Warum Schmidt eine politische Instanz ist - und man Kohl nicht zuhört

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Ruhe in Frieden
Warum Schmidt eine politische Instanz ist - und man Kohl nicht zuhört

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Zwei ältere Herren im Rollstuhl: 95 der eine, 84 der andere. Beide heißen Helmut mit Vornamen. Beide waren Bundeskanzler. Doch während Helmut Schmidt mit zunehmendem Alter zur politischen Instanz aufstieg, wird das Urteil von Helmut Kohl so gut wie nicht nachgefragt. Warum eigentlich?

Wenn, dann meldet er sich selbst zu Wort, so wie gerade jetzt, als er seine Erinnerungen an den Mauerfall und seine Sorgen um Europa in Buchform vorlegte. Da spielt eine Rolle, dass der Mann, der 16 Jahre lang Deutschland regierte, der als Kanzler der Einheit in die Geschichtsbücher eingeht, nach seinem Ausscheiden aus der Politik tief stürzte.

Er scheiterte an seiner Partei

Helmut Schmidt war an seiner Partei gescheitert. Die SPD wollte den Nato-Doppelbeschluss nicht mittragen, durch den der Westen mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen der sowjetischen Aufrüstung Paroli bieten wollte. Helmut Kohl scheiterte letztlich an sich selbst. Gemeint ist damit weniger die Bundestagswahl 1998, bei der der Pfälzer nochmals antrat und dann verlor, anstatt den Weg frei zu machen für den jüngeren Wolfgang Schäuble.

Gemeint ist vielmehr die Tatsache, dass er hartnäckig die Namen von Spendern für die CDU-Parteikasse verschwieg und bis heute verschweigt. Der Mann, der in diesen Erinnerungstagen an den Mauerfall vor 25 Jahren wieder auf vielen Bildern zu sehen ist, der entscheidend zur deutschen Einheit beigetragen hat, verlor an Ansehen in der Öffentlichkeit. Und seine Partei sagte sich unter der Führung von Angela Merkel von ihm los.

Kohl lernte das Leben von seiner Frau

Hinzu kam sein privates Schicksal, das den Rückzug aus der Öffentlichkeit mit sich brachte. Kohls erste Ehefrau Hannelore nahm sich das Leben. Das Verhältnis zu seinen beiden Söhnen war da schon angespannt. Der Witwer wandte sich dann einer anderen Frau zu, die er heiratete. Über die Wirkung dieser Verbindung gibt es verschiedene Lesarten: Die einen behaupten, Maike Kohl-Richter habe ihren Mann seiner Familie und vielen seiner politischen Wegbegleiter und Freunde entfremdet.

Die anderen versichern, ohne die Fürsorge der 34 Jahre jüngeren Frau hätte Kohl sich von den Folgen des Schädel-Hirn-Traumas nicht erholt, das er sich durch einen Sturz 2008 zuzog. Wenn das Ehepaar in diesen Tagen öffentlich auftritt, dann wird deutlich, wie stark sich der Alt-Bundeskanzler an seiner Frau anlehnt. Er habe das Leben von ihr gelernt, sagte er jetzt in einem Interview.

Der entscheidende elder statesman der Republik

Dieses Bild prägt die öffentliche Erscheinung. Und es unterscheidet sich von dem persönlichen Bild, das Schmidt von sich geben kann, der immerhin 68 Jahre mit seiner Ehefrau Loki verheiratet war, bis sie 2010 verstarb. Zwei Jahre später gab er bekannt, dass seine langjährige Vertraute Ruth Loah seine neue Lebensgefährtin sei. Da war er schon lange der entscheidende elder statesman der Republik geworden. Die öffentliche Aufmerksamkeit galt seinen Worten, nicht seinem Privatleben. Dabei sind mit seinen Leistungen als Bundeskanzler keine historisch zu nennenden Projekte zu verbunden.

Anders bei Kohl. Ihm kommt das Verdienst zu, nach dem Fall der Mauer die Chance zur deutschen Einheit erkannt und ergriffen zu haben – gegen die Skepsis damals führender Sozialdemokraten übrigens. Ohne Absprache mit dem Koalitionspartner und ohne Ankündigung bei den Verbündeten, legte er einen Zehn-Punkte-Plan zur Überwindung der deutschen Einheit und Europas vor, den er seiner Frau Hannelore in eine Reiseschreibmaschine diktiert hatte.

Tumber Provinzialismus? Staatsmann mit Fortune!

In Verhandlungen mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, mit George Bush in den USA und den europäischen Partnern handelte er dann den Zwei-Plus-Vier-Vertrag aus, der die Grundlage für ein geeintes Deutschland bildete. Der Mann aus Oggersheim, dem seine Gegner gern tumben Provinzialismus nachsagten, nutzte sein taktisch-strategisches Talent und seine persönliche Reputation und wuchs über sich hinaus zu einem Staatsmann mit Fortune.

Ähnlich verhielt es sich später bei der Einführung des Euro, seiner zweiten als historisch zu bezeichnenden Leistung. Ebenfalls spielte dabei sein politisches Gewicht auf der europäischen Bühne eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur gemeinsamen europäischen Währung.

Weil er Sozialdemokrat ist

Gut möglich, dass Helmut Schmidt auch deshalb zur Autorität der Republik werden konnte, weil er zum Herausgeber der „Zeit“ wurde und so stets eine Bühne hatte. Denkbar auch, dass ihm der Weg dorthin geebnet wurde, weil er Sozialdemokrat ist. Die öffentliche Meinung in Deutschland arrangiert sich mehrheitlich leichter mit dem linken politischen Spektrum als mit dem rechten.

Die SPD war jedenfalls klug genug, sich bei Zeiten mit ihrem einst so ungeliebten Kanzler zu versöhnen. Die CDU tat sich da – nach der Parteispendenaffäre durchaus verständlich – viel schwerer. Zuzuhören lohnt sich allerdings auch bei Kohl, vor allem, wenn er dazu mahnt, Europa als Friedensprojekt nicht aufzugeben.



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