr nachprüfbar, weil Verfassungsschutz und Polizei ihre Akten dazu weitgehend vernichtet hätten.
Warum die Behörden so gehandelt hätten, sei unklar.
Die zahlreichen Versäumnisse von Geheimdiensten und Polizei machten es jedoch höchst unwahrscheinlich, dass es sich dabei nur um „Pannen“ gehandelt habe, so von der Behrens.
Nichts spreche für Fehler, sondern alles für gezieltes Handeln.


 
394. Verhandlungstag: Opferanwältin zieht bittere Bilanz !

Im NSU-Verfahren gingen die Plädoyers der Nebenklage weiter.
Der Prozess habe nicht die nötige Aufklärung gebracht, sagte Rechtsanwältin Antonia von der Behrens.
Das bittere Fazit der Opferanwältin: Die Staatsräson habe intensivere Ermittlungen verhindert.

Antonia von der Behrens vertritt den jüngsten Sohn von Mehmet Kubasik.
Mehmet Kubasik war am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU erschossen worden.
Die Rechtsanwältin griff die Verfassungsschutzbehörden, aber auch die Bundesanwaltschaft, die Ankläger im NSU-Prozess, heute scharf an.
Verfassungsschützer hätten die Aufklärung eines rechtsterroristische Netzwerkes verhindert, das über zehn Jahre lang in Deutschland sein Unwesen getrieben habe.
Auch der Generalbundesanwalt sei verantwortlich, weil er die Rolle des Verfassungsschutzes bewusst aus den Ermittlungen herausgehalten habe und weil durch die These, der NSU würde nur aus der abgeschotteten Terrorzelle Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bestehen, die Ermittlung möglicher weiterer Mitglieder des NSU, die Ermittlung von Unterstützern und Helfershelfern, nicht möglich gewesen sei.

Von der Behrens: Staatswohl durfte nicht gefährdet werden
Die Bundesanwälte hätten zum Beispiel regelmäßig Befragungen von Nebenklagevertretern zur Einbindung von Zeugen in organisierte Neonazi-Strukturen und zu deren Ideologie beanstandet.
Man scheue die weitere Aufklärung des Netzwerks und des Wissens der Verfassungsschutzbehörden, weil man das Staatswohl nicht gefährden wolle, sagte von der Behrens.

Forderung nach Aufklärung soll nicht verstummen
Am Ende ihres Plädoyers äußerte die Rechtsanwältin die Hoffnung, dass die Forderung nach Aufklärung mit dem Ende dieses Verfahrens nicht verstummen werde.
Beim Oktoberfestattentat hätte immerhin der Wiederaufnahmeantrag nach 34 Jahren Erfolg gehabt.




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Nebenklage erhebt schwere Vorwürfe gegen Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft !

Im NSU-Prozess sind am Dienstag vor dem Oberlandesbericht in München die Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt worden.
Dabei hat Opferanwältin Antonia von der Behrens die Ermittlungsbehörden erneut heftig kritisiert.

Es sind schwere Anschuldigungen, die Nebenklage-Anwältin Antonia von der Behrens gegen Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft erhebt: Diese hätten die Aufklärung des NSU-Komplexes und damit auch den Münchner NSU-Prozess bewusst behindert, hätten Erkenntnisse zurückgehalten und ihre schützende Hand über Neonazis gehalten.
Der Verfassungsschutz habe auf diese Art das Verfahren am Münchner Oberlandesgericht massiv beeinflusst, "indem er Informationen zurückgehalten hat, vernichtet hat und über seine zeugen auch gesteuert hat, was Gegenstand der Ermittlungen und in der Hauptverhandlung wird."

Auffällig verwirrte Geheimdienstmitarbeiter
Dass Geheimdienste und Polizei Hunderte von Akten mit NSU-Bezug vernichtet haben, ist längst erwiesen.
Auch die zahlreichen V-Leute, die im Münchner Verfahren als Zeugen vorgeladen waren, haben zur Aufklärung der Affäre wenig bis nichts beigetragen.
Das gelte auch für Verfassungsschutzbeamte, kritisiert Opferanwältin von der Behrens.
So habe etwa ein einstiger hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter aus Thüringen sich vor Gericht derart verwirrt gegeben, dass eine sinnvolle Befragung gar nicht möglich gewesen sei.
Und auch die Bundesanwaltschaft habe wenig dafür getan, Licht ins Dunkel der NSU-Affäre zu bringen, so von der Behrens: "Das dient nach unserer Auffassung ganz klar dazu, den Verfassungsschutz zu schützen, aber auch insgesamt das Ausmaß rechtsextremer Strukturen in Deutschland nicht sichtbar werden zu lassen."

