Der NSU Prozess !

397. Verhandlungstag: Der Polizistenmord von Heilbronn und die Zweifel der Nebenklage !

Dass der NSU im April 2007 den Polizistenmord in Heilbronn verübte, daran hat auch die Nebenklage keinen Zweifel.
Allerdings machten die Anwälte der Opfer und Hinterbliebenen heute klar, dass sie viele Fragen noch für ungeklärt halten.
Zuvor hatte ein Opferanwalt detailliert geschildert, warum der Angeklagte Ralf Wohlleben vermutlich eine zentrale Rolle für die Terrorgruppe spielte.

Es war eine Tat, die aus der Reihe fällt: Der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und der versuchte Mord an ihrem Kollegen Martin A. am 25. April 2007 in Heilbronn.
Die beiden Beamten machten gerade ihre Mittagspause auf der Theresienwiese, als sich von hinten die Täter dem Einsatzfahrzeug näherten und unvermittelt schossen.

Was war das Motiv für den Polizistenmord?
Es ist die einzige Mordtat, die dem NSU zugeschrieben wird und zu der er sich auch in einem Video bekannt hat, die sich nicht gegen Migranten richtete – anders als die drei Bombenattentate und neun Morde zuvor.
Bei einem Anschlag gegen deutsche Polizisten kommt Rassismus als Motiv kaum infrage.
Aber was dann?

Hass auf den Staat und seine Vertreter, vermutet die Bundesanwaltschaft.
Doch Rechtsanwalt Walter Martinek, der den damals schwerverletzten Polizisten Martin A. im NSU-Prozess vertritt, hat da seine Zweifel.


Brauchte der NSU wirklich neue Waffen?
Auch die Vermutung der Bundesanwaltschaft, dass die Neonazi-Terroristen zuschlugen, um sich neue Waffen zu besorgen, ist für Anwalt Martinek nicht schlüssig:


Was Opferanwalt Martinek zudem stutzig macht: Zahlreiche Hinweise und Zeugenaussagen zum Heilbronner Polizistenmord seien die Ermittlungsbehörden nicht nachgegangen – insbesondere solchen, die darauf hindeuten, dass es mehr als zwei Täter vor Ort gegeben haben muss.

Zweifel an der Trio-These
Auch der Ex-Polizist und einstige CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger, der bis vor einem halben Jahr den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages leitete, kann sich schwer vorstellen, dass der NSU in Heilbronn – und auch anderswo – nur zu zweit zuschlug:


Nebenklage-Anwalt Walter Martinek glaubt jedoch nicht, dass im Fall Heilbronn die Polizei schlecht gearbeitet hat, er vermutet, dass Geheimdienste Einfluss genommen haben auf die Ermittlungen: "Es ist eher ein Problem auf der Ebene der Dienste oder weit oben, als ein Problem bei den Ermittlungsbehörden", so Martinek.
"Die haben ermittelt bis zum Umfallen.
Es ist ja alles ermittelt worden – ohne irgendein Ergebnis."
Leider, so der Opferanwalt, hat auch der Prozess keine weitergehende Aufklärung im Heilbronner Polizistenmord erbracht, das sei aber wohl auch nicht Aufgabe des Prozesses.

Der Prozess: Eine große Leistung des Rechtsstaates
Für Martineks Kollegen Stefan Gärtner, der die Mutter der ermordeten Polizistin vertritt, ist der NSU-Prozess dennoch eine große Leistung des Rechtsstaates.
In seinem Plädoyer nahm Gärtner die Hauptangeklagte besonders ins Visier: Beate Zschäpe sei eine eiskalt berechnende, selbstbezogene und selbstsüchtige Person.
Dass sie von den Morden immer erst im Nachhinein erfahren haben will, sei völlig unglaubhaft.

Der Prozess habe alle Gerüchte widerlegt, die Tat könnte irgendetwas damit zu tun haben, dass Michèle Kiesewetter wie das NSU-Kerntrio aus Thüringern stammte.
Im Gegensatz zur Terroristin Zschäpe sei die Beamtin Kiesewetter dabei gewesen, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Gärtner wörtlich: "Michèle Kiesewettter ist die wahre Botschafterin Thüringens – nicht Sie, Frau Zschäpe."

Die Rolle Ralf Wohllebens
Am Vormittag stand Zschäpes alter Bekannter aus Jena, der Mitangeklagte Ralf Wohlleben, im Zentrum des Interesses.
Er sei die zentrale Gestalt der NSU-Unterstützer-Szene gewesen, führte Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann aus: Er sei beteiligt gewesen an Angriffen auf politische Gegner in Jena, er habe sich mit den Zielen des NSU identifiziert, habe auch selbst überlegt, in den Untergrund zu gehen und habe mindestens eine Waffe für die Untergetauchten besorgt; die berüchtigte Ceska, mit der neun Migranten ermordet wurden.

Den ideologischen Boden bereitet
"Auch wenn Wohlleben nicht nachgewiesen werden kann, dass er sich selbst die Hände schmutzig gemacht hat, so hat er doch ideologisch alles getan, damit seine Kameraden mit reinem Gewissen ihre Verbrechen begehen konnten", so Rechtsanwalt Hoffmann.
Zuvor hatte der Opferanwalt ausführlich die Ideologie des NSU und seiner Unterstützer herausgearbeitet: Vorbild seien amerikanische und britische Terrorgruppen und Netzwerke gewesen, deren Konzepte sowohl in der thüringischen Neonaziszene diskutiert wurden, wo Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe herstammten, als auch in Sachsen, wo die drei Anfang 1998 untertauchten: Konzepte wie der führerlose Widerstand oder das Entfachen eines Rassenkrieges.

Zwar habe Ralf Wohlleben vor Gericht versucht, sich als Opfer darzustellen, das Gewalt stets abgelehnt habe – das aber sei reine Heuchelei.
Tatsächlich teile er die Ideologie des NSU bis heute.


 
398. Verhandlungstag: Nebenkläger kritisiert Nebenkläger !

Rechtsanwalt Mustafa Kaplan, der im NSU-Prozess eines der Opfer des Nagelbombenanschlages in der Kölner Keupstraße vertritt, übt in seinem Schlussvortrag deutliche Kritik an vielen seiner Kollegen.
Gleichzeitig bescheinigt er dem Gericht eine hervorragende Verhandlungsführung.

Was hat der NSU-Prozess geleistet und was nicht?
Diese Frage spielt seit vielen Verhandlungstagen in den Plädoyers der Opferanwälte eine zentrale Rolle.
Und die meisten Nebenklage-Vertreter haben ihren Schlussvortrag zu teils heftiger Kritik an Bundesanwaltschaft und dem Gericht genutzt.

Sie bemängelten immer wieder, dass in diesem Prozess zu wenig getan wurde, um das staatliche Versagen von Verfassungsschutz und Ermittlern zu thematisieren.
Auch die These der Bundesanwaltschaft, der NSU habe nur aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe und ganz wenigen Unterstützern bestanden, war in vielen der Plädoyers heftig kritisiert worden.

Ein Nebenklagevertreter nach dem anderen bemängelte, dass viel zu wenig dafür getan worden sei, die rechte Szene in Deutschland aufzuklären und damit weitere Helfer des NSU zur Verantwortung zu ziehen.
Rechtsanwalt Mustafa Kaplan vertrat heute eine gänzlich andere Sicht.

Ein Strafprozess, kein Untersuchungsausschuss!
Natürlich stelle sich die Frage, so Kaplan, ob die Verfassungsschutzbehörden weggeschaut hätten, als der NSU seine Verbrechen beging.
Doch das müsse in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden.
In einem Strafprozess gehe es einzig darum, den Angeklagten ihre persönliche Schuld nachzuweisen.
Dass die Angehörigen der Opfer vor Gericht Aufklärung verlangt hätten, sei völlig in Ordnung.
Sie, so der Rechtsanwalt aus Köln, hätten das Recht, emotional zu reagieren und vieles "schwarzweiss" zu sehen.
Aber Anwälte, so Kaplan in seiner Abrechnung mit der Mehrheit der Nebenklagevertreter, sollten als Organe der Rechtspflege wissen, dass ein Strafverfahren niemals der gesellschaftlichen Aufklärung dienen könne.


