Viel mehr als nur Terror: Die drei Gesichter des Islamischen Staates

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Ruhe in Frieden
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Noch immer wird der Islamische Staat vor allem als Terrororganisation gesehen. Doch er ist viel mehr. Die Miliz tritt in drei unterschiedlichen Gestalten auf: Terror, Guerilla und sogar als offener Gegner auf dem Schlachtfeld. Alte Strategien sind deshalb wirkungslos.

Terrororganisationen führen keine Entscheidungsschlachten. Was seit Tagen um die nordsyrische Stadt Kubane zu beobachten ist, muss den Blick der politischen Klasse und der Öffentlichkeit auf den Islamischen Staat (IS) verstören – und ändern. Denn der Islamische Staat wird in den deutschen Medien und der öffentlichen Diskussion noch immer vor allem als Terrororganisation wahrgenommen.

Von den Terroristen des IS ist die Rede, von Terror-Milizen, manchmal auch von Dschihadisten. Das ist der IS auch, aber sein Vorgehen weist inzwischen weit darüber hinaus. Wenn die unterschiedlichen Facetten, in denen der IS auftritt, nicht beachtet werden, kann keine adäquate Strategie ausgearbeitet werden, ihn an allen Fronten, die er eröffnet, zu bekämpfen.

1. Terror

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass der Islamische Staat Terror ausübt. Das gilt vor allem vor Ort, wovon unzählige Gräuelschilderungen berichten. Er verhält sich besonders auch in seiner Kommunikation den westlichen Gesellschaften gegenüber wie eine Terrorgruppe. Davon zeugen die vielen Video-Botschaften, in denen westliche Bürger durch Enthauptung ermordet werden.

Dies soll Angst und Schrecken verbreiten und die Loyalität zur eigenen Regierung – deren Reaktion dann als Über-Reaktion gebrandmarkt wird – schwächen.

Die Ausübung von Terror ist aber kein Alleinstellungsmerkmal von Terroristen. Viele Staaten haben ihre Sicherheitsorgane Terror verbreiten lassen. Auch staatliche Organe haben brutale Gewalt zur Abschreckung gegenüber der eigenen oder fremder Bevölkerungen eingesetzt. Auch Vergeltungsaktionen, Massenerschießungen, öffentliche Hinrichtungen, wurden von staatlichen Organisationen ausgeübt.

Terroristen greifen gewöhnlich keine militärischen Ziele an

Terroristen greifen jedoch gewöhnlich keine militärischen Ziele an, weil sie dafür viel zu schwach sind. Sie greifen weiche, ungeschützte Ziele an, um Angst und Schrecken zu verbreiten und diejenigen, für die sie zu kämpfen vorgeben, aufzurütteln.

Am 11. September 2001 geschah solch ein terroristischer Anschlag, der darauf zielte, durch Bilder und Medienberichte Verbreitung zu finden, um so in den Köpfen zu wirken. Aufrüttelnd die einen, abschreckend die anderen. Dort wirkt der 11. September noch heute nach. Zu einem Guerilla-Kampf des jetzt zu beobachtenden Ausmaßes war Al-Kaida jedoch nicht in der Lage.

2. Wandlung zur Guerilla

Wenn Terroristen zunehmend Unterstützung gewinnen und sich sicher in der Bevölkerung eines bestimmten Gebietes bewegen können, wandeln sie sich zur Guerilla. Sie nehmen den asymmetrischen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner auf, indem sie ohne Regeln und aus dem Hinterhalt bekriegen.

Das ist dem IS gelungen, weil er in den zerfallenden Staaten des Irak und Syriens seine Räume fand, in denen er Fuß fassen konnte. Die Schwäche dieser beiden Staaten und das Vakuum, das die dortigen handlungsunfähigen Regierungen eröffneten, ermöglichten, in diesen Räumen militärische Aktionen erfolgreich durchzuführen, sich zu konsolidieren und zu wachsen.

Die Guerilla greift, aus Schwäche dem Gegner gegenüber, gewöhnlich mit unlauteren Mitteln und aus dem Hinterhalt an. Ihr Ziel ist es, die militärische Schlagkraft des Gegners zu mindern, weshalb sie militärische Ziele ins Visier nehmen.

Dabei versucht sich die Guerilla territorial auszubreiten und mehr und mehr Gebiete unter ihre Herrschaft und Kontrolle zu bringen. Genau das ist dem IS gelungen. Vor vielen Wochen schon wies Michael Morell darauf hin, dass diese Intelligence der amerikanischen Regierung zur Verfügung stand. Sie aber – wie alle anderen Regierungen, die das beobachtet haben – hielt den Zeitpunkt für ein Eingreifen noch nicht für gekommen. Diese Zeit hat der IS genutzt, nicht zuletzt, um über intensive Propaganda die eigenen Reihen zu verstärken.

3. Entscheidungsschlacht

Als die USA eingriffen, zogen sich die IS-Kämpfer zuerst ein ums andere mal zurück, agierten, wie es eine Guerilla tut, die der Entscheidung aus dem Weg gehen will, weil sie weiß, dass sie schwächer ist. Das hat sich inzwischen geändert. Nun trauen sie sich, in offener Schlacht dem Feind gegenüber zu treten und eine Entscheidung über ein Gefecht herbeizuführen.

Dass der IS die Entscheidung über Kobane sucht, zeigt viel von seinem Selbstverständnis. Die gesamte Bandbreite an Gewaltanwendung wird nun erweitert um die provozierende Schlacht um eine Stadt. Damit wird einmal mehr – und zwar auf dem wichtigsten Gebiet staatlicher Sicherheitsgewährleistung – kommuniziert, dass sich der IS für einen Dschihadistenstaat hält.

Da hilft es wenig, wenn der amerikanische Außenminister John Kerry betont, dass in Kobane keine strategisch wichtige Entscheidungsschlacht geschlagen wird. Das mag militärstrategisch richtig sein; es spiegelt in jedem Fall die verfahrene diplomatische Situation mit der Türkei. Es erfasst die Signalwirkung dieses Kampfes in die arabischen Gewaltgruppen weltweit aber überhaupt nicht.

Strategie gegen den IS

Der IS agiert derzeit sowohl als Terrororganisation, als auch als Guerilla als auch aus festem Territorium heraus kämpfende Truppe. In allen drei Formen tritt er sowohl als Gewaltakteur als auch als Propagandist auf.

Schließlich tragen alle drei Formen dazu bei, eine internationale Front aufzubauen und Kämpfer aus unterschiedlichen Regionen zu rekrutieren und einzusetzen. Vom Ausgang der Kämpfe um Kobane und den Reaktionen der jetzt schon heillos zerstrittenen Allianz gegen den IS hängt ab, welche politischen Folgen diese Schlacht haben wird.

Eine umfassende und durchdachte Strategie hat die Anti-IS-Allianz noch nicht. Sie wird sich mit der Zeit entwickeln. Einigkeit über die politischen Zwecke herzustellen ist bisher fehlgeschlagen; die militärischen Ziele werden derzeit jedenfalls vor der Öffentlichkeit verfehlt; und die eingesetzten Mittel erreichen nicht alle Dimensionen des Kampfes oder sind zu gering. In Deutschland, das Teil dieser Allianz ist, wird dies mit Blick auf die politischen Zwecke des Engagements, die strategischen Ziele und die zu mobilisierenden Mittel zu bedenken sein.

Quelle:

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