Mörderische Ideologie
Der NSU sei eben kein abgeschottetes Trio gewesen, sondern habe ein breites Unterstützerumfeld gehabt und in einem noch breiteren ideologischen Umfeld agiert, ergänzte Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann.
Dies habe von lokalen Kameradschaften über das Musiknetzwerk Blood and Honour bis hin zu NPD-Funktionären gereicht.
"Alle politischen Gruppen, die über einen Zeitraum von 15 Jahren die heute bekannten Mitglieder des NSU umgeben haben, teilten im Kern an einem Punkt die gleiche Ideologie", so Hoffmann.
"Nämlich die Behauptung, in Deutschland befände man sich in einer Art Notwehrsituation und um das deutsche Volk zu retten wäre im Grunde alles - auch Gewalt - erlaubt.
Da sehen wir: Das ist tatsächlich eine mörderische Ideologie."

Nachbar "SS-Siggi"
Insbesondere am Tatort Dortmund gebe es klare Hinweise auf örtliche Unterstützer, betont Antonia von der Behrens, die den Sohn des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık vertritt: "Dortmund ist nach Nürnberg und München die Stadt mit den meisten Ausspähnotizen zu potentiellen Tatorten.
Dann ist auffällig, dass der Tatort, der Kiosk von Mehmet Kubaşık in der Nordstadt liegt, einer Hochburg der Neonazis."

Und in der selben Straße wohnte Siegfried - "SS-Siggi" - Borchardt, der eine Zentralfigur der militanten Kameradschaftsszene in Dortmund ist.
Übrigens ist erst vor wenigen Tagen bekannt geworden, dass Borchardt Informant des Verfassungsschutzes gewesen sein soll.
Unabhängig davon ist sich Opferanwältin Antonia von der Behrens sicher: Die diversen Geheimdienste hatten derart viele Spitzel im Umfeld des NSU, dass sie mehr über die untergetauchten Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gewusst haben müssen, als sie bis heute zugeben wollen.
Um dieses Wissen zu vertuschen, seien später systematisch Akten vernichtet worden.

Vieles bleibt im Dunkeln
Leider hätten auch die Richter des Münchner Oberlandesgerichts nicht alles getan, um die Hintergründe des NSU aufzuklären: "Sie haben die These vom abgeschotteten Trio nicht wirklich in Frage gestellt und sie haben die grundsätzlichen Fragen unserer Mandanten - wie wurden die Tatorte ausgewählt, warum wurde Mehmet Kubaşık als Opfer ausgewählt, wie groß war das staatliche Mitverschulden - als nicht tat- und schuldrelevant bezeichnet und sind dem nicht nachgekommen."
Die Bilanz der Nebenkläger fällt deshalb bitter aus: Vieles in der NSU-Affäre liege bis heute im Dunkeln, und werde wohl nie aufgeklärt werden können.


 
395. Verhandlungstag: Fall Yozgat - Der rätselhafteste NSU-Mord !

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht in München hat die Nebenklage heute ihre Plädoyers fortgesetzt.
Der heutige Prozesstag steht ganz im Zeichen des letzten und dubiosesten Falls der sogenannten Ceska-Serie: Dem Mord an dem damals 21-Jährigen Halit Yozgat in Kassel.

Dass der Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 in einem Kasseler Internet-Café von den Terroristen des NSU begangen worden ist, daran hat Doris Dierbach keinen Zweifel.
Doch die genauen Umstände der Tat seien nicht geklärt, betont die Anwältin, die die Familie des Ermordeten vertritt.
Der NSU müsse Helfer vor Ort gehabt haben, doch der Verfassungsschutz habe jede umfassende Aufklärung verhindert, um eine mutmaßliche Verstrickung der eigenen Mitarbeiter und Spitzel zu verschleiern.
Und das Münchner Oberlandesgericht habe – „Hand in Hand mit der Bundesanwaltschaft“ – den Verfassungsschutz gezielt geschützt, so Dierbach.

Ein Geheimdienstbeamter am Tatort
Der Mord an dem 21-Jährigen Halit Yozgat war der letzte und dubioseste der sogenannten Ceska-Mordserie.
Denn zur Tatzeit war der Beamte Andreas Temme des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz am Tatort. Temme bestreitet, irgendetwas mitbekommen zu haben, was nicht nur die Familie des Ermordeten für völlig unglaubwürdig hält.