Keine Zweifel an der Schuld
Mit den Angeklagten ging der Kölner Anwalt ebenso hart ins Gericht.
Unmissverständlich stellte er fest, dass es keine vernünftige Zweifel an ihrer Schuld gebe.
Und dass sie kein Recht hätten, ihre Taten mit politischen Motiven zu rechtfertigen.


Das gleiche gelte für Banküberfälle und Bombenanschläge.
Immerhin, in diesen Punkten dürften sich alle Anwälte der Nebenklage einig sein.

Das andere Plädoyer des Tages
Zuvor hatte der Berliner Rechtsanwalt Eberhard Reinecke in seinem Plädoyer ganz andere Akzente gesetzt.
Er ließ immer wieder Kritik an Bundesanwaltschaft und Gericht anklingen.
Merkte an, dass zwar viele Unterstützungsstraftaten verjährt seien.
Aber die, die sie begangen und im Prozess als Zeugen dazu ausgesagt hätten, eigentlich wegen Falschaussagen zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Reinecke gab sich erstaunt, dass "leicht überprüfbare Angaben" nicht überprüft wurden.
Ausführlich legte er auch dar, dass er die stets schriftlich erstellten Antworten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auf die Fragen des Gerichts nicht für glaubwürdig halte.
Er kritisierte, dass sie viele hundert Fragen der Nebenkläger überhaupt nicht beantwortet und dafür auch keine nachvollziehbare Begründung geliefert habe.
Reinecke wertete das als "Teilschweigen", das auch Rückschlüsse erlaube.
Zschäpe wolle damit lediglich vermeiden, sich in "weitere Widersprüche" zu verwickeln.

Bald haben die Verteidiger das Wort
Mittlerweile haben die meisten Nebenklaganwälte ihren Schlussvortrag gehalten.
Einige wenige stehen noch aus, kurz nach der Weihnachtspause dürften dann die Verteidiger das Wort haben.
Die letzte große Etappe in diesem Mammutprozess ist damit in Sichtweite.
Das machte auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl deutlich, als er erstmals fragte, ob sich die Verteidiger der insgesamt fünf Angeklagten bereits abgesprochen hätten, in welcher Reihenfolge sie ihre Schlussvorträge halten wollen.




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Nebenklage seziert Zschäpes Aussagen !

Im NSU-Prozess sind heute die Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt worden.
Dabei nahm sich der Kölner Rechtsanwalt Eberhard Reinicke die Hauptangeklagte vor – und zerpflückte beinahe genüsslich ihre schriftliche Aussage vor dem Oberlandesgericht.

Eberhard Reinicke ist jemand, dem es spürbar Vergnügen bereitet, sich ins Aktenstudium zu werfen, Beweismittel noch einmal aufs Genaueste unter die Lupe zu nehmen und dabei auch kleinste Details neu zu beleuchten.
Das hat er in viereinhalb Jahren NSU-Prozess immer wieder gezeigt und diverse Beweisanträge eingebracht.

In seinem Plädoyer hat sich Reinicke nun ausführlich der Hauptangeklagten gewidmet und dabei Beate Zschäpes schriftliche Einlassungen vor dem Oberlandesgericht geradezu seziert.

Zschäpes Einlassungen völlig unglaubwürdig
Nicht nur, dass Reinicke, wie schon anderer Nebenklagevertreter vor ihm, Zschäpe eine Verachtung der Opfer vorhielt, weil sie Fragen der Nebenklage explizit nicht beantworten wollte.
In Zschäpes Ausführungen fände sich zudem nicht eine einzige Passage, die wirklich authentisch sei, so der Opferanwalt.

Zschäpes Verteidigung habe geglaubt, "den Stein der Verteidigungsweisen" gefunden zu haben, indem sie ein "Frage-Antwort-Spiel" initiierte, bei dem die Angeklagte die Fragen des Gerichts jeweils nur schriftlich beantwortete.
"Von einer Nachahmung kann nur dringend abgeraten werden", so Reinicke.
Die eine rein schriftliche Einlassung führe zum Verlust jeglicher Authentizität.
Sie sei völlig unglaubwürdig.

Uwes Bastelecke zum Bombenbauen
Dies versuchte Reinicke dann in fast schon kabarettistischer Manier vorzuführen, am Beispiel von Zschäpes Schilderungen über das zweite Halbjahr 2000, also den Zeitraum, in dem der NSU seinen ersten Mord an dem Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek und seinen zweiten Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse verübte, bei dem eine junge Frau schwerst verletzt wurde.

Zschäpe behauptet, vom Mord erst drei Monate später erfahren und von den Planungen für den Anschlag gar nichts mitbekommen zu haben – sie habe nur am Rande vernommen, dass ihre Gefährten irgendetwas in Köln planten.
Reinicke hält all dies angesichts der Enge in der gemeinsamen Wohnung, in der das Trio damals lebte, für höchst zweifelhaft.
Sei die Bombe etwa in "Uwes Bastelecke" gebaut worden?, fragt er ironisch.
Und müsse man sich das Gespräch am Küchentisch etwa folgendermaßen vorstellen: "Murmelmurmelmurmel Köln murmelmurmelmurmel."

"Nationalsozialistische Litfaßsäule"
In ihrer Erklärung habe Beate Zschäpe versucht, 14 Jahre "umzulügen".
Das gelte auch für ihr Verhältnis zum Mitangeklagten André E. und dessen Ehefrau Susann.
Zschäpe habe systematisch versucht, das Ehepaar zu entlasten.
Zschäpe habe sich auch nicht, wie von ihr selbst behauptet, von der rechten Szene gelöst und innerlich distanziert.
Das zeige gerade ihre fortdauernde Freundschaft zur Familie E., insbesondere zu André E., den Reinicke angesichts dessen einschlägiger Tätowierungen als "lebende nationalsozialistische Litfaßsäule" bezeichnete.

Die Bundesanwaltschaft forderte der Rechtsanwalt auf, die noch laufenden Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Unterstützer des NSU konsequent zu Ende zu bringen und auch gegen die zahlreichen Neonazi-Zeugen vorzugehen, die im Münchner Prozess offensichtlich die Unwahrheit gesagt hätten.
Auch daran werde sich die Anklagebehörde am Ende messen lassen müssen.

"Umfassende Aufklärung ist nicht Aufgabe eines Strafverfahrens"
Am Ende des Verhandlungstages meldete sich dann noch Nebenklage-Vertreter Mustafa Kaplan zu Wort.
Er lobte den Prozess und betonte den Anspruch der NSU-Opfer auf umfassende Aufklärung, grenzte sich aber deutlich gegen andere Nebenklage-Anwälte ab, die zuletzt die Bundesanwaltschaft und auch den Strafsenat heftig kritisiert hatten.
"Es muss aufgeklärt werden, aber nicht in diesem Strafverfahren", so Kaplan.
Das sei vielmehr Aufgabe von Politik und Gesellschaft.

Verteidiger-Plädoyers im nächsten Jahr
Der NSU-Prozess wird nächste Woche fortgesetzt, ob die Plädoyers der Nebenklage allerdings noch vor Weihnachten beendet werden können, ist unklar.
Sicher ist: Die Verteidiger werden ihre Schlussvorträge erst nächstes Jahr halten, in welcher Reihenfolge ist noch nicht entschieden.

Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm haben heute ihren Anspruch angemeldet, nach den neuen Wunschverteidigern der Hauptangeklagten, Mathias Grasel und Hermann Borchert, zu plädieren.
Und sie wollen erreichen, dass der Strafsenat nach den Schlussvorträgen von Grasel und Borchert erst einmal eine längere Pause einlegt, damit sich Sturm, Stahl und Heer auf ihre eigenen Plädoyers ausreichend vorbereiten können.
Denn die Hauptangeklagte wechselt mit dem Verteidiger-Trio bekanntlich schon seit Jahren kein Wort mehr.


 
399. Verhandlungstag: Das Versagen der Polizei !

Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke beschäftigt sich in seinem Schlussvortrag mit schweren Ermittlungsfehlern der Polizei.
Zugleich weist er die Kritik seines Kollegen Mustafa Kaplan zurück.
Der hatte letzten Donnerstag der Mehrheit der Opferanwälte vorgehalten, dass ein Strafprozess kein Untersuchungsausschuss sei.

Die Rechtsanwälte Eberhard Reinecke und Mustafa Kaplan vertreten beide Opfer des Nagelbombenanschlages in der Kölner Keupstraße.
Beide sind von der Schuld der fünf Angeklagten an den Verbrechen des NSU überzeugt.
Und haben trotzdem ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, was in diesen Prozess gehört und was nicht.
Letzten Donnerstag hatte Kaplan der großen Mehrheit der Opferanwälte vorgeworfen, Themen behandelt zu haben, die nichts in einem Strafprozess zu suchen hätten.
Ob Polizei und Verfassungsschutz versagt hätten, könne und dürfe nicht in einem Strafprozess geklärt werden.
In dem gehe es, so Kaplan, ausschließlich um die persönliche Schuld der Angeklagten.
Alle anderen Fragen müssten in einem Untersuchungsausschuss erörtert werden.
Er habe zwar Verständnis, dass die Angehörigen der Opfer diese Fragen gestellt hätten.
Er erwarte aber von seinen Kollegen, dass die ihren Mandanten den Unterschied zwischen einem Strafprozess und einem Untersuchungsausschuss erklären könnten.

Reinecke weist Kritik zurück
Diese scharf formulierte Kritik weist Rechtsanwalt Reinecke heute in ebenso scharfer Form zurück.
Er betont, dass er als Vertreter der Nebenklage von Hause aus verpflichtet sei, die Interessen seines Mandanten zu vertreten.
Er erlebe immer wieder, dass Anwälte ihre Rolle missbrauchten, um das Verfahren nach Gusto zu führen.
"Ich darf aber meine Mandanten nicht in intellektueller Überheblichkeit belehren."
Und als ob damit die Replik nicht schon beißend genug wäre, setzt Reinecke noch eins drauf.
Im Gegensatz zu Kaplan würden die meisten Nebenklageanwälte den Unterschied zwischen einem Strafprozess und einen Untersuchungsausschuss sehr wohl kennen, da viele von ihnen im Gegensatz zu Kaplan auch in diesen Gremien mitgewirkt hätten.

Die Fehler der Polizei
Dann wendet sich Reinecke Dingen zu, die wohl aus Sicht von Kaplan für die Beurteilung der persönlichen Schuld der Angeklagten weitgehend bedeutungslos sind.
Er beschäftigt sich ausführlich mit Fehlern staatlicher Ermittlungsbehörden.
Das Argument der Bundesanwälte, wonach die Verwendung der Tatwaffe mit Schalldämpfer lange Zeit zu Recht als Hinweis auf die organisierte Kriminalität verstanden worden sei, hält er für leicht widerlegbar.
Ein Profikiller möchte unentdeckt bleiben, er würde deshalb niemals bei neun Morden die gleiche Waffe verwenden.
Die Opfer aus der Keupstraße hätten sehr schnell eine Ahnung gehabt, dass Ausländerfeindlichkeit das Motiv für den Anschlag gewesen sei.
Doch ihre Hinweise hätten die Ermittler grundlos ignoriert.
Genauso wie die Aussage einer Zeugin, die angab, auf den Bildern der Überwachungskamera die gleichen Fahrradfahrer gesehen zu haben wie bei der Ermordung von Ismail Yasar in Nürnberg.
Obwohl die Zeugin ausdrücklich erklärte, die beiden Männer hätten hellhäutige Gesichter gehabt, seien ihr nur Lichtbilder von südländisch aussehenden Vergleichspersonen vorgelegt worden.
Das interpretiert Reinecke als Ausdruck des "institutionellen Rassismus", der jahrelang die Polizeiarbeit im Zusammenhang mit den Verbrechen des NSU bundesweit beherrscht habe.

Appell an das Gericht
Der Hauptangeklagten Beate Zschäpe wirft Reinecke vor, unbelehrbar zu sein und sich bis heute nicht von den Verbrechen distanziert zu haben.
Im Prozess hat sie seiner Überzeugung nach ihr Wissen über die Morde nicht preisgegeben.
Der Opferanwalt appelliert deshalb an das Gericht, nicht nur eine lebenslange Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zu verhängen.
Es solle auch in das Urteil hineinschreiben, eine Entlassung aus der Haft komme irgendwann nur dann in Frage, wenn Zschäpe ihre Wissen mitteile und damit zeige, dass sie sich mit den Verbrechen auseinander gesetzt habe.


 
400. Verhandlungstag: Der Mann, der Zschäpe aus der Regungslosigkeit erweckte !

Nebenkläger Hardy Langer nannte Beate Zschäpe am 400. Verhandlungstag eine starke Frau und appellierte an die Hauptangeklagte, endlich ihr Wissen preiszugeben.
Er erreichte zumindest, dass Zschäpe aus ihrer Regungslosigkeit erwachte.

Rechtsanwalt Hardy Langer ist keiner der Opfer-Anwälte, die das Scheinwerferlicht suchen.
Und doch ist er einer der wichtigsten Vertreter der Nebenklage.
Beharrlich und akribisch ging er während der vierjährigen Beweisaufnahme seine ganz eigenen Wege.
Er besuchte einzelne Tatorte und machte sich sein eigenes Bild; setzte sich in Zeitungsarchive und lieferte dem Gericht schließlich Zeugen und Beweise, die eigentlich das BKA längst hätte ermitteln müssen.
Dafür zollen ihm viele im NSU-Prozess Respekt.

Langer ist auch keiner, der verbal auf den Putz haut.
Er neige nicht dazu, der Polizei pauschal Rassismus zu unterstellen, sagt er in seinem Plädoyer.
Der Rechtsanwalt vertritt im NSU-Prozess zwei Schwestern von Mehmet Turgut, der im Jahr 2004 in Rostock erschossen wurde.
Der junge Mann war das fünfte Opfer der rassistischen Ceska-Mordserie an Geschäftsleuten mit türkischen und griechischen Wurzeln.

Kein Rassismus, aber Fehler bei Ermittlungen
Die Arbeit der Rostocker Polizei sei von Aufklärungswillen gekennzeichnet gewesen, sagt Langer, nicht ohne auf die Fehler bei den Ermittlungen hinzuweisen.
Turgut hatte am 25. Februar 2004 nur kurz an dem Döner-Imbiss in Rostock ausgeholfen.
Er war ein reines Zufallsopfer.
Daraus hätten die Ermittler ablesen können, dass es den Tätern in einer Mordserie an türkischstämmigen Geschäftsleuten nicht so sehr auf die einzelne Person ankam.
"Zu einem fremdenfeindlichen Motiv wäre es kein weiter Weg gewesen", so Langer in seinem Schlusswort.

Über mehrere Stunden geht sein Vortrag, in dem er die Besonderheiten des Rostocker Falls herausarbeitet.
Es war der einzige Mord, den der NSU in einer ostdeutschen Stadt verübte - noch dazu in einer Stadt mit sehr geringem Ausländeranteil und nur 234 türkischen Staatsangehörigen.
Einer davon war der Betreiber des Imbiss-Standes, in dem Mehmet Turgut erschossen wurde.
Langer vermutet, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe den Döner-Imbiss kannten.
1994 waren sie in der Nähe zu einer Silvesterparty eingeladen und eine Cousine von Uwe Böhnhardt wohnte um die Ecke.

Emotionaler Apell an Zschäpe
Beate Zschäpe könnte vermutlich die Hintergründe der Tat aufklären.
Hardy Langer richtete deshalb einen sehr emotionalen Apell an die Hautangeklagte.
Sprach von ihr als einer starken Person.