"Hausmütterchen mit Hang zum Sekt"
Hart ins Gericht ging Opferanwältin Dierbach in ihrem Plädoyer auch mit den Angeklagten, allen voran Beate Zschäpe.
Diese habe sich im Prozess als „Hausmütterchen mit Hang zum Sekt“ dargestellt.
Tatsächlich grenze sie sich bis heute nicht von der Naziszene ab und hänge nach wie vor einer mörderischen Ideologie an.
Ebenso wie ihr Mitangeklagter André E., der, als er noch nicht in Untersuchungshaft war, bei Pegida-Demonstrationen mitgelaufen und in der Hauptverhandlung mit Neonazi-Insignien aufgetreten sei.

"Vor was fürchtet sich Wohlleben?"
Auch der mutmaßliche Waffenlieferant des NSU Ralf Wohlleben habe sich von der Neonaziideologie nicht distanziert, versuche sich als „anständigen Deutschen“ darzustellen, der sich um die Existenz des deutschen Volkes sorge.
„Vor was fürchtet sich denn Ralf Wohlleben?“, so Dierbach.
„Dass es irgendwann keine Menschen mehr gibt wie ihn, Menschen mit einer faschistischen Geisteshaltung?
Das wäre so wenig bedauerlich, wie es erstaunlich wäre.“

"Der Staatsschutzsenat schützt den Staat"
Wie Doris Dierbach glaubt auch ihr Anwaltskollege Alexander Kienzle an die historische Bedeutung des NSU-Prozesses.
Allerdings sei das Oberlandesgericht dieser nicht gerecht geworden.
Anhaltspunkte für staatliche Mitverantwortung seien auch im Gerichtssaal verschleiert worden.
„Der Staatsschutzsenat schützt den Staat.“
Die Familie Yozgat habe wissen wollen, welche Rolle die staatlichen Behörden bei der Ermordung von Halit Yozgat gespielt hätten.
Doch diese Frage sei unbeantwortet geblieben.
Dass mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe die Täter ermittelt worden seien und Zschäpe auch zur Verantwortung gezogen werde, könne die Enttäuschung der Familie nicht wettmachen.


 
396. Verhandlungstag: Das etwas andere Plädoyer !

Im NSU-Prozess gingen die Plädoyers der Nebenkläger heute weiter.
Das Beate Zschäpe und die anderen Mitangeklagten schwere Schuld auf sich geladen haben und mit Ausnahme von Carsten S. hart bestraft werden müssen, das war bislang der Minimalkonsens.
Die Hamburger Rechtsanwältin Angela Wierig sieht ein paar Dinge anders.

Angela Wierig brachte heute so manchen Prozessbeobachter zum Staunen.
Wierig vertritt Ayse Tasköprü, die im Prozess als Nebenklägerin auftritt.
Ayse Tasköprü ist eine Schwester des von den NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordeten Hamburger Gemüsehändlers Süleyman Tasköprü.

Im Umgang mit Rechtsaußen fehle es an Sachlichkeit, sagt Wierig.
Das sei aber in einem Strafverfahren wie dem NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München nicht hinnehmbar.
Das Dritte Reich sei seit fast drei Generationen Geschichte.
Aber der Vorwurf, der Deutsche trage den Nationalsozialismus gleichsam einer Erbsünde ab Geburt in sich, sei lebendig, behauptet die Anwältin.

Zweifel an Wohllebens Schuld
Für den wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Ralf Wohlleben bricht Wierig heute eine Lanze: Es gebe keinen einzigen Hinweis darauf, dass Ralf Wohlleben jemals Bereitschaft zu Gewalt gezeigt habe, sagt die Nebenklagevertreterin.
Wohlleben, so meint die Anwältin, sitze nur wegen eines einzigen Punktes auf der Anklagebank - weil nämlich der ebenfalls mitangeklagte Carsten S. die NSU-Mordwaffe vom Typ Ceska wiedererkannt haben will.
Carsten S. habe die Pistole aber nur unsicher identifizieren können.

Das Grauen und Barschel
Migranten seien keiner höheren Gefahr ausgesetzt als jeder andere Mensch in Deutschland, meint Angela Wierig.
Von 2000 bis 2015 seien laut Kriminalstatistik 6.227 Menschen ermordet worden.
Das Grauen sei immer und ständig anwesend
Das Ermittler Fehler machen findet Wierig normal.
Den von vielen Nebenklägern verwendeten Begriff des "institutionellen Rassismus" lehnt sie ab.
Dann verweist die Rechtsanwältin auf die Schleyer-Entführung und Fall Barschel.
Da habe es trotz Ermittlungspannen niemals den Hinweis auf institutionellen Rassismus gegeben.


 
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