Hier einige Auszüge:


Langer gelang es, Zschäpe zumindest für kurze Zeit aus ihrer Regungslosigkeit zu wecken.
Sie schien aufmerksam zuzuhören und sprach anschließend ausführlich mit ihrem Anwalt Matthias Grasel.

Auch Holger G. entlockte Langers Plädoyer eine erkennbare Reaktion.
Der mutmaßliche NSU-Unterstützer sitzt normalerweise tief über ein E-Book gebeugt und widmet den Ausführungen der Nebenklage wenig Aufmerksamkeit.
Doch als Langer ihn der Beihilfe zum Mord an Mehmet Turgut bezichtigt, setzt er sich auf, verschränkt die Arme und hört aufmerksam zu.
Holger G. soll Uwe Böhnhardt seinen Führerschein überlassen haben.
Mit diesem Führerschein, der drei Wochen vor dem Mord an Mehmet Turgut ausgestellt worden war, mietete der NSU das Wohnmobil an, mit dem die Täter nach Rostock fuhren.
"Für Mehmet Turgut war der Führerschein genauso tödlich wie die Ceska", so Hardy Langer.


 
401. Verhandlungstag: Bewegende Worte einer Opfer-Angehörigen !

In einem der längsten Strafprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik bereiten sich die Verfahrensbeteiligten auf das Ende des NSU-Verfahrens vor.
Derzeit sind die Vertreter der Opferangehörigen mit ihren Plädoyers an der Reihe.
Besonders bewegend waren die Worte einer jungen Frau, die heute gar nicht im Gericht war.

Fünf Nebenklage-Anwälte hielten heute ihre Plädoyers.
Und ihre Kritik klang oft unisono: Warum wurden die Opfer bei den Ermittlungen der Polizei so oft zu Tätern gemacht?
Warum war die Aufklärung so lückenhaft, dass die Verwicklung von staatlichen Stellen nicht geklärt wurde?
Warum wurden Helfer des NSU-Trios vor Ort nicht ermittelt?

Anwalt Tikbas vertritt die Tochter des zweiten Nürnberger NSU-Mordopfers Abdurrahim Özüdogru.
Tülin Özüdogru ist heute nicht im Gerichtssaal, ihr Anwalt verliest deshalb eine von ihr verfasste Erklärung, die sich vor allem an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe richtet, aber auch an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich ihrer Strafe durch Selbstmord entzogen haben.

"Sie haben es nicht geschafft, mich aus diesem Land zu ekeln"
Tülin Özüdogru ist eine starke Frau, die zwar Verachtung, Wut und Ekel für die Täter empfindet, aber keinen Hass.
Özüdogru spricht in ihrer Erklärung Zschäpe direkt an: "Das Ziel, die Gesellschaft auseinander zu dividieren, das haben Sie allerdings deutlich verfehlt.
Und Sie haben es auch nicht geschafft, Menschen wie mich aus diesem Land heraus zu ekeln.
Im Gegenteil: Jetzt sind wir alle, sowohl Deutsche als auch ausländische Mitbürger, die in diesem Land ihre Lebenszeit verbringen, sensibilisierter denn je."

Ein Schatten sei auf Deutschland gefallen, schreibt sie weiter und meint damit die Fehler bei der Aufklärung der NSU-Morde.
Özüdogru appelliert an die Verantwortung aller zuständigen Behörden und Institutionen: "Ich meine, dass das Gewissen ein guter Wegweiser ist.
Wir haben gut genug und deutlich mitbekommen, was Verdrängung und Verharmlosung der Tatsachen für Folgen hat.
Früher oder später fliegt alles auf und am Ende schadet es den ganzen Institutionen und Behörden und ganz Deutschland, denn Sie verlieren das Vertrauen der Menschen in Deutschland.
Und Vertrauen ist das, was einem Land Stabilität verleiht."
Ein starkes Plädoyer für das Miteinander dieser Gesellschaft, ein bewegender Moment in diesem an Nüchternheit so reichen Verfahren.


 
402. Verhandlungstag: Ein Opferangehöriger, der nicht zu Wort kommt !

Heute kommt es nach wochenlangen Verzögerungen zum Plädoyer der Nebenklage im Mordfall Simsek.
Enver Simsek war das erste Opfer des NSU.
Sein Sohn will heute ein Schlusswort sprechen - ohne Erfolg.

Der Verhandlungstag beginnt mit dem Hinweis des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, der Angeklagte Ralf Wohlleben leide an Rückenschmerzen und nehme Schmerzmittel.
Wohlleben nickt bestätigend.

Ein Plädoyer so nüchtern wie emotional
Rechtsanwältin Basay vertritt die Familie Simsek. In ihrem Schlusswort beschreibt sie so nüchtern wie möglich, aus welchen Verhältnissen Enver Simsek stammt.
Geboren in der Türkei, verheiratet, seit 1985 mit Frau und zwei Kindern in Deutschland lebend.
Ein fleißiger Gewerbetreibender, erst Fleisch und Gemüse, dann Blumen, die er in Holland einkauft und in Bayern weiterverkauft.

Kaum auszuhalten sind die Schilderungen jenes 9. September 2000, an dem Simsek von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ermordet wird.
Simsek wird 38 Jahre alt.
In seinem Blumenlaster im Südosten von Nürnberg strecken ihn die NSU-Terroristen mit acht gezielten Schüssen nieder, und schaffen es doch nicht, ihn zu töten.
Sie fotografieren das schwer verletzt am Boden liegende Opfer für ihr "Paulchen Panther"-Bekennervideo.
Zynische Bildunterschrift: "Original".
Über zwei Stunden liegt Simsek unentdeckt in seinem Fahrzeug, bevor erste Hilfe kommt.
Er stirbt zwei Tage später im Krankenhaus.

Demütigungen
Unterbrechung mitten im Plädoyer: Kurz vor einer sowieso geplanten Pause meldet sich der Verteidiger des Angeklagten André E.
Sein Mandant habe ein dringendes Bedürfnis.
Götzl lässt gewähren.
Nach ein paar Minuten kommt E. von der Toilette zurück, genüsslich lächelnd.
Eine kalkulierte Demütigung der Opferangehörigen.

Die Ermittler sehen in Enver Simsek einen Kriminellen
Das Plädoyer geht weiter.
Basay hat die kaltblütige Ausführung der Tat beschrieben.
Unfassbar ist auch, was nach den Schüssen passiert.
Die Polizei informiert Simseks Frau Adele, empfiehlt ihr aber, ein Besuch ihres Mannes im Krankenhaus sei "nicht nötig".
Weil beim Mordopfer hohe Geldbeträge gefunden worden sind, geht die Polizei sofort von einem Milieumord aus: Simsek sei sicherlich ein Drogenkurier gewesen, der Stoff von Holland nach Deutschland transportiert habe.
Später vermutet die Polizei, Simsek habe eine Geliebte gehabt, seine Frau habe ihn aus Eifersucht töten lassen.
Die Opferangehörigen werden wie Tatverdächtige behandelt

Polizei und Staatsanwalt sind sich sicher: Opfer und Täter müssen in Verbindung gestanden haben.
Deshalb werden Adele Simseks Telefone abgehört, ihr Auto verwanzt.
Mindestens zehn Monate dauert die vom Amtsgericht genehmigte Abhörmaßnahme.
Erkenntnisse bringt sie nicht.
Zentralen Hinweisen ging die Polizei nicht nach

Dass der Mord rassistische Motive hat, darauf kommen die Ermittler nicht.
Ein Schussgutachten wird erst mit 18-monatiger Verspätung erstellt.
Daraus hätte man leicht feststellen können, dass weitere Morde mit derselben Ceska-Waffe begangen wurden.

Zentralen Hinweisen sei die Polizei nicht nachgegangen, kritisiert Anwältin Basay.
Zum Beispiel den Aussagen von Zeugen, die am Tatort zwei deutsch aussehende junge Männer mit Radlerhosen gesehen hatten.
Auf die (zusammen mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe) im Untergrund lebenden Mundlos und Böhnhardt hätte diese Beschreibung gepasst.

Wieder kein Schlussstrich, immer noch keine Entschuldigung
Noch heute wartet Familie Simsek auf eine Entschuldigung der Nürnberger Polizei.
Adeles Sohn Abdulkerim Simsek ist auch im Gerichtssaal.
Er will ein eigenes Schlusswort sprechen.
Aber dazu kommt es heute nicht, weil Wohllebens Rückenschmerzen offenbar stärker geworden sind.
Am Mittag unterbricht Richter Götzl deswegen die Verhandlung.
Simseks Sohn hätte gerne heute einen Schlussstrich gezogen.
Aber vielleicht klappt das morgen, falls Angeklagte nicht wieder Rückenschmerzen oder ein dringendes Bedürfnis haben.




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Schwere Vorwürfe gegen Nürnberger Polizei

Nebenklageanwältin Seda Basay erhebt massive Vorwürfe gegen die Ermittler im Fall Enver Simsek.
Es habe schwere Ermittlungsfehler gegeben - in den Augen der Polizei musste das Opfer selbst schuld sein an seinem Tod.

Es ist still im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichtes als Rechtsanwältin Seda Basay mit ruhiger und eindringlicher Stimme schildert, wie am 9. September 2000 neun Schüsse auf den Blumenhändler Enver Simsek abgeben werden.
Fünf Schüsse treffen ihn in den Kopf.
Der damals 38 jährige stirbt nicht sofort.
Die beiden Täter fotografieren ihr Opfer und lassen den Schwerverletzten in seinem Lieferwagen liegen.
Simsek stirbt erst zwei Tage später an seinen Verletzungen.

Das Foto des Opfers
Ob er mitbekommen hat, dass die Täter ein Foto von ihm gemacht haben, fragt Seda Basay, die die Familie des ersten Mordopfers der Rechtsterroristen als Nebenklägerin im NSU-Prozess vertritt.
Das Foto des Sterbenden findet sich elf Jahre später in dem zynischen Bekennervideo des NSU.

Heute geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Simsek erschossen und Beate Zschäpe die Taten mittrug.
Enver Simsek war das erste Opfer der rassistischen Ceska-Mordserie des NSU. Obwohl acht weitere türkisch- bzw. griechisch-stämmige Geschäftsleute nach ihm mit derselben Waffe erschossen wurden, ermittelte die Polizei nie in Richtung eines rassistischen Motivs, sagt Basay.

Hartnäckig an den Tätern vorbei ermittelt
Mal soll Enver Simsek eine Geliebte gehabt haben, dann suchten die Ermittler Verbindungen zum Drogenmilieu oder glaubten an eine Schutzgelderpressung.
Nur auf Rassismus als Motiv für den Mord kamen die Ermittler nicht - und das über ein Jahrzehnt lang.

Enver Simseks Sohn Abdulkerim sagte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, als es weitere Opfer gab, sei der Familie klar gewesen, dass die rechte Szene dahinterstecke:


Laut Simsek war es eine Erleichterung, als rauskam, dass der NSU hinter dem Mord an seinen Vater steckte.


Das Leid der Ehefrau
Als Nebenklage-Anwältin Seda Basay die Ermittlungsfehler nach dem Mord an dem Blumenhändler in Nürnberg aufzählte, sprach sie vom Verdacht gegen ein unbeteiligtes farbiges Paar - deren Auto in den Akten als "Negerfahrzeug" bezeichnet wurde.

Sie sprach auch von der ersten Vernehmung von Enver Simseks Frau, während ihr Ehemann im Krankenhaus im Sterben lag.
Von unangemessenen Fragen, falschen Verdächtigungen, die die ganze Familie belasteten - ohne konkrete Anhaltspunkte.
Das Problem sei nicht gewesen, dass die Polizei im Umfeld der Familie ermittelt habe, sagte Basay.
Sondern, dass sie einfach nicht damit aufgehört habe.
Und: Dass die Ermittler sich nie bei der Familie entschuldigt hätten.

Plädoyer unterbrochen
Wegen starker Rückenschmerzen des Angeklagten Ralf Wohlleben musste der Prozess dann unterbrochen werden.
Das heißt, Seda Basay soll morgen ihr Plädoyer weiterführen.
Auch der Sohn des Ermordeten will sprechen - und danach dürften die Plädoyers der Nebenkläger langsam zum Ende kommen.
Trotz der heutigen Verzögerung.

Morgen will auch auch Abdulkerim Simsek das Wort ergreifen.
Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte er:



 
403. Verhandlungstag: Wie eine Opferfamilie den Boden unter den Füßen verlor !

Abdulkerim Şimşek schildert die Folgen der Ermordung seines Vaters.
Die Anwältin der Familie liefert in ihrem Plädoyer Hinweise auf lokale Unterstützer in Nürnberg - und fordert weitere Ermittlungen.

Eigentlich muss Abdulkerim Şimşek nicht viel sagen, um zu beschreiben, wie es ihm geht.
Man muss nur sein Gesicht sehen, wie er im schwarzen Anzug neben der Anwältin der Familie sitzt; die Stirn in tiefen Falten, die Augenbrauen zusammengezogen - der Schmerz steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Şimşek schildert in seinem Schlusswort, wie er als 13-jähriger Schüler in ein Nürnberger Krankenhaus gerufen wurde, wie er dort auf seine weinende Mutter traf und schließlich auf den im Sterben liegenden Vater.
Acht Schüsse hatten den 38-jährigen am 9.9.2000 an seinem Blumenstand in Nürnberg getroffen.
Sein Sohn erinnert sich, wie er auf der Intensivstation in das Gesicht des Vaters blickte und drei blutende Löcher zählte und weitere in seiner Brust.
Der Vater starb zwei Tage nach der Tat an seinen Verletzungen.

Falsche Verdächtigungen
Abdulkerim schildert, wie nach der Ermordung die Familie den Boden unter den Füßen verlor.
Seine Mutter erkrankte an einer Depression, das Geld war knapp, die falschen Verdächtigungen der Polizei bedeuteten für die Familie die gesellschaftliche Isolation.
So war er schließlich erleichtert, als sich 2011 endlich herausstellte, dass Neonazis seinen Vater ermordet hatten und damit wenigstens dessen Unschuld bewiesen war.
Es falle ihm bis heute schwer, seine Gefühle zu zeigen.

Bewegendes Schlusswort
Man muss nur die Stimme von Abdulkerim Simsek hören, um einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, wie ihn das Geschehen von damals bis heute mitnimmt – und wie er sich beherrschen muss, um seine Trauer und seine Wut unter Kontrolle zu halten.
Seine Worte lösen auf der Zuschauerbank Tränen aus.

"Wie krank ist es, einen Menschen nur aufgrund seiner Herkunft oder Hautfarbe mit acht Schüssen zu töten.
Was hat mein Vater Ihnen getan?
Können Sie überhaupt verstehen, was es für uns heißt, dass er nur deswegen ermordet wurde, weil er ein Türke ist.
Können Sie verstehen, was es für uns heißt, im Bekennervideo den Vater blutend auf dem Boden zu sehen und zu wissen, dass er dort stundenlang hilflos lag?"

Höchststrafe für die Schuldigen
Abdulkerim Simsek wendet seinen Blick während seines Schlusswortes ausschließlich an das Gericht, nicht an die Angeklagten.
Nur Carsten S. spricht er direkt an.
Er sei der einzige, der durch seine umfassenden Angaben zur Aufklärung beigetragen habe.
"Herr S., wir nehmen ihre Entschuldigung an", sagt er und ergänzt: "Ich möchte, dass alle anderen, die an der Ermordung meines Vaters Schuld sind, zur Verantwortung gezogen und in höchstem Maße bestraft werden."

Doch nach Ansicht von Abdulkerim Simsek und der Anwältin der Familie sitzen nicht alle Schuldigen auf der Anklagebank im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts.
Rechtsanwältin Seda Basay führte in ihrem Plädoyer aus, warum es höchst wahrscheinlich ist, dass der NSU Helfer in Nürnberg hatte.

Wer half dem NSU?
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die die Morde an Enver Simsek und neun weiteren Opfern ausführten, können nach Ansicht von Basay niemals alleine sämtliche Tatorte ausgespäht haben.

In einer Vernehmung im Jahr 2012 habe der fränkische Neonazi Christian W., zugegeben, den Blumenstand von Enver S. gekannt zu haben.
"Weitere Ermittlungen gegen ihn sind nicht bekannt," stellt Seda Basay fest.
Dabei war W. mit der rechtsradikalen Mandy S. liiert, gegen die im Zusammenhang mit dem NSU ermittelt wird.

Weitere Ermittlungen gefordert
Im Fall des 2005 in Nürnberg ermordeten Ismail Yaşar fand sogar vor dessen Ermordung eine Auseinandersetzung an dessen Imbissstand statt, die zu der Verurteilung eines Neonazis führte.
Dieser Jürgen F. nahm 1995 an einer Skinhead-Veranstaltung teil, bei der auch zwei der Angeklagten sowie Uwe Mundlos anwesend waren.

"Weil für die Familie immer noch die Frage offen ist, wer den Hinweis auf den Blumenstand von Enver Şimşek gegeben hat, dürfen die Ermittlungen dazu nicht in diesem Verfahren beendet werden.
Es muss weiter ermittelt werden," sagt Seda Basay in ihrem Plädoyer und hofft, dass das Gericht diesen Hinweisen doch noch nachgeht.

Kurzer Verhandlungstag
Nach den Plädoyers der Familie Simsek musste die Hauptverhandlung bereits am Mittag unterbrochen werden, weil der Angeklagte Ralf Wohlleben weiter über Rückenprobleme klagt.
Am frühen Nachmittag sollte er in der JVA Stadelheim ärztlich untersucht werden.


 
404. Verhandlungstag: Weitere Verzögerung: Nebenklage-Plädoyers nicht beendet !

Eigentlich hätte es heute der Abschluss der Nebenklage-Plädoyers werden können, doch wieder einmal kam alles ganz anders.
Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin, der die Münchner Familie Boulgarides vertritt, konnte sein Schlusswort wieder nicht halten.

So ging es heute – wie bereits in den vergangenen Tagen - um den Gesundheitszustand des Angeklagten Ralf Wohlleben.
Er hat Bandscheibenprobleme und nimmt Schmerzmittel, seine Verhandlungsfähigkeit ist offensichtlich eingeschränkt.

Schutzwürdige Interessen
Sein Verteidiger Klemke beantragte „für die Dauer der Erörterung des Gesundheitszustandes von Herrn Wohlleben, die Öffentlichkeit auszuschließen“.
Details zur Erkrankung eines Angeklagten müssen nicht in der Öffentlichkeit erörtert werden.
Wegen solcher schutzwürdiger Interessen mussten heute Besucher und Journalisten den Gerichtssaal vorübergehend verlassen.
Nach mehreren Unterbrechungen verkündete Richter Götzl am Mittag öffentlich, erst nächste Woche weiterzuverhandeln.

Neuer Beweisantrag
Obwohl die Beweisaufnahme im NSU-Verfahren seit Monaten abgeschlossen ist, hat die Verteidigung Wohlleben erneut einen Beweisantrag eingereicht.
Darin geht es um die Beschaffung der Mordwaffe vom Typ Ceska 83.
Die Wohlleben-Anwälte behaupten, nachweisen zu können, dass die Waffe nicht über den Mitangeklagten Carsten S. und über Wohlleben an die NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos gelangte, sondern über einen anderen Weg.
Der Versuch einer Entlastung Wohllebens.

Neue Verhandlungstermine
Sollte das Gericht in die Beweisaufnahme zurückkehren, könnte das den Prozess erneut verzögern.
Passend dazu wurde am Rande des Verfahrens bekannt, dass der 6. Strafsenat inzwischen Verhandlungstermine bis in den Januar 2019 vorhält - eine wohl nur vorsorgliche Maßnahme des Gerichts.
Dass diese Termine tatsächlich benötigt werden, will der Gerichtsreporter nach allen Verzögerungen der letzten Monate allerdings auch nicht mehr ausschließen.




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Nebenkläger können Plädoyers nicht fortsetzen !

Wegen gesundheitlicher Probleme eines Angeklagten konnten die Nebenkläger ihre Plädoyers heute nicht fortsetzen.
Der Prozess könnte sich noch lange hinziehen.

Der mutmaßliche Unterstützer des NSU Ralf Wohlleben klagte bereits in den vergangenen Tagen über Rückenprobleme.
Seine Verteidiger wollten die Öffentlichkeit ausschließen, um über die Verhandlungsfähigkeit ihres Mandanten zu verhandeln.
Nach mehreren Unterbrechungen entschied das Gericht, die Hauptverhandlung für heute ganz zu unterbrechen.
Am Dienstag wird der NSU-Prozess fortgesetzt.

Es stehen nur noch wenige Plädoyers der Nebenklage aus, dann sind die Verteidiger am Zug.
Allerdings stellte die Verteidigung von Ralf Wohlleben vor zwei Tagen einen weiteren Beweisantrag, in dem es um die Beschaffung der Ceska-Waffe geht, mit der der NSU seine rassistische Mordserie an neun Geschäftsleuten mit türkischen bzw. griechischen Wurzeln beging.
Die Entscheidung über den Beweisantrag könnte den Prozess weiter verzögern.

Ralf Wohlleben wird beschuldigt die Ceska besorgt zu haben.
Die Bundesanwaltschaft fordert eine 12-jährige Haftstrafe wegen Beihilfe zum Mord für den ehemaligen NPD-Funktionär.

Termine bis 2019?
Am Rande des heutigen Verhandlungstages wurde bekannt, dass das Gericht bereits Prozesstermine bis Januar 2019 offenhält.
Allerdings nur vorsorglich.
Die Verfahrensbeteiligten wurden zunächst zu möglichen Terminkollisionen befragt.


 
405. Verhandlungstag: Alles ganz anders ?

"Alles war ganz anders": Unter dieser Überschrift könnte der Beweisantrag stehen, den die Wohlleben-Verteidigung heute verlas.
Danach erhielten die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Ceska-Mordwaffe nicht über den Angeklagten Ralf Wohlleben, sondern von dritter, bisher unbekannter Seite.
Der wichtigste Unterstützer des NSU wäre entlastet.

Die Zwickauer Schüler oben auf der Besucherempore sind im Rahmen eines Geschichtsprojekts zum NSU-Prozess nach München gefahren.
Sie tauschen Beobachtungen aus, stellen den Gerichtsreportern Fragen: Wo hat die Staatsanwaltschaft ihre Plätze?
Wer ist der Mann auf der Anklagebank dritte Reihe links?

Reden und Raunen sind plötzlich zu Ende
Als die Hauptangeklagte Zschäpe in den Gerichtssaal geführt wird, sind Reden und Raunen plötzlich zu Ende.
Wortlos beobachten die Schüler die mutmaßliche NSU-Terroristin, die die Jugendlichen höchstens aus dem Internet kennen.
Zschäpe gilt für die Anklageseite als Mittäterin an allen Morden.
In der Zwickauer Frühlingsstraße hat sie den letzten Unterschlupf des so genannten NSU-Trios in Schutt und Asche gelegt, bevor sie sich der Polizei stellte.

‚Alles war ganz anders‘
Der Verhandlungstag beginnt mit der Verlesung eines Beweisantrags der Verteidigung Wohlleben.
Die Anwälte Klemke, Nahrath und Schneiders wollen unter anderem erreichen, dass noch - kurz vor Ende des Mammutverfahrens - zwei Zeugen aussagen, die angeblich die Unschuld des Angeklagten Ralf Wohlleben beweisen sollen.

Für die jungen Zwickauer Prozessbeobachter sind die juristischen Formulierungen, die Verweise auf Paragrafen und Beweismittel harter Tobak.
Einer der wenigen halbwegs verständlichen Sätze lautet: "Die Beweiserhebung wird ergeben, dass der vom Generalbundesanwalt behauptete Weg der Tatwaffe Ceska 83 der falsche ist.
Der hierauf beruhende Haftbefehl und der gegen Herrn Wohlleben erhobene Anklagevorwurf werden nach der beantragten Beweiserhebung keinen Bestand mehr haben."

Der Beweisantrag kommt viel zu spät
Wird Wohlleben also entlastet, weil nicht er die Tatwaffe besorgt haben soll?
Wohl kaum.
Zunächst überrascht, dass der Antrag erst heute, nach über 400 Verhandlungstagen gestellt wird und nicht schon am ersten Prozesstag vor inzwischen fast fünf Jahren.

Bundesanwaltschaft: Wohlleben-Verteidigung will den Prozess verschleppen
Oberstaatsanwältin Greger von der Bundesanwaltschaft haut den Wohlleben-Verteidigern den Antrag regelrecht um die Ohren: der sei voller aufs Geradewohl aufgestellter Behauptungen und ohne Erkenntnisgewinn.
Die näheren Umstände der behaupteten Waffenübergabe hätten die Anwälte gar nicht beschrieben, so die Vertreterin des Generalbundesanwalts.
Gesamttenor Gregers: der Antrag habe kein anderes Ziel als die weitere Verschleppung des Prozesses.

Wie soll das Gericht weitermachen?
Für den Vorsitzenden Richter Götzl dürfte das weitere Vorgehen nicht ganz leicht sein.
Entscheiden er und seine Kollegen, den Antrag anzunehmen, müsste das Gericht erneut in die Beweisaufnahme eintreten und die beiden Zeugen laden.
Ob die beiden Männer durch ihre Aussagen den Angeklagten Wohlleben wirklich entlasten würden, wäre keineswegs sicher.
Darüber hinaus zöge sich der NSU-Prozess noch mehr in die Länge, möglicherweise müssten sogar die Plädoyers erneut gehalten werden.

Lehnt das Gericht den Antrag aber ab, stellen die Wohlleben-Verteidiger höchstwahrscheinlich einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter oder gleich den ganzen Senat.
Über diesen gerne kurz "Befa" genannten Antrag muss dann ein anderer Senat des Oberlandesgerichts München befinden, bevor Götzl und Kollegen weiterverhandeln dürften.

Enttäuschung über frühes Ende
Nach kaum zwei Stunden ist dieser 405. Verhandlungstag zu Ende.
Eine Sternstunde war das nicht.
Die Zwickauer Schüler reisen wieder ab, enttäuscht, dass nichts Spektakuläres passiert ist an diesem Tag.


 
406. Verhandlungstag: Beweisantrag sorgt für Verzögerungen !

Wieder einmal ist der NSU-Prozess an einem Punkt angelangt, an dem unklar ist, wie es weitergeht.
Die Verteidigung Ralf Wohllebens hat einen Beweisantrag gestellt.
Dem Strafsenat obliegt nun die schwierige Entscheidung, wie er darauf reagieren wird.

Der NSU-Prozess ist nicht nur ein historisches Verfahren, bei dem mit den Mitteln der Justiz versucht wird, eine beispiellose politisch motivierte Verbrechensserie zu bewältigen.
Er ist auch eine große Schule für alle Verfahrensbeteiligten und Beobachter.

Geduld besonders gefragt
Der Gerichtsreporter hat in nun bald fünf Jahren nicht nur viel über strafprozessuale Abläufe, polizeiliche Ermittlungen, Waffenkunde, Ballistik, Brandermittlung, Chirurgie, Forensik, Psychologie usw. gelernt, sondern vor allem Geduld.
Letztere ist auch jetzt wieder gefragt: Denn mal wieder ist der Prozess an einem Punkt angelangt, an dem völlig unklar ist, wie es weitergeht.

Eigentlich scheint das Ende des Verfahrens längst greifbar nahe zu sein.
Nur noch einige wenige Plädoyers der Nebenklage stehen aus, dann stehen die Schlussvorträge der Verteidigung auf dem Programm und schließlich das Urteil des Oberlandesgerichtes über die fünf Angeklagten.
Wiedermal aber ist es die Verteidigung, die dazwischengrätscht.

Beweisantrag statt Plädoyers
Waren es im Herbst die Anwälte des mutmaßlichen NSU-Unterstützers André E., die den Prozess mit einer Kaskade von Befangenheitsanträgen wochenlang lahmlegten, so ist es nun die Verteidigung des mutmaßlichen Lieferanten der Mordwaffe, Ralf Wohlleben, die für Verzögerungen sorgt - mit einem Beweisantrag, gestellt ein halbes Jahr nachdem die Beweisaufnahme offiziell abgeschlossen worden ist.

Prozesstag morgen abgesagt
Mehrere Neonazis sollen als Zeugen geladen, außerdem Akten des Landeskriminalamt Baden-Württemberg angefordert werden, das offenbar ein eigenes Ermittlungsverfahren zur Neonaziszene führt und dafür auch Personen aus dem engsten NSU-Umfeld vernommen hat.
Statt mit den Plädoyers fortzufahren, hat das Oberlandesgericht sich also gestern und heute mit dem Beweisantrag beschäftigt.
Der morgige Prozesstag wurde gleich ganz abgesagt, erst nächste Woche geht es weiter - fragt sich nur wie?

Kaum ein Prozessbeobachter räumt dem Antrag große Erfolgsaussichten ein, zumal die Wohlleben-Verteidigung auch diesmal wieder dasselbe Ziel verfolgt, wie schon mit zahlreichen gescheiterten Anträgen zuvor: Zu beweisen, dass es nicht ihr Mandant, sondern irgendjemand anderes war, der die berüchtigte Pistole Česká 83 geliefert hat, mit der der NSU neun Menschen ermordet hat.

Wochenlange Verzögerung möglich
Dennoch ist völlig unklar, wie das Gericht mit dem Antrag nun verfahren wird.
Lehnt es ihn ab, dürfte ein Befangenheitsantrag gegen den Senat auf dem Fuße folgen - was wiederum bedeuten würde, dass das Verfahren um Tage, wenn nicht gar Wochen verzögert wird.
Gleiches dürfte aber auch gelten, wenn das Gericht dem Antrag nachkommt.
Die Zeugen zu laden, ist dabei noch das geringste Problem.

Die Beiziehung der Akten des Stuttgarter LKA dagegen kann sich ziehen - zumal dieses Ermittlungsverfahren der Polizei höchst problematisch ist.
Es erfolgt nämlich nach Polizeirecht zur "Gefahrenabwehr", also ohne Staatsanwaltschaft und damit auch am Generalbundesanwalt vorbei, der doch eigentlich die Oberhoheit über alle NSU-Ermittlungen haben sollte.
Dass die Bundesanwaltschaft nicht gerade begeistert von dem Verfahren der Stuttgarter ist, konnte man - wenn man wollte - aus der betont knappen Stellungnahme der Anklagebehörde zu diesem Teil des Antrags heraushören.
Fragt sich also, ob das LKA die Akten dieses sensiblen und außerdem ja noch laufenden Verfahrens mal eben schnell ans Oberlandesgericht nach München schickt.

Öffnet das Gericht die Büchse der Pandora?
Und selbst wenn Wohlleben kriegt, was er verlangt: Öffnet das Gericht damit nicht die Büchse der Pandora und signalisiert der Verteidigung, sie könne nun unbegrenzt weitere Beweisanträge stellen?
Was den Prozess wiederum um Wochen verlängern würde.
Zumal dann vielleicht die Bundesanwaltschaft und die Nebenkläger, die ihre Schlussvorträge schon gehalten haben, nochmals plädieren müssten, um die neuen Erkenntnisse zu würdigen.

Was also wird der Strafsenat um den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl jetzt tun?
"Ich möchte jetzt nicht in der Haut des Senats stecken", kommentierte ein Prozessbeteiligter nach dem heutigen Verhandlungstag.
Das zumindest ist tröstlich für den Gerichtsreporter: Er muss nichts entscheiden, sondern nur berichten - und sich mal wieder in Geduld üben.




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Prozess auf Dienstag vertagt !

Der gestern eingebrachte Beweisantrag der Verteidigung des im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord Angeklagten Ralf Wohlleben verzögert weiter den Fortgang des Verfahrens.
Der Münchner Staatsschutzsenat setzte den morgigen Verhandlungstag ab und vertagte den Prozess auf nächsten Dienstag.

Auch am heutigen 406. Verhandlungstag kam der NSU-Prozess nicht voran. Grund dafür ist ein Streit zwischen den Prozessbeteiligten, ob ein Beweisantrag der Wohlleben-Verteidigung zulässig ist oder nicht.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem früheren NPD-Funktionär Beihilfe zum Mord vor, weil er die Czeska-Pistole besorgt haben soll, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun ihre zehn Morde begingen.
Die Anklagebehörde stützt ihren Vorwurf vor allem auf das Geständnis des Mitangeklagten Carsten S., der im Auftrag von Wohlleben die Waffe überbrachte.

Bundesanwaltschaft: Beweisantrag dient der Prozessverschleppung
Die Verteidiger von Wohlleben wollen durch einen gestern gestellten Beweisantrag darlegen, dass die Waffe auf einen ganz anderen Weg zu Böhnhardt und Mundlos kam.
Aus Sicht der Bundesanwaltschaft dient dieser Antrag allerdings nur der Prozessverschleppung und ist zudem verspätet gestellt.

Alle Aspekte, die der Ladung von zwei Zeugen aus der rechtsradikalen Szene zugrunde liegen, seien schon lange bekannt.
Das Gericht aber habe bereits Mitte letzten Jahres das Ende der Beweisaufnahme angekündigt.
Dieser Auffassung, die heute Bundesanwältin Anette Greger vortrug, widersprach Wolfram Nahrath, einer der drei Verteidiger von Wohlleben.
Die Bundesanwaltschaft schraube die Voraussetzungen für die Stellung eines Beweisantrages in "olympische Höhen".
Seinem Mandanten drohe eine Freiheitstrafe von 15 Jahren, bis zum Schluss habe dieser aber Anspruch auf ein "ergebnisoffenes Verfahren".

Zeit für Entscheidung über Beweisantrag
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und sein Staatsschutzsenat beendeten daraufhin nach weniger als einer Stunde reiner Verhandlungszeit den heutigen Prozesstag.
Sie wollen sich bei der Entscheidung, ob sie dem Beweisantrag nachkommen, offenbar Zeit zur Beratung nehmen.
Prozessbeobachter erklären das damit, dass die Richter am Ende dieses seit Mai 2013 dauernden Verfahrens auf keinen Fall eine angreifbare Entscheidung treffen wollen, die dann Grundlage eines Revisionsverfahrens sein könnte.
Das Gericht setzte den für morgen geplanten Verhandlungstag ab und vertagte den Prozess auf nächsten Dienstag.


 
407. Verhandlungstag: Wohllebens Antrag abgeschmettert !

Mit Spannung war erwartet worden, wie der 6. Strafsenat des Oberlandesgericht mit einem Beweisantrag der Verteidigung des mutmaßlichen Terrorhelfers Ralf Wohlleben umgeht.
Denn das Risiko ist hoch, dass sich das Verfahren in seiner Schlussphase weiter verzögert.
Das Gericht lehnte den Antrag ab.

In dem Beweisantrag, der gut ein halbes Jahr nach Ende der Beweisaufnahme gestellt worden ist, geht es um die Lieferung der Ceska 83, mit der der NSU neun Geschäftsleute mit türkischen bzw griechischen Wurzeln erschoss.
Die Bundesanwaltschaftsieht es als erwiesen an, dass die Pistole von den Angeklagten Carsten S. und Ralf Wohlleben an den NSU geliefert wurde.
Das wollte die Verteidigung des ehemaligen NPD-Funktionärs Wohlleben durch die Ladung zweier Zeugen aus der Neonaziszene zu widerlegen.
Jug P. habe eine Ceska 83 in der Schweiz besorgt und Sven R. habe sie an den NSU weitergegeben.
Das ergebe sich aus einem derzeit beim LKA Baden-Württemberg geführten Ermittlungsverfahren.

Das Gericht will zum Schluss kommen
Das Gericht sieht aber wenig Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Waffe um die relevante Tatwaffe handelt.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl machte auch klar, dass das Gericht es nicht als seine Aufgabe ansieht, die Herkunft sämtlicher Waffen, die sich im Besitz des NSU befanden, aufzuklären.

Verhandlung unterbrochen
Mit der Ablehnung des Beweisantrags könnten nun die Nebenkläger ihre Plädoyers fortsetzen.
Doch die Verteidigung von Ralf Wohlleben berät derzeit weitere rechtliche Schritte.
Deshalb wurde die Verhandlung bis morgen unterbrochen.


 
408. Verhandlungstag: NSU-Prozess tritt weiter auf der Stelle !

Die Verteidigung von Ralf Wohlleben will ihren Beweisantrag zur angeblichen Mordwaffe doch noch durchsetzen. #
Das Gericht nimmt sich viel Zeit für einen weiteren Beschluss.
Die Verhandlung wird deshalb bereits nach eineinhalb Stunden unterbrochen.

An Verhandlungstagen wie diesen erscheint die tägliche Routine des NSU-Prozesses auf Außenstehende fast absurd.
Am Morgen stehen Fotografen und Fernsehteams bereit, um Beate Zschäpe und die anderen vier Angeklagten beim Betreten des Gerichtssaals abzulichten.
Das Klicken der Fotoapparate verleiht der Szene eine gewisse Bedeutung, so als wäre Spektakuläres zu erwarten.

Doch an Verhandlungstagen wie diesen ist klar, dass dieses Mammutverfahren wieder nur in kleinen Schritten vorankommen wird.
Das Klicken der Kameras am Morgen ist schon fast der Höhepunkt des Tages.
Denn was folgt ist lediglich die Verlesung einer zweiseitigen sogenannten Gegenvorstellung durch die Anwälte von Ralf Wohlleben, dem mutmaßlichen Waffenlieferanten des NSU.
Danach braucht die Bundesanwaltschaft etwa eine Stunde Pause, um eine Stellungnahme zu formulieren.
Diese wird wiederum in wenigen Minuten verlesen, dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen.
Das Gericht muss auf die Gegenvorstellung der Verteidigung reagieren und nimmt sich dafür bis morgen 11 Uhr Zeit.

Bundesanwaltschaft: Zeugen nicht überzeugend
Es geht in dieser juristischen Auseinandersetzung um die Herkunft der Ceska 83, also der Waffe, mit der neun Geschäftsleute mit türkischen bzw. griechischen Wurzeln erschossen worden sind.
Die Bundesanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der ebenfalls angeklagte Carsten S. die Pistole an den NSU geliefert haben.
Die Verteidigung von Ralf Wohlleben wollte nun - ein halbes Jahr nach Ende der Beweisaufnahme - nachweisen, dass nicht Wohlleben, sondern zwei andere Neonazis aus Thüringen besagte Ceska 83 an den NSU übergeben haben.
Nach Ansicht des Gerichts aber erfüllt der Antrag nicht die Kriterien eines Beweisantrags.
So sieht es auch die Bundesanwaltschaft.
Die Zeugen, die die Verteidigung Wohlleben laden wollte, könnten nicht bekunden, dass sie die Tatwaffe übergeben haben, so Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten in seiner Stellungnahme.

Der Prozess gerät durch die Auseinandersetzung um den Beweisantrag der Wohlleben-Verteidigung mal wieder ins Stocken.
Eigentlich sollten die Nebenkläger längst ihre Plädoyers abschließen.
Doch das dürfte noch dauern.
Viele Verfahrensbeteiligte vermuten, dass die Anwälte von Ralf Wohlleben von Anfang an auf einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht hinauswollen.
Das würde dann wieder tagelange Verzögerungen bedeuten.


 
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